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Symbolische Geste an die Ukraine

Der EU-Kandidatenstatus sichert der Ukraine keinesfalls eine Mitgliedschaft, wie die Beispiele Türkei und Montenegro zeigen

  • Fabian Lambeck, Brüssel
  • Lesedauer: 5 Min.

Ein Hauch von Pathos lag in der Luft, als Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitagmittag erklärte: »Die Ukrainer sind bereit, für die europäische Perspektive zu sterben.« Deshalb spreche sich die Kommission dafür aus, das Land zum Kandidaten für den Beitritt zur Europäischen Union zu ernennen. Tatsächlich kann die Kommission hier nur eine Empfehlung aussprechen, die eigentliche Entscheidung liegt bei den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitglieder, die in der kommenden Woche auf einem Gipfel über den möglichen Beitritt diskutieren werden. Die Kommissionspräsidentin räumte am Freitag ein, dass der potenzielle Kandidat noch »viel Arbeit« vor sich habe, und nannte dabei Stichworte wie »Rechtsstaatlichkeit, Oligarchen, Anti-Korruption und Menschenrechte«.

Bereits am Donnerstag hatten Kanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Regierungschef Manuel Draghi bei einem Besuch in Kiew dafür plädiert, der Ukraine den Status eines Beitrittskandidaten zu geben. Vor allem im Falle Macrons überraschte dieses Statement, denn noch vor wenigen Tagen hatte er betont, dass »die Beitrittsperspektive der Ukraine keinerlei Vorteile bringt«. Und so darf man die Einladung der Ukraine zu Beitrittsgesprächen getrost als symbolische Geste bewerten. Das machten Macron und Scholz auch deutlich, indem sie am Donnerstag betonten, dass der Kandidatenstatus die Aufnahme nicht vorwegnehme und auch nicht mit einem Zeitrahmen verbunden sei.

Neben der Ukraine hatten auch Moldawien und Georgien nach dem russischen Überfall einen offiziellen Beitrittsantrag gestellt. Im Falle Moldawiens gab es grünes Licht aus Brüssel, Georgien hingegen müsse »noch einige Bedingungen erfüllen, bevor wir einen Kandidatenstatus empfehlen können«, so von der Leyen am Freitag. Alle drei Bewerber haben eines gemeinsam: ungelöste Territorialkonflikte mit Russland. Allein das wäre ein Ausschlusskriterium. Georgien hat mit Abchasien und Südossetien gleich zwei abtrünnige Regionen, die nicht mehr unter Kontrolle des Landes stehen. Moldawien müsste klarmachen, was aus Transnistrien wird, jener pro-russischen Enklave, die sich in den frühen 90ern abgespalten hat. Und wo derzeit die Grenzen der Ukraine verlaufen, weiß man nicht einmal in Kiew so genau. Sollten die Konflikte nicht gelöst werden oder wieder aufbrechen, wäre die EU bei einem Beitritt des Landes direkt in einen Krieg verwickelt. Denn nach Artikel 42 des EU-Vertrags besteht für die Mitglieder eine Beistandspflicht, wenn ein EU-Staat angegriffen wird. Zwar lässt der Vertrag offen, wie dieser Beistand aussehen soll, doch würde die Union so sicher Kriegspartei. Einen eingefrorenen Konflikt, der jederzeit wieder hochkochen kann, hat sich die EU mit der Aufnahme des geteilten Zypern bereits ins Haus geholt. Die Türkei als Besatzungsmacht im Norden der Insel schürt die Spannungen immer mal wieder.

Wer Mitglied im exklusiven Club der Europäer werden will, muss die sogenannten Kopenhagener Kriterien erfüllen. Dazu zählen etwa die Stabilität der Institutionen, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Schutz von Minderheiten, eine funktionierende Marktwirtschaft und die Übernahme der EU-Standards. Auf allen Feldern hat die Ukraine noch große Defizite. Dabei erfolgte die Weichenstellung Richtung Westeuropa bereits 2014, als das Land das umstrittene Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnete. Solche Abkommen ebnen in der Regel den Weg für eine spätere Mitgliedschaft. Doch der Vertrag mit seinen 486 Artikeln und 1 200 Seiten hat das Land zerrissen. Als sich der damalige Präsident Viktor Janukowitsch 2013 weigerte, das Abkommen zu unterzeichnen, weil die Ukraine damit seine guten Beziehungen zu Russland riskiert hätte, wurde er durch gewaltsame Proteste gestürzt. Erst die Nachfolgeregierung unterzeichnete das Abkommen, das die Ukraine enger an die EU bindet, etwa durch eine Freihandelszone. Das riesige Land mit seinen Ressourcen und billigen Arbeitskräften wurde so attraktiv für westliche Unternehmen.

Ohnehin ist der Kandidatenstatus keine Garantie für eine Aufnahme, wie das Beispiel Türkei zeigt. Zur Erinnerung: Ankara ist bereits seit 1999 Beitrittskandidat. Die Verhandlungen wurden aufgrund der vielen Probleme mit der autokratischen Erdogan-Regierung abgebrochen. Derzeit rechnet niemand mehr mit einer Vollmitgliedschaft der Türkei. Neben der Türkei stehen auch Nordmazedonien, Albanien, Serbien und Montenegro auf der Warteliste der EU. Keines der Länder erfüllt die Kriterien für eine schnelle Mitgliedschaft. Deshalb ziehen sich die Verhandlungen über viele Jahre, wie das Beispiel Montenegro zeigt, das 2010 den Kandidatenstatus erhielt. Die Beitrittsgespräche mit dem kleinen Adriastaat begannen erst 2012. Einige Jahre später hatte die Kommission in ihrer Strategie für den Westbalkan noch erwartet, dass Montenegro 2025 beitreten könnte. Doch derzeit glaubt in Brüssel niemand, dass Montenegro noch in diesem Jahrzehnt Mitglied wird. Und manchmal kommt es auch gar nicht erst zu Verhandlungen, weil ein EU-Mitglied sein Veto einlegt, wie etwa Bulgarien im Falle Nordmazedoniens.

Angesichts der langwierigen Vorgänge gibt es Forderungen von den östlichen Mitgliedern, den Beitrittsprozess zu beschleunigen. Doch dafür gibt es keine Mehrheiten in der EU und vor allem kein Verfahren. Die französische Ratspräsidentschaft bereitet hinter den Kulissen einen Kompromiss vor, wie das stets gut informierte Magazin »Politico« berichtet. Demnach kursiert in Brüssel ein sogenanntes Non-Paper von Premier Macron, das eine »Europäische Politische Gemeinschaft« vorschlägt, die aus Nicht-EU-Mitgliedern wie der Ukraine und Großbritannien bestehen könnte. Diese Gemeinschaft »wäre offen für europäische Staaten, die gemeinsame demokratische Werte teilen, unabhängig davon, ob sie Mitglieder der Union sind oder nicht, und unabhängig von der Art ihrer derzeitigen Beziehung zur Europäischen Union: ob sie ihr beitreten wollen, sie verlassen haben, nicht beabsichtigen, ihr beizutreten, oder nur durch wirtschaftliche Vereinbarungen mit ihr verbunden sind«, heißt es in dem Dokument. Inwiefern die EU hier bezüglich der Ukraine zweigleisig fahren könnte, also mit der Vergabe einer Beitrittskandidatur und Mitgliedschaft in diesem Club der Außenseiter, ist derzeit nicht klar.

Klar ist jedoch, dass auf dem EU-Gipfel in der nächsten Woche alle 27 Mitgliedsstaaten für die Aufnahme eines Beitrittsverfahrens stimmen müssten. Das Veto eines Landes würde genügen, um den Prozess zu stoppen. Wenn sich also die Staats- und Regierungschef zum letzten Gipfel unter französischer Ratspräsidentschaft treffen, müsste Einstimmigkeit erzielt werden. Angesichts der vielen Bedenkenträger in Westeuropa, wie etwa Portugal oder die Niederlande, ist das keinesfalls sicher.

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