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  • Fußball-EM der Frauen

Diese Folge soll ein Quotenhit werden

Die deutschen Fußballerinnen versuchen vor der anstehenden Europameisterschaft, Druck und Problemen mit guter Laune zu begegnen

  • Frank Hellmann, Herzogenaurach
  • Lesedauer: 4 Min.
Gute Laune auf dem Trainingsplatz, allen voran: Svenja Huth
Gute Laune auf dem Trainingsplatz, allen voran: Svenja Huth

Es herrschte erkennbar gute Laune, als die deutschen Fußballerinnen eine ihrer letzten Einheiten des zweiten Trainingslagers vor der Europameisterschaft absolvierten. Assistenztrainer Patrik Grolimund mit seinem schweizerischen Zungenschlag hatte sich bei strahlendem Sonnenschein in Herzogenaurach wieder einige sehr anspruchsvolle Übungen ausgedacht: drei Mannschaften, die den Ball entweder mit dem Fuß oder der Hand spielen, das alles auf engem Raum mit wechselnden Aufgaben. Klar, dass das irgendwann nach großem Kuddelmuddel aussah, woraufhin schallendes Gelächter über die weitläufige Anlage dröhnte.

Wie im Taubenschlag ging es zuvor im Gebäude »Halftime« beim obligatorischen Medientag zu, der ein gutes Bild von den hierarchischen Verhältnissen im Team der deutschen Fußballerinnen vor der EM in England vermittelte, die vom 6. bis 31. Juli gespielt wird. Die bald zum Champions-League-Sieger Olympique Lyon wechselnde Sara Däbritz und die demnächst in den USA spielende Almuth Schult waren in größeren Sitzecken platziert: Die 27-jährige Mittelfeldspielerin Däbritz rückt anstelle der an Corona erkrankten und daher auch auf dem offiziellen Mannschaftsbild fehlenden Kapitänin Alexandra Popp vorläufig zur Anführerin auf. Torhüterin Schult gilt trotz ihrer Rückversetzung ins zweite Glied als das Sprachrohr im Fußball der Frauen – die 31-Jährige hat eben zu allem eine Haltung.

Wer sich abseits dieser beiden gefragten Führungskräfte ein Stimmungs- und Meinungsbild einholte, konnte feststellen: Zwischenmenschlich scheint es auch vor diesem Turnier zu stimmen. Däbritz findet sogar, dass die Mischung aus »jungen Unbekümmerten und erfahrenen Spielerinnen« jetzt perfekt passt. Sie hat in 85 Länderspielen mit der DFB-Auswahl Höhen und Tiefen erlebt, deshalb formuliert die Frankreich-Legionärin das Ziel etwas vorsichtiger als viele andere: »Wir wollen zu den sechs bis acht Mannschaften gehören, die sich den Traum vom Titel erfüllen können.« Erfreut ist sie über die offene Kommunikation: »Es reden alle den ganzen Tag.« Quasselstrippen wie Laura Freigang von Eintracht Frankfurt schaffen es nebenbei noch, selbstironische Kurzvideos über die Mitspielerinnen in den Sozialen Medien zu erstellen, die erstaunliche Abrufzahlen erreichen.

Es geht beim ersten Turnier nach drei Jahren nicht nur um ein besseres Abschneiden als bei der Weltmeisterschaft 2019 oder der Europameisterschaft 2017, die DFB-Direktion von Oliver Bierhoff wünscht sich ausdrücklich die Halbfinaleteilnahme. Bei der EM spielt aber auch ein übergeordneter Kampf um Aufmerksamkeit im Mutterland des Fußballs mit. Deshalb wird bald auf mehreren Sendern eine Dokumentation über den Fußball der Frauen ausgestrahlt, die sich dem Werdegang und der Leidenschaft von deutschen Nationalspielerinnen widmet, die nach einer emotionalen Kabinenansprache schon mal Tränen vergießen. Die Produktion ist als Serie angedacht – ein erfolgreiches Kapitel beim kontinentalen Titelkampf käme da wie gerufen.

Doch Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg leitet in der fränkischen Provinz nicht nur gut gelaunte, sondern auch einige angeschlagene Spielerinnen an. Neben Pechvogel Popp, die nur über leichte Symptome klagt, leiden Sydney Lohmann vom FC Bayern München, die Wolfsburgerin Tabea Waßmuth und Sjoeke Nüsken von Eintracht Frankfurt noch an kleinen Blessuren. Es macht kaum Sinn, bereits an diesem Sonnabend aus dem 28er-Kader das endgültige 23er-Aufgebot für die EM herauszufiltern. Wackelkandidatinnen wie die Frankfurterin Sophia Kleinherne sehnen diese Entscheidung jedoch herbei: »Es lässt sich zwar niemand anmerken, aber in meinem Kopf ist das – wie bei einigen anderen auch – immer ein Thema.« Den endgültigen Cut wird Voss-Tecklenburg aber wohl erst im letzten Trainingslager in Herzogenaurach vom 21. bis 29. Juni vornehmen: »Wichtig ist, dass wir mit nicht zu vielen Fragezeichen in die EM gehen«, nimmt sie sich noch etwas Zeit.

Wenn die 54-Jährige ehrlich ist, schwebt ohnehin ein großes Fragezeichen über allem – vor allem, was die Leistungsstärke des achtfachen Europameisters in einem sich rasant verschärften europäischen Vergleich angeht. Nach dem Medientag und vor der Kaderreduzierung haben die deutschen Fußballerinnen am Freitag auf dem Adi-Dassler-Sportplatz einen Test gegen ein männliches Juniorenteam ausgetragen, wie üblich hinter verschlossenen Türen. Ansonsten gibt es nur noch ein einziges offizielles Länderspiel: Erst in Erfurt gegen die Schweiz am kommenden Freitag wird jene Elf öffentlich sichtbar, die in ihrem Auftaktspiel der EM gegen Dänemark am 8. Juli in Brentford funktionieren soll.

Danach wartet vier Tage später im Westen von London gegen den Mitfavoriten Spanien ein weiteres Alles-oder-Nichts-Spiel auf ein deutsches Team, das seine einstige Vormachtstellung nicht erst in jüngerer Vergangenheit verspielt hat. Bei realistischer Betrachtung geht’s darum, vor dem letzten Gruppenspiel am 16. Juli gegen Finnland alle Optionen aufs Viertelfinale zu besitzen, wo übrigens Gastgeber England dann der nächste Gegner sein kann. Mindestens bis dahin sollte auch die gute Laune anhalten.

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