Unterhaken, bis es knirscht

Bezahlbar, ökologisch und hochwertig: Das Stadtforum diskutiert über Neubau in Berlin

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 4 Min.

«Es sind nicht immer die Wohnungen entstanden, die wir gebraucht hätten», räumt Andreas Geisel (SPD) ein. Doch welchen Weg Berlin künftig gehen werde, «diese Entscheidung wird heute und nicht in zehn Jahren getroffen», sagt der Stadtentwicklungssenator am Montagabend vor gut 200 Berlinern im Tempodrom. Eingeladen wurde zum ersten Stadtforum der neuen Legislaturperiode, einer Veranstaltungsreihe, bei der die Politik das öffentliche Gespräch mit Experten unterschiedlicher Disziplinen sucht, dieses Mal zu Geisels Lieblingsthema: dem Neubau.

20 000 Wohnungen sollen, so hat es sich der Senator in den Kopf gesetzt, jährlich gebaut werden. Das wäre selbst unter Optimalbedingungen eine Herkulesaufgabe. Lieferengpässe, Fachkräftemangel, Zinsanstieg und starke Steigerungen bei den Baukosten machen das Unterfangen nicht einfacher. Hinzu kommt: Gebaut werden soll nicht irgendwas. Bezahlbar, nachhaltig und schön: Das sind die Kriterien, die sich auch das Stadtforum in den Veranstaltungstitel geschrieben hatte. Schon für sich ist jedes dieser Kriterien eine Herausforderung für den Wohnungsbau, aber hier geht es gleich ums Komplettprogramm – sowohl bezahlbar, nachhaltig als auch schön. «Bezahlbaren Neubau haben wir nur, wenn wir die Baukosten senken; gleichzeitig wollen wir aber in den Klimaschutz investieren», verdeutlicht Geisel einen der «Zielkonflikte».

Beispiel bezahlbarer Wohnraum: Für den Bau von Sozialwohnungen stellt das Land Fördermittel bereit. Geld war vergangenes Jahr für die Förderung von 5000 Wohnungen eingeplant, erneut wurden Mittel aber lediglich für rund 1000 Wohnungen nachgefragt. «Wir brauchen eine Wohnungsneubauförderung, die auch von den Privaten abgerufen wird und nicht nur von den Landeseigenen, die wir dazu zwingen», sagt Geisel, der das Problem darin sieht, dass die aktuelle Förderung den Anstieg bei den Baukosten nicht berücksichtigt.

Auch bei der kooperativen Baulandentwicklung, die bei größeren Vorhaben im Zuge von Bebauungsplänen unter anderem vorsieht, dass 30 Prozent geförderte Wohnungen errichtet werden, geht deutlich mehr, wie der Vergleich mit München zeigt. Elisabeth Merk, Stadtbaurätin der bayrischen Landeshauptstadt, erzählt, online zum Stadtforum zugeschaltet, wie diese Quote in München auf 60 Prozent angehoben werden konnte. Gleichwohl läge eine entscheidende Stellschraube, die den Neubau bezahlbarer machen würde, beim Bund. «Wir brauchen eine Bodenreform», sagt Merk angesichts der extremen Bodenpreissteigerungen der vergangenen Jahre, die sich auch in den Mietpreisen des Neubaus widerspiegeln.

Nicht zuletzt leidet unter den hohen Bau- und Bodenpreisen allzu oft die Qualität. «Wo ist da das Regulativ der Stadt?», fragt der Architekt Stefan Forster, als er im Tempodrom Bilder der unwirtlichen Neubauten am Berliner Hauptbahnhof zeigt. Diese hätten mit der Identität der Hauptstadt nichts zu tun. Forster warnt auch davor, dass im Zuge von immer mehr Neubau ein Substandard etabliert werde. «Wir als Architekten brauchen starke Verwaltungen mit einer gleichen Liebe zur Stadt», sagt er. Wenn wir alleingelassen werden, kommt nur Mist dabei heraus.«

In Berlin sucht die Verwaltung gerade eher den Schulterschluss mit den Immobilienunternehmen. Am kommenden Montag soll laut Plan eine Vereinbarung zwischen Senat und Immobilienwirtschaft stehen. Lösungen für den Neubau und bezahlbares Wohnen finden – das ist das Ziel des sogenannten Wohnungsbündnisses. Jahre währende Konflikte beispielsweise bei der Entwicklung des neuen Stadtquartiers Gartenfeld in Spandau hätte man in dem Bündnis bereits abräumen können, erzählt Geisel beim Stadtforum. Wiederholt machte er auch dort darauf aufmerksam, wie wichtig es sei, dass sich alle in Berlin »unterhaken«.

Zuspruch bekommt er dabei von Hamburgs Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD). In der Hansestadt hatten sich bereits vor über zehn Jahren Politik und Immobilienwirtschaft in einem Bündnis »untergehakt« und eine »Neubauoffensive« verabredet. »Seit 2011 haben wir 120 000 Wohnungen genehmigt, davon sind bereits 85 000 gebaut worden«, erklärt Stapelfeldt. Zur Wahrheit gehört dabei auch, dass die hohen Fertigstellungszahlen in Hamburg den Mietpreisanstieg nicht stoppen konnten, die Mieten in der Hansestadt zuletzt so stark stiegen wie lange nicht mehr.

Dass die Neubauwut allein nicht reicht und auch der Blick auf den Bestand nötig ist, haben am Montag Aktivisten der Habersaathstraße 40-48 deutlich gemacht, als sie Stadtentwicklungssenator Geisel während seines Eröffnungsvortrags die Bühne streitig machten. Das ehemalige Schwesternwohnheim in Mitte soll nach dem Willen des Eigentümers abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Im Dezember besetzten obdachlose Menschen das größtenteils leer stehende Gebäude; der Bezirk vereinbarte mit dem Eigentümer, dass sie vorübergehend bleiben können. Zuletzt drängte Letzterer allerdings auf den Auszug. Vor allem unter sozialen Gesichtspunkten wäre die Vernichtung preiswerten Wohnraums ein Fiasko, kritisieren Aktivisten seit Langem. Klar ist jedenfalls: Den Abriss von Wohnraum, um an gleicher Stelle hochwertigeren neu zu bauen, kann sich Berlin – auch aus Klimaschutzgründen – schwer leisten.

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