Corona fährt im Radsport wieder mit

Die Frankreich-Rundfahrt steht mit der erneut gestiegenen Infektionsgefahr vor großen Problemen

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 5 Min.
Maximilian Schachmann wird nach negativem Test am Freitag beim Einzelzeitfahren der Tour starten.
Maximilian Schachmann wird nach negativem Test am Freitag beim Einzelzeitfahren der Tour starten.

Eine neue Welle von Coronafällen traf in den vergangenen zwei Wochen den Profiradsport. Dutzende Fahrer mussten die Tour de Suisse und die Slowenien-Rundfahrt vorzeitig verlassen. Auch für die Tour de France vorgesehene Fahrer waren darunter. Die meisten von ihnen scheinen wieder fit. Das deutsche Team Bora-hansgrohe etwa nominierte die frisch negativ getesteten Maximilian Schachmann und Alexander Wlassow für die am Freitag beginnende Frankreich-Rundfahrt.

Auch der ehemalige Weltmeister Peter Sagan ist nach seiner nun schon dritten Covid-Infektion wieder auf Tourkurs. Der Slowake gewann jüngst die Landesmeisterschaft. »Die letzte Zeit war eher düster für mich. Zwischen der zweiten und der dritten Infektion hatte ich drei Monate lang kaum Rennen fahren können«, sagte der siebenfache Gewinner des Grünen Trikots. »Aber jetzt geht es mir gut und ich hoffe, mich zur Tour hin noch weiter verbessern zu können.«

Die erste große Gefahr scheint also gebannt. Nach den Infektionsherden bei den Vorbereitungsrennen war eine Absagewelle für die Tour de France befürchtet worden. Bislang sind aber zumindest die großen Stars nicht betroffen. Weder von Titelverteidiger Tadej Pogačar noch von den beiden großen Herausforderern Primož Roglič und Jonas Vingegaard gab es bislang Positivmeldungen. Zwar waren jeweils einzelne Teamkollegen betroffen, offenbar gelangen aber teamintern die Isolierungen.

Für die kommende Tour de France ist dies auch der Schlüssel. Es wird häufiger getestet als in den letzten Wochen. Das geschieht aktuell noch auf eigene Entscheidung der gebeutelten Teams. Es deutet sich aber auch generell eine neue Regelung an. »Im Rahmen der medizinischen Kommission der UCI denken wir darüber nach, schärfer testen zu lassen«, sagt Matthias Baumann gegenüber »nd«. Der deutsche Verbandsarzt ist Präsident der medizinischen Kommission des Weltverbandes UCI. Es heißt, dass noch in dieser Woche, rechtzeitig vor Beginn der Tour de France, eine verbindliche Regelung herauskommen soll. Bislang sind nur jeweils ein PCR-Test vor dem Start sowie Tests an den Ruhetagen vorgesehen. Diese Frequenz soll sich erhöhen.

Die Tour-Organisatoren von der Aso äußerten sich dazu bisher nicht. Der Zugang von Fans und Medien zu den Teams dürfte aber wieder stärker reglementiert werden als in den letzten Wochen. Da waren die Barrieren der Interviewbereiche zumindest im Ziel weitgehend abgeschafft, Journalisten konnten direkt und ohne Voranmeldung mit den Profis reden.

Auch die Fans genossen die Nähe, bekamen wieder Trinkflaschen und Autogramme. Toursieger Pogačar hielt in den ersten Tagen der Slowenien-Rundfahrt sogar mitten im Rennen an und schwatzte munter mit den Fans. »Das werden wir jetzt nicht mehr machen«, sagte er nach den vielen positiven Fällen. Und sein Teamarzt Inigo San Millan forderte – auf später wieder gelöschten – Tweets die alten, strengen Hygieneregelungen bei der Tour: »Mit der gegenwärtigen laxen Haltung gegenüber Covid kann die Tour de France ein komplettes Chaos werden, mit wichtigen Teams, die das Rennen verlassen. Le Tour, kehrt bitte zu den Blasen zurück.« San Millan regte an, den Kontakt mit den Fans wieder zu unterbinden und Risikosituationen wie Händeschütteln oder das Berühren von Türklinken und Fahrstuhlknöpfen komplett zu vermeiden.

Dieses Szenario der kompletten Abschottung ruft in der Szene allerdings auch Widerspruch hervor. »Es ist nicht gut für den gesamten Sport. Die Tour de France lebt von der besonderen Atmosphäre«, mahnte Ralph Denk, Manager von Bora-hansgrohe, gegenüber »nd«. »Wenn die nicht da ist, wenn Radsport nur zum Fernsehsport wird, bleiben auf Dauer die Fans aus. Und auch Sponsoren könnten das Interesse verlieren.« Es ist also eine Gratwanderung zwischen dem Schutz vor Infektionen und dem Risiko, durch zu starke Isolation den Reiz des Umsonst- und Draußensports zu verringern.

Mit einem Problem von ähnlicher Brisanz haben derzeit die Teamärzte zu tun. Sie müssen entscheiden, welche der kürzlich erkrankten Fahrer fit genug für die Dauerbelastung der dreiwöchigen Tour sind. »Das große Risiko bei Covid sind die Herzmuskelentzündungen«, weist Verbandsarzt Baumann auf die Spätfolgen einer Infektion hin. »Wann wieder eine maximale Ausdauerbelastung möglich ist, muss individuell entschieden werden. Es hängt vom Verlauf der Krankheit, der Schwere der Symptome und der Gesamtverfassung des Athleten ab«, erzählt Baumann »nd«.

Eine Faustregel ist, dass man mindestens eine Woche nicht aufs Rad steigt und sich zwei Wochen Zeit für das nächste Rennen lässt. Bei denen, die mit positiven Tests die Tour de Suisse verlassen haben, liegt weniger Zeit zwischen Negativmeldung und Tourstart. Da bleibt nur zu hoffen, dass bei den teaminternen Entscheidungsfindungen das ärztliche Ethos angemessen einfließt. Leistungsträger, die bereits in der ersten Woche mit Etappen, bei denen der Wind für zusätzliche Schwierigkeiten sorgen kann, nicht die optimale Leistung bringen können, sich dabei aber dann durch Überanstrengung selbst gefährden, sollten bei der Tour keinen Platz haben – so bitter dies individuell auch sein mag.

Das Peloton der diesjährigen Tour de France ist also einer doppelten Bedrohung ausgesetzt: dem Risiko, dass durch häufige Tests auch asymptomatisch Erkrankte aus dem Rennen genommen werden und sich so die Teilnehmerzahl reduziert, sowie der Gefahr, durch zu frühen Einsatz gesundheitliche Schädigungen auszulösen.

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