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Risse in der Globalisierung
Angst vor einer tiefen Wirtschaftskrise überschattet den G7-Gipfel der Westmächte auf Schloss Elmau
»Jetzt brennt es lichterloh«, gab Industriepräsident Siegfried Russwurm dem Bundeskanzler mit auf den Weg nach Schloss Elmau. In der bayerischen Provinz beginnt am Sonntag der dreitägige Gipfel der Gruppe der Sieben (G7). Auch Christian Lindner gab diese Marschroute vor. Der FDP-Bundesfinanzminister warnt: »Es besteht die Gefahr einer sehr ernst zu nehmenden Wirtschaftskrise aufgrund der stark gestiegenen Energiepreise, aufgrund der Lieferkettenprobleme, aufgrund auch der Inflation.«
Während in Europa und Nordamerika die Preise um sieben bis neun Prozent nach oben rasen, in deren Peripherie sogar zweistellig, glänzt Japan noch mit einer geringen Inflationsrate von rund zwei Prozent. Notenbanken, die eigentlich für stabile Preise zuständig sind, wirken hilflos. Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, kündigte auf einer Krisensitzung für Juli ein neues Programm an, um wenigstens zu verhindern, dass Ländern wie Italien oder Griechenland angesichts steigender Zinsen die Staatsschulden über den Kopf wachsen.
Eine andere Baustelle für die deutsche G7-Ratspräsidentschaft ist die sogenannte Kohäsion unter den sieben beteiligten Industriestaaten. Die Wahlerfolge, die linke und rechte Parteien während der vergangenen Jahre in nahezu allen G7-Staaten verzeichnen konnten, werden von den Regierungen auf eine wachsende soziale Kluft zurückgeführt. Daher soll die Innen- und die Wirtschaftspolitik konsequenter auf »soziale Inklusion« hin ausgerichtet werden, um inneren Zusammenhalt und politische Stabilität zu sichern.
Das aber kann kaum gelingen. Der Nahrungsmittelpreisindex der Welternährungsorganisation FAO steigt seit rund 20 Jahren höher und höher. Inflationäre Energiepreise verteuern nun Lebensmittel noch mehr, jetzt auch im Westen. Hinzu kommen die Kriegs- und Embargofolgen in Russland und der Ukraine. Beide Länder sind bedeutende Getreide-Exporteure.
Außenminister und Regierungschefs der G7 befassen sich schon länger mit dem Thema Ernährungskrisen, bislang ohne sichtbare Folgen. Ohnehin enthielt das ursprüngliche Programm der deutschen G7-Präsidentschaft nur vereinzelt Agrarbezüge, etwa bei Klimaschutz in der Landwirtschaft. Verbessert werden sollen nun die Kriseninformationssysteme, und die Märkte, die nicht von den westlichen Industriestaaten sanktioniert werden, sollen offen gehalten werden.
Daher setzen Kanzler Scholz und andere Regierungschefs wieder stärker auf die Welthandelsorganisation (WTO) und drängen auf Einhaltung der (wirtschaftsliberalen) Regeln. Dabei zeichnen sich politisch immer deutlicher zwei Wirtschaftsblöcke ab, einerseits USA/EU, andererseits China/Russland.
Immer mehr Hürden erschweren den globalen Handel, beklagen die Wirtschaftsverbände aus den G7-Staaten, die sich im Lobbybündnis B7 (Business7) zusammengetan haben. Sie schickten einen detaillierten, elfseitigen Forderungskatalog nach Schloss Elmau. Tatsächlich werden laut einer aktuellen Studie der Universität St. Gallen derzeit 80 Prozent aller europäischen Maschinenbauexporte durch »Protektionismus« behindert. Sie träfen auf Zollschranken, subventionierte Konkurrenten oder staatliche Exportfördermaßnahmen. Umgekehrt schotte sich aber auch die EU ab, so die Autoren. Gleiche Handelshemmnisse ließen sich für Lebensmittel, Chemieprodukte oder Industrieroboter zeigen.
Die G7 ist – wie die G20, in der auch große Schwellenländer dabei sind – keine internationale Organisation, sondern ein informelles Forum der Staats- und Regierungschefs. Der Gruppe gehören Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA an. Außerdem ist die EU bei allen Treffen vertreten. Seit der Finanzkrise war die G7 – die gerade mal für ein Zehntel der Weltbevölkerung steht – von der ökonomisch bedeutenderen G20 in den Schatten gestellt worden. Corona, Bidens US-Präsidentschaft und Ukraine-Krieg lassen die führenden westlichen Wirtschaftsnationen, welche sich auf liberale Werte berufen, nun aber wieder enger zusammenrücken. »The West against the Rest«, analysiert der Informationsdienst German Foreign Policy.
Gleichzeitig versucht »the West«, seinen globalen Einfluss gegenüber der Achse China-Russland zu erweitern. Mit Argentinien, Indien, Senegal und Südafrika sind wichtige Regionalmächte als Gastländer nach Schloss Elmau eingeladen, mit Indonesien zudem die aktuelle G20-Präsidentschaft. Indonesiens Präsident Joko Widodo reist in der kommenden Woche weiter in die Ukraine und nach Russland, um deren Präsidenten zu treffen.
In Elmau wird insbesondere Südafrikas Regierung, die sich gemeinsam mit Indien für die Aufhebung von Patenten für Covid-Impfstoffe stark gemacht hatte, Gerechtigkeitsfragen einbringen, erwartet die Stiftung Wissenschaft und Politik. Zudem dürfte Südafrika die Herausforderungen vieler Staaten aufgrund der sozioökonomischen Folgen der Pandemie thematisieren.
Verschärft wird die Situation derzeit vor allem in armen Ländern ohne nennenswerten Getreideanbau – viele waren vor der arbeitsteiligen Globalisierung noch Selbstversorger – dadurch, dass der Ukraine-Krieg auch Erdgas verknappt und verteuert. Dies ist der wichtigste Rohstoff für die Herstellung von Kunstdünger.
Dabei ist der globale Süden den Krisenfolgen viel unmittelbarer ausgesetzt als der Norden. Dazu tragen auch die nach wie vor knirschenden Lieferketten bei, die nicht nur Hightech-Chips in Autofabriken in Europa zur Mangelware machen, sondern auch im globalen Süden Ersatzeile für Fahrstühle und eben Kunstdünger oder Saatgut.
Dort wie hier stoßen Gipfel-Politiker an ihre Grenzen. Die Globalisierung, der Trend von Märkten und Kapital zu immer mehr materieller Effizienz und Beschleunigung lässt sich nicht einfach zurückschrauben. Alles hängt irgendwie mit allem zusammen, lautet die Mahnung, die über Schloss Elmau schwebt. Das will die Wirtschaftslobby nicht wahrhaben. Industriepräsident Russwurm trotzig: »Die Globalisierung wird auch im Falle geopolitischer Blockbildungen weitergehen.«
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