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Abbruch in Riesa
Debatte über Antrag zur Außen- und EU-Politik endet im Chaos / Doppelspitze aus Chrupalla und Weidel führt künftig die AfD
»Was sollen die Leute nun von uns denken?«, fragt ein Delegierter hörbar entnervt, als er gerade die Sachsenarena verlässt. Ein anderer antwortet ihm fragend: »Was haben wir dieses Wochenende eigentlich geschafft?« Die Suche nach der Antwort dürfte viele der mehr als 500 AfD-Mitglieder beschäftigen, die sich für drei Tage im sächsischen Riesa zum Bundesparteitag trafen.
Dieser nahm am späten Sonntagnachmittag eine chaotische Wendung, die am Ende sogar zum vorzeitigen Abbruch des Delegiertentreffens führte. Vorausgegangen war ein über mehr als zwei Stunden andauernder erbitterter Streit über einen Antrag aus dem Lager der Völkischen. Inhaltlich geht es um die Verabschiedung einer Resolution zur künftigen EU-Politik der Partei. In dem Antrag, der unter anderem von Björn Höcke und Alexander Gauland verfasst wurde, wird die Forderung nach einer Auflösung der Europäischen Union gestellt. An ihre Stelle soll stattdessen ein Staatenbündnis treten, das sich nur noch auf einen gemeinsamen Wirtschaftsraum sowie die Abwehr an den Außengrenzen konzentriert.
Der Antrag wird heftig diskutiert, Kritik gibt es an zahlreichen Details und Formulierungen. Wiederholt gibt es Anträge, die Resolution an verschiedene Fachausschüsse und andere Parteigremien zu überweisen, die jedoch zunächst allesamt mit knapper Mehrheit abgelehnt werden. Die Situation ist verfahren, die Stimmung immer aufgeheizter. Erst als Bundessprecher Tino Chrupalla mit einer Handvoll AfD-Landesvorsitzenden im Rücken von der Bühne aus den Antrag stellt, die Resolution an den neu gewählten Bundesvorstand zur weiteren Bearbeitung zu übertragen, gibt es dafür vom Parteitag eine knappe Mehrheit. Der Parteitag ist danach allerdings so festgefahren, dass schließlich ein Antrag auf vorzeitigen Abbruch der Delegiertenversammlung gestellt wird. Viele inhaltliche Fragen bleiben damit in Riesa ungeklärt, die AfD geht völlig zerstritten auseinander.
Eine ähnliche, wenn auch insgesamt weniger dramatische Situation gab es bereits am Freitag. Es ist Tag eins des AfD-Bundesparteitags, und bevor die Delegierten einen neuen Parteivorstand wählen können, muss der alte zunächst entlastet werden. Während es sich bei anderen Parteien dabei eher um eine Formsache handelt, entwickelt sich bei der AfD daraus regelmäßig eine sich hochschaukelnden Generalabrechnung mit der Parteiführung. Chrupalla muss bis auf wenige Antworten den aufgestauten Ärger vieler Mitglieder allein bewältigen, die übrigen Vorstandsmitglieder halten sich weitestgehend raus. Als alleiniger Bundessprecher nach dem Austritt von Jörg Meuthen wird Chrupalla für vieles in Haftung genommen, was in der AfD falsch läuft. Unter anderem soll er beantworten, warum die AfD bei Wahlen und gleichzeitig auch an Mitgliedern verliert. Seine universelle Begründung: Der ausgetretene Ex-Vorsitzende trage die Schuld. Die Stimmung ist zunehmend gereizt, da mischt sich Alice Weidel ein, zu diesem Zeitpunkt noch AfD-Vizevorsitzende. In einer Art Machtwort ruft sie die Delegierten in der Sachsenarena dazu auf, nach vorne zu blicken. Der Saal jubelt euphorisch, die Generalabrechnung mit Chrupalla ist beendet, der Vorstand entlastet, jedoch mit einer Ausnahme: Gegen ihr Ex-Mitglied Meuthen will sich die Partei rechtliche Möglichkeiten offenhalten. Doch die Aussprache ist auch ein Stimmungstest und ein Hinweis darauf, wer in der künftigen Parteiführung das Sagen hat, wie sich noch zeigen wird.
Viel ist vor diesem Parteitag spekuliert worden, ob Chrupalla die Wiederwahl zum Bundessprecher gelingt. Sein Herausforderer, der Bundestagsabgeordnete Norbert Kleinwächter, ist das letzte Aufgebot und die Hoffnung des ehemaligen Meuthen-Lagers. Er tritt gegen Chrupalla bei der Wahl zum ersten Bundessprecher an, hält eine durchaus bejubelte und rhetorisch geschickte Rede, doch mehr als ein Achtungserfolg mit rund 36 Prozent ist am Ende für Kleinwächter nicht drin. Da außerdem knapp zehn Prozent der Delegierten keinen der beiden Kandidaten favorisieren, bleiben für Chrupalla magere 53,4 Prozent übrig. Das reicht zwar für die notwendige absolute Mehrheit der Stimmen, aber eben nur knapp. Ein starker Vorsitzender sieht anders aus. Es ist das schlechteste Ergebnis eines Bundesvorsitzenden in der AfD-Geschichte. Dabei hatte Chrupalla versucht, sich in seiner Bewerbung als Sprecher der Parteibasis darzustellen: »Wenn ich angegriffen werde, dann nur, um die Basis zum Scheitern zu bringen«, behauptet der Vorsitzende. Und: »Es geht hier nicht um mich.« Gleichzeitig aber betont Chrupalla, als Malermeister mit einem erfolgreichen Betrieb hätte er es gar nicht nötig gehabt, in die Politik zu gehen.
Deutlich besser läuft es für Alice Weidel, obwohl diese mit Nicolaus Fest ebenfalls Konkurrenz bekommt. Das heißt, eigentlich ist die Ökonomin die eigentliche Herausforderin des früheren »Bild«-Journalisten, weil Weidel im Gegensatz zu Fest bis zum Schluss ein Geheimnis daraus machte, ob sie als Bundessprecherin kandidiert. Ihre Rede wird besonders an jenen Stellen bejubelt, an denen sie auf Meuthen zu sprechen kommt. Über dessen vor einigen Tagen erfolgten Eintritt in die politisch unbedeutende Zentrumspartei hat Weidel nur Spott übrig. Für die Bekanntgabe hätte es keines teuer angemieteten Raumes bedurft, sondern es hätte auch »ein Beichtstuhl auf einem Friedhof ausgereicht«. Die Abrechnung mit der Ära Meuthen kommt an, Nicolaus Fest dagegen nicht. Seine Rede beschreibt ein Delegierter als »AfD-Bashing«, tatsächlich steckte darin beinahe zu viel Ehrlichkeit. »Putinisten gegen Transatlantiker, Flügelianer gegen Meuthenianer, Zeltpinkler gegen Jogginghosen«, fasst Fest den Machtkampf in der AfD zusammen und geht damit unter. Nur knapp 20 Prozent stimmen für ihn, Weidel erhält 67,3 Prozent der Stimmen. Zwar übt sich das Duo Chrupalla/Weidel auf dem Parteitag in Riesa in demonstrativer Geschlossenheit, fraglich ist aber, ob beide auch tatsächlich gleichberechtigt miteinander arbeiten können, da die Ökonomin vom Bodensee bei ihrer Wahl ein deutlich besseres Ergebnis erzielte als der Görlitzer Malermeister.
Beim eigentlichen Chef im Hintergrund handelt es sich um jemanden, der zwar mit einer Bewerbung vor dem Parteitag wieder einmal kokettierte, letztendlich aber in Riesa nicht kandidierte. Björn Höcke war auf diesem Bundesparteitag omnipräsent, gleich zu Beginn gelang ihm ein wichtiger Erfolg, für den es mit einer notwendigen Zweidrittelmehrheit hohe Hürden gab. Am Freitag beschlossen die Delegierten eine Satzungsänderung, wonach es in der AfD künftig nur noch einen oder zwei Vorsitzende braucht, bisher war eine Doppelspitze mit Option auf ein Trio vorgeschrieben. Dass Höcke die Einzelspitze will, daraus macht er keinen Hehl. Fast gönnerhaft erklärt er, der Riesaer Parteitag möge noch einmal zwei Bundessprecher*innen wählen. Höckes Kalkül geht auf. Bloß nicht mit dem Kopf durch die Wand. Die Delegierten folgen ihm. Es ist jedoch ebenso ein Wink, dass der Thüringer AfD-Landesvorsitzende zunächst noch andere Ziele verfolgt. Am Sonntag wollte der Parteitag eigentlich über einen Antrag Höckes zur Einsetzung einer Strukturkommission verhandeln. Deren Ziel soll es sein, Vorschläge für eine Neuordnung der Delegiertentreffen und des Bundesvorstands zu erarbeiten. Das Gremium und dessen Leitung wird von der Parteiführung benannt, dass Höcke auf den Vorsitz hofft, ist in Riesa ein offenes Geheimnis. Ebenfalls überdenken soll die Kommission das Verhältnis der AfD zur parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES). Doch Höckes Antrag kommt am Ende nicht mehr zur Abstimmung, er ist eines von mehreren Opfern des chaotischen Sonntagnachmittags.
Bevor es zu diesem dramatischen Ende in Riesa kam, beschäftigte sich der Parteitag am Samstag den ganzen Tag mit Wahlen. Überraschend kandidiert die DES-Vorsitzende Erika Steinbach, eine Gegnerin des völkischen Lagers, für das Amt der stellvertretenden Parteivorsitzenden. Die frühere CDU-Politikerin ist der letzte Versuch der Ex-Meuthen-Getreuen, auf diesem Parteitag einen Durchmarsch des Höcke-Lagers zu verhindern. Steinbach scheitert, unterliegt dem bayerischen Bundestagsabgeordneten Peter Boehringer, der bekannt dafür ist, Verschwörungserzählungen zu verbreiten.
Was alle auf dem Bundesparteitag längst wissen, erklärt Stephan Brandner, ebenfalls ein Höcke-Getreuer, in seiner erfolgreichen Bewerbung als stellvertretender Vorsitzender. »Wir brauchen einen homogenen Parteivorstand«, fordert der Thüringer. Er sagt offen jene Wahrheit, die Bundessprecher Chrupalla weiter zu kaschieren versucht. Noch am Samstagabend behauptet der wiedergewählte Parteichef in Interviews, der neue Bundesvorstand setze sich lagerübergreifend zusammen. In Wirklichkeit aber gelang es den Völkischen, ihre vor dem Parteitag als »Liste Chrupalla« bekannt gewordenen Personalvorschläge weitestgehend durchzusetzen. Mit in den Parteivorstand als Beisitzer gewählt wurden unter anderem Martin Reichardt, AfD-Vorsitzender im von den Völkischen kontrollierten Landesverband Sachsen-Anhalt, und auch der Vorsitzende der Jungen Alternative, Carlo Clemens.
Nicht auf Chrupallas Liste stand Mariana Harder-Kühnel, die hessische Bundestagsabgeordnete wurde zur dritten stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt. Sie forderte eine Führung, die geschlossen »wie eine Mannschaft« zusammenarbeite. Genau das wollte auch Höcke in Riesa erreichen. Als die Wahlen am Samstagabend ganz in seinem Sinne ausgehen, spricht er in die Mikros der Journalist*innen, dies sei ein Bundesvorstand ganz nach seinem Geschmack. Dass dieser keine 24 Stunden später seine erste Krise erlebt, ahnte da noch niemand.
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