Am Tropf des russischen Öls

Die Zukunft der PCK-Raffinerie in Schwedt ist ungewiss. Das lässt kaum einen in der Stadt kalt

  • Ramon Schack
  • Lesedauer: 8 Min.
PCK-Raffinerie Schwedt – Am Tropf des russischen Öls

Mohnblumen, die sich durch Rapsfelder brechen. Immer weiter Richtung Nordost. Sanfte Hügel, kleine Dörfer, die Zeit scheint stehengeblieben. Von Berlin nach Schwedt geht die Fahrt quer durch die Uckermark, eine dünn besiedelte Region. Noch bevor Schwedt sichtbar wird, ragt die Skyline der PCK-Raffinerie in den Himmel, jenes Erdölverarbeitungswerk, das die Stadt prägt und am Leben hält.

Die Stadt Schwedt ist ein Mythos und eine Projektionsfläche zugleich. »Chemie gibt Brot, Wohlstand und Schönheit«, lautete die Parole, mit der die DDR 1958 ihren permanenten Zustand der Rohstoffarmut überwinden wollte. Aber der Aufbau eines eigenen Chemiesektors war nicht leicht. Neben der Massenflucht von Facharbeitern in den Westen fehlte vor allem der Zugang zu billigem Erdöl – der wichtigste Grundstoff bei der Kunststoffverarbeitung. Deshalb vereinbarten die Sowjetunion, Polen, Ungarn, die Tschechoslowakei und die DDR den Bau eines über 5000 Kilometer langen Pipelinenetzes, durch das Öl vom südlichen Ural aus in die sozialistischen Bruderländer gepumpt werden sollte.

In Schwedt endet die Druschba-Pipeline. Von dort werden vor allem große Teile Ostdeutschlands mit Ölprodukten versorgt. Heute gehört die Raffinerie dem russischen Konzern Rosneft und ist der wichtigste Lieferant für Mineralölerzeugnisse im Raum Berlin-Brandenburg. Rund 1200 Menschen arbeiten in der PCK-Raffinerie, hinzu kommen mehrere Hundert Arbeitsplätze bei Zulieferern – die jetzt akut bedroht sind.

Rund ein Monat ist vergangen, seit Wirtschaftsminister Robert Habeck die Stadt und die Raffinerie besuchte. Das war kurz nachdem sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für einen Boykott von russischem Öl ausgesprochen hatte. Habeck äußerte sich in Schwedt vor der Belegschaft vorsichtiger: »Ich will Sie nicht vergackeiern und Ihnen auch nicht irgendwie den Himmel rosarot malen«, sagte der Grünen-Politiker. Der Anteil von russischem Öl am deutschen Verbrauch ist seit Beginn des Ukraine-Kriegs von 35 auf 12 Prozent gesunken. Diese 12 Prozent werden fast ausschließlich in der Raffinerie in Schwedt verarbeitet.

Trotz dieser düsteren Aussichten für den Raffinerie-Standort wirkt Schwedts Bürgermeisterin Annekathrin Hoppe weder resigniert noch in Aufruhr oder ängstlich. Seit Ende letzten Jahres ist die 60-Jährige im Amt, zunächst parteilos. Kurze Zeit später trat sie der SPD bei und setzte damit die sozialdemokratische Tradition der Amtsinhaber seit 1990 fort. Die Stimmung in der Stadt habe sich seit den letzten vier Wochen deutlich verschlechtert, erzählt sie. Man wäre anders mit der Stadt umgegangen, wenn der Industriestandort im alten Bundesgebiet läge, ist sich die Bürgermeisterin sicher.

Immerhin wähnt sie die Brandenburger Landesregierung an ihrer Seite. Die hat sich für einen Erhalt der Raffinerie ausgesprochen. In einem Brief an Habeck fordern Finanzministerin Katrin Lange und Wirtschaftsminister Jörg Steinbach, den wirtschaftlichen Weiterbetrieb sicherzustellen. »Die Zukunft der Raffinerie muss gesichert werden, alle Arbeitsplätze müssen zu 100 Prozent erhalten bleiben«, heißt es in dem Brief der sozialdemokratischen Minister vom Mittwoch. »Ein Rückzug vom Markt, wie auch immer verursacht, würde zu mehr als 2000 Arbeitslosen und einer gesellschaftlichen Destabilisierung der Region führen.«

Annekathrin Hoppe fürchtet, dass vor allem die AfD von einem solchen Szenario profitieren könnte. Bei der letzten Kommunalwahl erhielt die rechtsradikale Partei bereits die zweitmeisten Stimmen. »Momentan sind wir darauf bedacht, die Stadt in den Medien präsent zu halten«, betont Hoppe. So will man auf die Folgen einer Schließung der Raffinerie aufmerksam machen.

Noch Ende Mai zeigte sich die Bürgermeisterin optimistisch. »Solange wir das russische Öl verarbeiten dürfen, ändert sich nichts«, sagte Hoppe im Gespräch mit dem »Bayerischen Rundfunk«. Inzwischen hat sich die Ausgangslage jedoch grundlegend geändert, denn es gibt Vorwürfe, die Raffinerie sei schuld an der Preisentwicklung. Auch die Stadt steht in der Kritik, sie habe den nötigen Strukturwandel verschlafen, heißt es. Bürgermeisterin Hoppe lässt sich davon nicht beeindrucken. »Wir tun, was wir können«, erklärt sie.

Im Stadtzentrum von Schwedt, eine architektonische Kombination von renovierten Plattenbauten und restaurierten Straßenzügen, ist nicht viel los. Plakate von der AfD und der Linkspartei hängen an den Laternen und rufen zur Rettung der Raffinerie auf. Die gesamte wirtschaftliche Dynamik der Provinzstadt scheint sich im Oder-Center zu ballen, einem großen Einkaufszentrum. Dennoch hat Schwedt ein lebendiges Kulturleben, das sich seit dem Wendeherbst 1989 erhalten hat. Zu DDR-Zeiten zogen Menschen aus allen Teilen der Republik in die aufstrebende Stadt. Ebenso wie in Leuna, Hoyerswerda oder Eisenhüttenstadt prägte ein Kombinat die Wirtschaft, um die herum sich das städtische Leben entwickelte. 1989 überstieg die Einwohnerzahl in Schwedt die Grenze von 50 000.

Das Ende der DDR führte jedoch zu einer ökonomischen Talfahrt, was zu politischen Verwerfungen führte. Zu Beginn der 90er Jahre galt die Stadt als Hochburg des Rechtsextremismus. »Die Stadt gehört uns« lautete der Titel einer TV-Dokumentation von 1993 über die brutale Neonazi-Szene in Schwedt. Rechte Schläger demonstrierten darin ihre Macht.

»Ja, ich fürchte, dass solche Zeiten zurückkehren könnten«, meint Diana B., eine technische Zeichnerin, die in Schwedt aufgewachsen ist und mit ihrer Tochter an einem Eiswagen steht. Sie kehrte nach dem Abitur der Stadt den Rücken, absolvierte in Berlin ihre Ausbildung und kehrte vor drei Jahren mit ihrem Mann – einem gebürtigen Hessen – an die Oder zurück. »Wenn es Habeck und Co. schaffen, dass in der Raffinerie die Lichter ausgehen, dann versetzen sie der Stadt einen Todesstoß«, meint die Enddreißigerin, während sie ihrer Tochter den eisverschmierten Mund abwischt. »Eines kann ich ihnen sagen, ich würde heute jede Partei wählen, aber nicht mehr die Grünen.« Die Eisverkäuferin, die gerade eine neue Kollegin aus der Ukraine einweist, wischt sich ihre Hände an der Schürze ab und stimmt in die Klage ein. »Wir alle dachten, wir sind über dem Berg. In den letzten Jahren ging es schließlich aufwärts. Und nun das!«

Überall in der Stadt hängen Veranstaltungshinweise für einen »Rückkehrer-Tag« am kommenden Freitag, mit dem die Stadt ehemalige Einwohner zurück in die Heimat locken will. Derzeit leben in Schwedt nämlich nur noch knapp 30 000 Menschen. Lars, 51, ist schon vor Jahrzehnten wieder zurückgekehrt. Zusammen mit seiner Hündin Leila sitzt er auf einer Bank am Kanal, einem Teilstück der Havel-Oder-Wasserstraße mit direkter Verbindung zur Ostsee. Er trägt ein T-Shirt der Band Freiwild. 1989 flüchtete der gelernte Schlosser, der in der Raffinerie seine Ausbildung absolviert hat, über Prag in die Bundesrepublik. 1991 kehrte er aber wieder nach Schwedt zurück. »Die Wessis sind doch irgendwie blöde. Ich war unten in Bayern, sollte dann sonntags zum Gottesdienst. Scheibenkleister, da habe ich dann wieder rüber in den Osten gemacht«, erklärt er lachend, während er sich eine Zigarette dreht.

Schwedt ohne die Raffinerie kann er sich kaum vorstellen, auch wenn er heute dort nicht mehr arbeitet. »Natürlich werden wir hier vergackeiert von Habeck und Co. Den Grünen ist doch Schwedt und die Raffinerie ganz egal. Die werden hier eh kaum gewählt, also können die alles platt machen. Wenn du mich fragst, machen die so lange weiter, bis es knallt. Deshalb wähle ich auch die AfD«, sagt er. »Aber nur aus Protest.«

Nur wenige Gehminuten entfernt, in der Berliner Allee, offenbart sich eine ganz andere Welt. Leokadia Hateville führt durch die »Grüne Villa«. Sie ist Mitglied der Schwedter Kunstbanausen, ein Künstlertrio, zu dem auch Stefan Lange und André Sonnefeld gehören. Vor allem mit Graffiti machte es sich in der Region einen Namen. Die Räume der Villa wurden im Jugendstil hergerichtet – in Eigenregie und selbst finanziert, betonen Hateville und Lange. Es gab nämlich schon Gerüchte, wonach das Trio öffentliche Gelder für die Sanierung erhalten habe. Die 1928 erbaute Villa war in einem baufälligen Zustand, sollte eigentlich abgerissen werden. Aber dann bot die Stadt den Künstlern das Haus zum Kauf an, verbunden mit der Auflage, dass es öffentlich zugänglich bleibt. In der oberen Etage und im Dachgeschoss, wo einmal die Staatssicherheit ihren Dienstsitz hatte, befinden sich Wohnungen. Die untere Etage wurde zur Galerie und Kleinkunstbühne.

»Rosneft ist ein großer Sponsor der hiesigen Kunstszene«, erklärt Lange, der 1981 in Schwedt geboren wurde. »Wenn es mit der Raffinerie abwärtsgeht, leiden auch Kunst- und Kultur.« Hateville und Lange hängen an Schwedt, das merkt man ihnen an, wenn sie von ihrer Kindheit in inzwischen längst abgerissenen Plattenbauten erzählen und von Freunden, die schon vor langer Zeit weggezogen sind, sowie dem Terror rechter Jugendbanden. »Manche sind jetzt superlinks«, sagt Hateville. »Andere sind aufs Land gezogen und betreiben völkische Landwirtschaft. Aber viele wurden wieder normal«, ergänzt Lange schmunzelnd.

Die geplante Eröffnung der Grünen Villa im Sommer 2021 musste wegen der Corona-Pandemie verschoben werden. Und jetzt macht den Kunstschaffenden die Krise um die Raffinerie zu schaffen. Beide fürchten den Tag, an dem sie stillgelegt wird. »Irgendwie fühle ich mich schon jetzt wieder stigmatisiert«, sagt Hateville, während sie über eine Grünfläche läuft, auf der einst zehnstöckige Platten standen. »Manchmal schreiben mir Leute, ob ich da wohnen würde, wo das Russen-Öl ankommt oder ähnliches.«

Ein paar Tage später erklärt Wirtschaftsminister Habeck, Schwedt habe das Zeug, es Leuna nachzumachen. Als er den Raffineriestandort in Sachsen-Anhalt vor einigen Wochen besucht habe, seien dort bereits etwa 80 Prozent der Öllieferungen aus Norwegen gekommen. Leuna habe sich rechtzeitig aus der Abhängigkeit von russischem Öl befreit, so der Wirtschaftsminister. In diese Richtung müsse sich auch Schwedt bewegen, forderte er.

Am Freitag dann verkündete die Bundesregierung, dass man der PCK-Raffinerie in Schwedt eine Produktionsgarantie für die nächsten Jahre gewährt. Offenbar ist sie dazu bereit, Schwedt mit Öl aus Venezuela beliefern zu lassen. »Hier wird auch ab 1. Januar 2023 weiter Rohöl verarbeitet«, erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Michael Kellner, nach einem Gespräch mit dem Betriebsrat.

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