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Es ist nicht vorbei
#LinkeMeToo: Aktive des Jugendverbandes fordern mehr Engagement gegen Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe
Die Berichte, die Aktive des Jugendverbands Solid am Freitagabend auf der Parteitagsbühne der Linken in Erfurt vortrugen, schienen für viele Delegierte ein Weckruf zu sein. 20 junge Genoss*innen hatten gemeinsam die Parteitagsbühne betreten und erschütternde Schilderungen von Betroffenen sexueller Belästigung, von Nötigung und Vergewaltigung verlesen. Sie trugen ein großes Transparent mit sich. Darauf war zu lesen: »Täterschutz zerschlagen!« Was darunter in kleinerer Schrift stand, steht ganz in der Tradition der Frauenbewegung der 70er, die postuliert hatte, das Private sei politisch: »Alle Täter sind politische Verräter«.
Die Linke hat sich seit ihrer Gründung vor 15 Jahren als feministische, der Gleichstellung und Gleichberechtigung aller verpflichtete Partei definiert. Doch ganz offenkundig tummeln sich auch hier Personen, überwiegend Männer, die Machtpositionen massiv missbrauchen. Einer der vorgetragenen Fälle: Da sprechen zwei Männer im Fahrstuhl eines Parlaments in Gegenwart einer jungen Mitarbeiterin über deren Aussehen: Hübsch, vielleicht ein bisschen groß, habe einer zum anderen über sie gesagt. Aber das sei ja »im Liegen egal«. Andere Fälle zeigen das Erpressungspotenzial, das auch kleine Machtpositionen bieten: So berichtet eine alleinerziehende junge Frau im Hartz-IV-Bezug, ihr sei von einem Linke-Hauptamtlichen eine Stelle angeboten worden – unter der Voraussetzung, dass sie nicht in Konkurrenz zu ihm für ein bestimmtes Parteiamt kandidiere.
Kampagne oder Aufschrei?
Wenn Jakob Hammes, einer der Sprecher von Solid, angesichts dessen sagt, er sei voller Wut, ist das verständlich. Jan Schiffer, ebenfalls Solid-Sprecher, sagte, es hätten sich »unzählige« Personen mit Sexismus- und Gewalterfahrungen beim Jugendverband gemeldet. Die Verantwortlichen in der Parteispitze und in Landes- und Fraktionsvorständen hätten darauf nicht angemessen reagiert, sondern vielmehr häufig ihrerseits Vorwürfe erhoben. Es seien »wildeste Verschwörungstheorien« in Umlauf gebracht worden, so Schiffer. So habe ein stellvertretender Landesvorsitzender der nordrhein-westfälischen Linken nach der Niederlage bei der Landtagswahl im Mai eine Pressemitteilung herausgegeben, in der er sinngemäß erklärt habe, der Jugendverband habe die »MeToo-Kampagne aus purer Streitlust« gestartet. Viele Genoss*innen tendierten dazu, »wirklich alle als Schuldige am Skandal ausmachen – außer den Tätern«.
Seit zwei junge Frauen gegenüber dem »Spiegel« über ihre Erfahrungen mit Genossen aus dem hessischen Landesverband sprachen, der im April dazu einen langen Artikel brachte, rumort es in der Partei. In den sozialen Medien wurden in der Folge aus dem Jugendverband massive Beschuldigungen insbesondere gegen Parteichefin Janine Wissler erhoben. Der Hintergrund: Einer der Beschuldigten in der Sexismusdebatte der Linken, die in den Onlinemedien unter dem Stichwort #LinkeMeToo geführt wird, ist der ehemalige Lebensgefährte der Bundesvorsitzenden. Der Mann, Anfang 40, hatte eine eineinhalb Jahre oder länger währende Affäre mit einer jungen Frau – eine der beiden Protagonistinnen des »Spiegel«-Artikels –, deretwegen sich Wissler schließlich von ihm trennte.
Die junge Frau, die zu Beginn der Affäre noch nicht volljährig war, warf Wissler im Nachhinein vor, sie habe der Politikerin einen Hilferuf wegen sexueller Übergriffe gesendet. Was Wissler vehement bestreitet. Die junge Frau hatte Wissler geschrieben, sie drehe durch, wenn der Mann noch einmal abends auf ihrem Balkon erscheine und drängend Einlass begehre.
Versäumnisse eingeräumt
Wissler hatte über die ihr zugetragenen Vorwürfe zweier junger Frauen im vergangenen November Fraktions- und Landesvorstand von Hessen informiert. Seit Januar, so berichteten die Vorsitzende der Linksfraktion im Hessischen Landtag, Elisabeth Kula, und der stellvertretende Landesvorsitzende Michael Erhardt in der Parteitagsdebatte, stehe man »in engem Kontakt zu Betroffenen sexualisierter Gewalt«, Landes- und Fraktionsvorstand hätten eine »externe Vertrauensgruppe« mit unabhängigen Fachleuten und Beraterinnen eingerichtet, ein Präventionskonzept entwickelt. Die Beschuldigten seien freigestellt worden, sagte Kula und fügte hinzu: »Dass uns adäquate Strukturen fehlen, ist uns schmerzlich bewusst geworden.« Zugleich zeigte sie sich »schwer irritiert«, dass Vorwürfe weitgehend »über Social Media und nicht im persönlichen Gespräch« erhoben würden.
Janine Wissler hatte in ihrer Rede zur Eröffnung des Parteitags gesagt: »Bei allen Frauen, denen wir bisher nichts oder wenig anbieten konnten, wenn ihnen Unrecht widerfahren ist, möchte ich mich aufrichtig entschuldigen.« Auch sie hatte erneut darum gebeten, über Konflikte direkt zu sprechen statt in den Onlinemedien. Gleichwohl kochte die Debatte anschließend erneut auf Twitter hoch, ein männlicher Betroffener monierte, dass die Parteichefin nur Frauen um Entschuldigung gebeten habe. Andere deuteten die Aufrufe von Wissler wie auch von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, die Partei dürfe sich nicht länger vor allem mit sich selbst beschäftigen, sondern müsse ihre Aufgaben im Kampf gegen Krieg, Sozialabbau und Umverteilung nach oben wahrnehmen, als Forderung, nicht mehr über Sexismus zu reden. Und Solid-Ko-Sprecherin Sarah Dubiel sagte dem TV-Sender Phoenix, sie fände es besser, wenn Wissler nicht erneut als Bundesvorsitzende kandidieren würde. Wisslers Eingeständnis in ihrer Rede am Freitag, sie habe »nicht alles richtig gemacht«, komme zu spät und sei nicht ausreichend, ihre Rolle in der hessischen Sexismusaffäre sei weiterhin nicht aufgeklärt.
Machtbegrenzung gefordert
Im Saal wurde derweil sehr konkret und konstruktiv diskutiert. So schlugen mehrere Redner*innen vor, politische Mandate zu begrenzen und die Entgelte, die Abgeordnete behalten dürfen und Mitarbeiter bekommen, bei einem »durchschnittlichen Facharbeiterlohn« zu deckeln. Dies könne das Machtgefälle zwischen Ehrenamtlichen, Mandatsträgern und Inhabern von Stellen in den Fraktionen oder in der Partei entscheidend verringern. Zudem wurde gefordert, Beschuldigte von ihrer Arbeit freizustellen, aber nicht zu entlassen, bis Vorwürfe geklärt seien.
Weiter konstatierten Genossinnen, dass eine Kultur des Hinsehens und des Stoppzeichen-Setzens nicht vorhanden sei. So sagte Claudia Weixler aus Bayern mit Blick auf einen der vorgetragenen Berichte, in dem es um Vorfälle auf einer Party ging, der »größere Skandal« sei, dass viele dabei gewesen seien, aber »die Schnauze gehalten haben«. »Wenn Grenzen überschritten werden und wir nicht in der Lage sind, sofort einzuschreiten, nützen uns auch die besten Strukturen nichts«, mahnte Weixler.
Was sie fordert, wird auch als »Awareness-Kultur« genannt. Um sie zu fördern, werden gleichwohl auch Strukturen gebraucht, so die Überzeugung vieler Parteivertreter, zum Beispiel Awareness-Teams. Ein solches gibt es auch auf dem Erfurter Parteitag – ein Novum in der Linken. Für Menschen, die sich von anderen Delegierten diskriminiert, herabgesetzt, belästigt oder unangemessen behandelt fühlen, sind die Angehörigen des Teams während der Tagung durchgängig telefonisch und per Mail sowie im Konferenzsaal ansprechbar. Bis zum Samstagnachmittag wurden die Teammitglieder drei Mal kontaktiert. Es sei jeweils um Beschwerden über unangemessene Wortwahl von Genoss*innen gegangen, die sich durch Gespräche anderer im Plenum gestört fühlten, wie das Linke-Presseteam auf nd-Anfrage mitteilte.
Von Schwedens Linker lernen
Die Linke, das machten Verantwortliche in Erfurt deutlich, will zudem auf Erfahrungen und Konzepte gegen Sexismus aus anderen europäischen Linksparteien zurückgreifen. So hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung unter anderem das »Handbuch zum innerparteilichen Feminismus« der schwedischen Linkspartei (Vänsterpartiet) in deutscher Übersetzung zur Verfügung gestellt. Es enthält unter anderem Schulungskonzepte. Es werde überlegt, diese in Hessen für Mitarbeiter von Partei und Fraktion sowie Abgeordnete verpflichtend zu machen, sagte der Vizechef des dortigen Landesverbandes, Michael Erhardt, in Erfurt.
Am Samstag sorgte indes der frühere Fraktions- und Parteivorsitzende Gregor Gysi für Irritationen, als er sich in seiner Gastrede, in der er zur Geschlossenheit aufrief, einen Fokus auf Kritik an geschlechtergerechter Sprache legte. Die Linke müsse sich um die wirkliche Gleichstellung von Männern und Frauen kümmern, forderte Gysi: »Wir brauchen jetzt weder Anträge zum großen I oder zu Sternchen.« Er lehne das Gendern ab, denn »das gehobene Bürgertum, das diese Schreibweise fordert, will nur die Schreibweise ändern, wir aber wollen die Verhältnisse verändern.« Zwei junge Delegierte kritisierten dies: Dass er sich gegen das Gendern wende, während auf dem Parteitag über die Folgen sexualisierter Gewalt diskutiert wurde, sei »einfach Scheiße«.
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