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Aufgewärmte Dienstpflichtdebatte
Bundespräsident schlägt nicht nur Ablehnung für den geforderten Pflichtdienst entgegen
»Ich weiß nicht, ob man aktuell gut über einen Pflichtdienst streiten kann«, kritisierte die Fridays-For-Future-Aktivistin Luisa Neubauer via Twitter. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte am Wochenende den Aufschlag zum wiederkehrenden Streit darüber gemacht, ob junge Menschen der Gesellschaft für einen Pflichtdienst zur Verfügung stehen müssten. »Es geht um die Frage, ob es unserem Land nicht gut tun würde, wenn sich Frauen und Männer für einen gewissen Zeitraum in den Dienst der Gesellschaft stellen«, so Steinmeier.
Neubauer zweifelte daran, dass nach dem »jugendpolitischen Versagen in der Pandemie und zukunftspolitischem Herumgetrampel in der Klimakrise« die Politik kategorisch das Beste für die jungen Menschen erreichen wolle. Aus der Opposition unterstützte der kulturpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Jan Korte, am Dienstag die Positionen der vom Pflichtdienst direkt betroffenen jungen Generation und twitterte eine Liste an Gegenargumenten. Ein Staat, der ein Fünftel der Kinder in Armut aufwachsen lasse, Schulklassen mit mehr als 30 Schüler*innen normal finde, Kinder aus unterbesetzten Krankenhäusern abweise und wenig Empathie mit der von Corona massiv betroffenen Generation gezeigt habe, »sollte seine verdammten Hausaufgaben machen, bevor Pflichtdienst auch nur Thema sein kann«, so Korte. Er regte auch an, bestehende Freiwilligendienste auszubauen und Jugendliche stärker in die politischen Entscheidungen einzubeziehen, statt einen neuen Niedriglohnsektor zu schaffen. Kortes Kritik umfasste auch, dass die Debatte stets das Vehikel für eine schrittweise Rückkehr zur Wehrpflicht sei. Ein berechtigter Vorwurf, denn Steinmeier sprach von einer Pflichtzeit, die auch bei bei der Bundeswehr geleistet werden könnte.
Einen Vorschlag zur Entlohnung der anspruchsvollen Tätigkeiten, die sonst von geschulten Fachkräften wahrgenommen werden müssten, lieferte Steinmeier nicht. In der Betreuung von Senioren, in Behinderteneinrichtungen oder einem Dienst in Obdachlosenunterkünften will der Bundespräsident den sozialen Nutzen sehen: »Gerade jetzt, in einer Zeit, in der das Verständnis für andere Lebensentwürfe und Meinungen abnimmt, kann eine soziale Pflichtzeit besonders wertvoll sein. Man kommt raus aus der eigenen Blase, trifft ganz andere Menschen, hilft Bürgern in Notlagen. Das baut Vorurteile ab und stärkt den Gemeinsinn.«
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) machte sich hingegen dafür stark, es bei den unter jungen Menschen beliebten Freiwilligendiensten zu belassen. »Ein sozialer Pflichtdienst würde einen Eingriff in die individuelle Freiheit eines jeden Jugendlichen bedeuten«, sagte Paus. »Aus freiwilligem Engagement würde Verpflichtung. Wir sollten unseren jungen Menschen, die unter der Corona-Pandemie besonders gelitten und sich trotzdem solidarisch mit den Älteren gezeigt haben, weiterhin die Freiheit zur eigenen Entscheidung lassen.«
Aus den Reihen der SPD unterstützte die Berliner Bürgermeisterin Franziska Giffey den Vorschlag. »Wir leben in einer veränderten Zeit und vielleicht gehört zur Zeitenwende auch, dass jeder junge Mensch ein Jahr für die Allgemeinheit aufbringt«, so Giffey in einem »Tagesspiegel«-Interview. Widerspruch gab es aus der SPD-Parteispitze. Saskia Esken unterstützte den Vorstoß nicht und verwies darauf, dass das bereits existierende freiwillige Soziale Jahr jungen Menschen »eine großartige Chance« böte, sich weiterzuentwickeln – dieses Angebot sei aber auch deshalb so sinnvoll, »weil es freiwillig ist«.
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Innerhalb der Linken ist der Vorstoß jedoch umstritten. Prominente Unterstützung erhält Steinmeier durch den thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke). »Statt reflexartig einfach nur auf dem Bundespräsidenten rumzuhacken und wieder von neuem Zwang zu reden und dabei die Schulpflicht einfach auszublenden, werbe ich dafür, mit ein bisschen mehr Gelassenheit das Thema anzugucken«, so Ramelow am Dienstag. Ein Pflichtdienst zwischen neun und zwölf Monaten für alle Menschen zwischen 18 und 25 Jahren sei zumutbar. »Das kann das Soziale sein, das kann das Ökologische sein, das kann das Militärische sein«, sagte er. Wichtig sei, dass es kein verlorenes Jahr sei – sondern etwa bei einer Ausbildung anerkannt werden könne. Mit Agenturen
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