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Religiöser Fundamentalismus made in Sachsen

Das Bündnis Pro Choice Leipzig und Sachsen wehrt sich gegen den »Schweigemarsch für das Leben« von Abtreibungsgegner*innen im sächsischen Annaberg-Buchholz

  • Julia Trippo
  • Lesedauer: 6 Min.
Mitglieder von Pro Choice Sachsen demonstrieren vor der St. Annenkirche in Annaberg. Auf dem Platz vor der Kirche findet der Abschluß des Schweigemarsches statt.
Mitglieder von Pro Choice Sachsen demonstrieren vor der St. Annenkirche in Annaberg. Auf dem Platz vor der Kirche findet der Abschluß des Schweigemarsches statt.

Seit 2010 versammeln sich Abtreibungsgegner*innen jährlich in Annaberg-Buchholz zum »Schweigemarsch für das Leben«. Was genau passiert auf diesen Versammlungen?

Interview

Miriam ist seit vier Jahren Mitglied bei Pro Choice Leipzig und engagiert sich als Aktivistin für körperliche Selbstbestimmung und die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Sie heißt eigentlich anders, möchte aber ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Mit ihr sprach Julia Trippo.

Das Besondere an diesem Schweigemarsch ist, dass währenddessen komplette Stille herrscht, weil die Teilnehmenden um die abgetriebenen Embryonen trauern. Ziel ist es, ein komplettes Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen zu erwirken, beispielsweise wird auch die geplante Streichung von § 219a abgelehnt. Des Weiteren geht es gegen alles, was dem heteronormativen Bild der Kleinfamilie widerspricht, also gegen andere Geschlechtsidentitäten oder Sexualvorstellungen und -orientierungen.

Was verbindet denn all diese verschiedenen Menschen, die am »Schweigemarsch für das Leben« teilnehmen?

Zum Spektrum kann man sagen, dass es sich sehr stark aus christlich-fundamentalistischen Personen zusammensetzt. Das geht von alt bis relativ jung. Die meisten Personen, die teilnehmen, kommen aus dem Erzgebirge. Dort hat sich selbst in der DDR-Zeit eine stark christliche Prägung gehalten, obwohl es zu Ostzeiten eigentlich eine atheistische Prägung gab. In Anlehnung an den Begriff aus den USA wird das Erzgebirge deshalb der Bible-Belt von Sachsen genannt. Und man merkt, wie die Abtreibungsgegner*innen probieren, Leute zu gewinnen; und das machen sie zum Beispiel auch über Kirchengemeinden im Umkreis.

Gibt es noch andere Gründe, außer dem Bible-Belt, warum diese Schweigemärsche ausgerechnet in Annaberg-Buchholz abgehalten werden?

Miriam von Pro Choice Leipzig
Miriam von Pro Choice Leipzig

Warum es in Annaberg-Buchholz stattfindet, ist ganz interessant. Denn im Erzgebirge gibt es kaum Orte, an denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden können. Es gibt genau diese eine Klinik, die Erzgebirgsklinik in Annaberg-Buchholz, die das macht. Die Demonstrierenden versammeln sich dann gegenüber dieser Klinik, um vor Ort dafür zu demonstrieren, dass Schwangerschaftsabbrüche verboten werden. Also selbst diese eine Möglichkeit, im Erzgebirge Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, ist ihnen zu viel.

Wer organisiert diesen Marsch, und was sind das für Menschen, die sich da organisieren?

Ins Leben gerufen und organisiert wurde dieser »Schweigemarsch für das Leben« früher vom CDL, also den Christdemokraten für das Leben. Das ist eine Untergruppe der CDU, die aber innerhalb der Partei immer mehr an Bedeutung verliert. Viele Leute, die das früher gemacht haben, sind nicht mehr bei der CDU, wie zum Beispiel Joachim Hadlich, einer der Mitbegründer. Er war viele Jahre CDU-Mitglied, ist aber dann zur AfD rübergerückt. An diesem früheren Kern von Personen, die das organisiert haben, kann man ein krasses Abdriften sehen. So auch der damalige Mitorganisator Thomas Schneider, der früher Teil einer konservativen CDU-Bewegung war, von der Aktion »Linkstrend stoppen«. Seine sächsische Regionalgruppe teilte damals auf ihrer Webseite Inhalte der rechten Wochenzeitung »Junge Freiheit«. Er warnte vor der Gefahr der schleichenden Islamisierung, wetterte schon damals gegen Homoehe und bezeichnete Abtreibung als straffreie Kindstötung. Heute betreibt er zum Beispiel Seiten wie »NichtImpfen.de«. Da wird deutlich, dass er in eine Schiene von Corona-Leugner*innen gekommen ist.

Und was für Personen organisieren sich da heute?

Heute ist es so, dass der Schweigemarsch nicht mehr vom CDL organisiert wird, sondern seit der Mitte der 2000er vom Verein Lebensrecht Sachsen. Da nehmen immer etwa 600 bis 700 Teilnehmer*innen teil. Die derzeitige Vorsitzende ist Susanne Georgi, die nach eigenen Angaben zu einem Schwangerschaftsabbruch gezwungen wurde. Aber jetzt dreht sie das quasi um und will alle anderen Menschen dazu zwingen, ihre Schwangerschaft fortzuführen. Ich finde das fatal. Natürlich ist es schlimm, dass ihr das damals zugestoßen ist. Aber man kann deshalb nicht darauf schließen, dass das für alle anderen die falsche Entscheidung wäre. Außerdem nutzt der Verein Lebensrecht Sachsen, der das heute organisiert, eine wortgetreue Bibelauslegung, die besagt: Abtreibung ist Sünde. Es sind also christliche Fundamentalist*innen, die über Lobbyarbeit, Publikationen, Konferenzen und Vorträge und Seminare probieren, für das Thema öffentlich zu werben.

Lesen Sie auch: »Die Bewegung ist nicht radikal genug« – Lily Kramer vom »What the Fuck«-Bündnis über die bisherigen und notwendigen Forderungen der Pro-Choice-Bewegung

Pro Choice Leipzig und Pro Choice Sachsen mobilisieren ja gerade, um am 11. Juni nach Annaberg-Buchholz zu fahren und gegen den Schweigemarsch zu protestieren. Warum ist das auch gerade im Hinblick auf die USA und Polen so wichtig?

Man sieht ja ganz klar, dass in verschiedenen Ländern der Trend bei den Abtreibungsgesetzen hin zu einer Illegalisierung geht. Doch das führt eben nicht dazu, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht durchgeführt werden. Sondern Schwangerschaftsabbrüche werden ins Dunkle gedrängt, in eine Illegalität, in der sie aber trotzdem stattfinden. Das macht sie aber nur gefährlicher und kann tödliche Folgen für die Betroffenen haben. Da muss man sich klar dagegen stellen. In den vergangenen Jahren der Mobilisierung waren wir etwa gleich viele wie die andere Seite, also circa 600 bis 700 Personen.

Dem sächsischen Verein KALEB, der Beratungsangebote für ungewollt Schwangere anbietet, wird vorgeworfen, einer gewissen »lebensschützenden« Ideologie nachzugehen und Abtreibungen verhindern zu wollen. Wie können sich ungewollt Schwangere vor solchen Situationen schützen?

In Sachsen gab es lange das Problem, dass Schwangerschaftsberatungsstellen und Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen in einer Liste geführt wurden. Es wurde nicht klar kenntlich gemacht, welche Stellen Beratungsscheine ausstellen und welche nicht. Das hat viele Leute zu diesem Verein getrieben, da sie nicht wussten, wer Beratungsscheine ausstellt. Das will der Freistaat Sachsen allerdings verbessern und einen besseren Überblick ermöglichen. Ich finde, dass konfessionelle Träger und Vereine in der Schwangerschaftsberatung nichts zu suchen haben, weil es dann eben nicht wie vom Gesetzgeber vorgesehen ergebnisoffen ist. Das sieht man auch in der Reportage von »MDR investigativ« zum Verein Kaleb, dass es bei einer Beratung eine klare Beeinflussung gibt. Ich finde, sowas sollte verboten werden.

Welche konkreten Forderungen hat Pro Choice Leipzig an die deutsche Bundesregierung, was sich ändern muss im Bereich der reproduktiven Gerechtigkeit?

Eine unserer Forderungen ist die ersatzlose Streichung des § 218, der das Abtreibungsverbot in Deutschland regelt. Und wir wünschen uns die schnellstmögliche Abschaffung des § 219a, damit die Informationsfreiheit endlich gewährleistet werden kann durch die Ärzt*innen. Das sieht ja der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung so vor, und das Kabinett hat auch den Weg dafür freigemacht. Insgesamt sind wir dafür, dass es in Deutschland einen freien, sicheren und legalen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen gibt, der kostenlos ist. Schwangerschaftsabbrüche sollten endlich als Teil medizinischer Grundversorgung anerkannt werden. Das heißt auch, dass beispielsweise medizinisches Fachpersonal geschult wird.

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