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- Doping im Radsport
Falsches Spiel vor der Tour de France
Die Leistungen im Radsport werden immer besser, die Zahl der positiven Dopingproben seit Jahren aber immer geringer
Die Tour de France wird immer schneller, Dopingsünder im Radsport gibt es immer weniger. Das ist ein Paradox der letzten Jahre. Stetig stieg die Geschwindigkeit: Tadej Pogačar war bei seinem letzten Toursieg schneller als Lance Armstrong bei sechs von dessen sieben Toursiegen. Nur 2005 fuhr der US-Amerikaner im Vergleich dem Slowenen noch davon – mit 41,65 km/h gegenüber 41,16 km/h. Schneller als die beiden war aber niemand in der mehr als 100-jährigen Geschichte der Frankreich-Rundfahrt.
Krasser ist das Bild noch bei den Klassikermonumenten. Die diesjährigen Ausgaben von Paris–Roubaix und Lüttich–Bastogne–Lüttich waren die schnellsten überhaupt. Bei den anderen fünf Rennen rangierten die Siegerzeiten allesamt unter den insgesamt zehn schnellsten. Klassikermonumente zeichnen sich – im Gegensatz zur Tour de France, die jedes Jahr einen anderen Parcours hat – durch eine traditionell gleiche Streckenführung aus. Geschwindigkeiten sind also besser vergleichbar.
Natürlich, chemische Substanzen sind nicht der einzige denkbare Schnellermacher. Räder und Kleidung sind aerodynamischer geworden. Ein ganzes Heer an Ernährungsexperten, Trainingswissenschaftlern und Datenanalysten optimiert die Energiezufuhr in Sportlerkörper und erhebt immer neue Daten zur besseren Umsetzung dieser Energie in Vortrieb auf Asphalt, Kies und Kopfsteinpflaster. Nur eine sportrelevante Analysedisziplin liefert leider immer spärlichere Resultate: Die Trefferdichte bei Dopingtests hat massiv abgenommen.
Schaut man sich die Sanktionsliste des Weltverbandes UCI an, so wurden 2021 nur fünf Fahrer überführt. Keiner davon war in einem World-Tour-Rennstall angestellt. Im Pandemiejahr 2020 mit massiv zurückgefahrenen Dopingtests wurden nur zwei Fahrer erwischt. Aus dieser Saison ist bislang nur der Fall des 17-jährigen Usbeken Samandar Sultanov bekannt, immerhin Starter beim Juniorenrennen des Halbklassikers Kuurne–Brüssel–Kuurne.
2019 hingegen wurden noch 16 Radsportler beim Betrug erwischt, prominentester davon war der Tour-de-France-Etappensieger Jarlinson Pantano. 2018 waren es neun, darunter der frühere Giro-Etappensieger Kanstantsin Siutsou. Der Rückgang ist also deutlich sichtbar. Aber gerade der aktuelle Fall des 17-jährigen Sultanov illustriert auch, dass Vertreter der neuen Generation nicht vor den Sünden der Alten geschützt sind.
Zeitlich korreliert der Rückgang positiver Dopingproben mit der Übernahme des Testbetriebs durch die Internationale Testagentur Ita. Zuvor war die institutionell vom Radsportweltverband unabhängige Testorganisation CADF dafür verantwortlich. Seit die Ita die Logistik der Tests bestimmt und auch durchführt, gab es keinen einzigen Dopingfall mehr auf World-Tour-Niveau und keinen einzigen positiven Test bei einer Grand Tour. Weil dies auch Laien stutzig macht, sahen sich der Weltverband und die Ita in dieser Woche zu einem bemerkenswerten Beruhigungsevent bemüßigt. UCI-Präsident David Lappartient und Ita-Generaldirektor Benjamin Cohen luden gemeinsam mit weiteren Angestellten ihrer Institutionen zu einer Zoom-Pressekonferenz ein.
Dieser Termin war eine beispielhafte Übung in der Disziplin des gegenseitigen Schulterklopfens. Ita-Boss Cohen bescheinigte seiner Institution, die Übernahme der Experten der CADF reibungslos bewerkstelligt zu haben. Elf der vormals 13 Personen seien übernommen worden. Insgesamt widmeten sich sogar 16 Vollzeitkräfte im Kontext der Testagentur dem Kampf gegen Doping im Radsport, betonte Cohen. Es gibt also mehr Ressourcen. Und Cohen hob auch den Effekt des interdisziplinären Lernens hervor: »Der Austausch über die einzelnen Sportarten hinaus ist bei der Ita intensiver geworden. Für mehr als 50 Fachverbände organisiert die ITA die Testprogramme.« Das ernüchternde Fazit: Alles ist richtig gut, obwohl die Ergebnisse immer schlechter werden.
Die Ita ist ein großer Player im Antidoping-Geschäft, allerdings einer ohne Biss. Weil sich das bis in die höchsten Reihen herumgesprochen haben dürfte, hatte Nicholas Raudenski eine Powerpoint-Stunde für die Weltpresse parat. Der Chef der Ermittlungseinheit der Ita erläuterte fein, wie wichtig Informationen über Verdachtsmomente seien, um Tests gezielter vornehmen zu können. Auf Nachfrage von »nd« war er aber nicht in der Lage zu nennen, in welcher Dimension Hinweise über Sportbetrug im Radsport bei seinen Ermittlern eingegangen seien und wie viele Verfahren daraus entwickelt werden konnten.
Raudenski arbeitete früher in den Antidoping-Programmen der Fußballverbände Fifa und Uefa. Die zeichneten sich durch maximale Misserfolgsbilanz aus. Wenn er nun ankündigt, dass es aufgrund der Hinweise von Fahndern und Whistleblowern gezielte Kontrollen bei der Tour de France und auch im Vorfeld geben solle, kann man davon ausgehen, dass auch die das aktuelle Bild bestätigen sollen: Testen ja, am besten mit noch mehr Manpower. Aber bitte bitte nichts finden.
Zu den Ergebnissen der Doping-Razzia im Teamhotel von Bahrain Victorious während der Tour 2021 wollten sich die Vertreter von Ita und UCI mit Verweis auf »die laufenden Ermittlungen« auch nicht äußern. Der Radsport wird immer schneller, aus vielen Gründen. Die Intensität der Suche nach Doping nimmt aber ab. Kein schönes Zeichen wenige Wochen vor dem Start der Tour de France in Kopenhagen.
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