Jubel und Sorgen in Kopenhagen

Am Startort wird die Tour de France gefeiert – trotz großer Risiken bei dieser Rundfahrt

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.
Zwei gefeierte Tourfavoriten: Jonas Vingegaard (r.) und Primož Roglič vom Team Jumbo-Visma
Zwei gefeierte Tourfavoriten: Jonas Vingegaard (r.) und Primož Roglič vom Team Jumbo-Visma

Es herrschte Volksfeststimmung am Tivoli in Kopenhagen bei der Teampräsentation der Tour de France. Der dänische Etappenjäger Magnus Cort Nielsen heizte den Begeisterungspegel schon an, als er bei der Vorstellung seines Teams EF Education First kurz zum Mikro griff. Als Altmeister Jakob Fuglsang, auch er ein Däne, mit seinem Team Israel Premier Tech die Bühne betrat, wurde er von einer Welle von Sprechchören empfangen. Immer wieder wurde sein Name skandiert. Der Radprofi mochte sich wie ein Fußball- oder ein Rockstar fühlen. Roskilde, der Gastgeberort des riesigen Rockfestivals, ist schließlich nicht weit entfernt – und ist Startort der zweiten Etappe.

Razzia vor dem Start der Tour de France

Kopenhagen. Am Donnerstagmorgen wurde das Hotel des Teams Bahrain Victorious von dänischen Beamten durchsucht. Die Polizei in Kopenhagen handelte im Auftrag der französischen Staatsanwaltschaft, die seit der Tour 2021 wegen Dopingverdachts mit der Begründung des möglichen »Erwerbs, des Transports, des Besitzes und der Einfuhr einer verbotenen Substanz oder Methode zur Verwendung durch einen Athleten ohne medizinische Rechtfertigung« ermittelt.
 Bei der zweistündigen Untersuchung wurden ab 5.30 Uhr alle Fahrzeuge des Teams sowie die Zimmer des Personals und der Fahrer durchsucht. Es seien keine Gegenstände beschlagnahmt worden, teilte das Team mit. Man sei allen Aufforderungen der Beamten nachgekommen und werde sich zu diesem Thema nicht weiter äußern.
 Bereits am Montag waren in verschiedenen Ländern die Wohnungen mehrerer Teammitglieder durchsucht worden. Bahrain hatte dazu erklärt, dass die seit fast einem Jahr laufenden Ermittlungen »zu keinem Ergebnis geführt haben«. Der Zeitpunkt dieser Untersuchung ziele darauf ab, »den Ruf des Teams absichtlich zu schädigen«. Zudem kritisierte das Team, über den Fortgang und die Ergebnisse der Ermittlungen nicht informiert zu werden. »Bahrain Victorious hat wiederholt um Akteneinsicht oder Kenntnisnahme zum Stand der Ermittlungen gebeten, jedoch ohne Erfolg«, hieß es in einem Statement. SID/nd

Als schließlich Jonas Vingegaard kam, im letzten Jahr Tour-Zweiter, wurden die Sprechchöre so intensiv, dass dem 25jährigen das Wasser der Rührung in die Augen trat und auch sein Kapitän Primož Roglič nicht anders konnte, als nur »Vingegaard« zu sagen, als der Moderator ihn fragte, wer denn im Team das letzte Wort bei der Entscheidung habe, für wen gefahren werden soll.

Man muss die Antwort von Roglič nicht als in Stein gemeißelte Wahrheit werten. Wer von den beiden besser in Form und besser platziert ist, für den wird am Ende das Team Jumbo-Visma alle Kräfte mobilisieren. Aber der Begeisterung der Dänen für den Radsport an sich und die Tour, konnte sich niemand entziehen. Sogar der bei öffentlichen Auftritten meist etwas steife Tourchef Christian Prudhomme ließ sich von den Emotionen mitreißen. Er breitete die Arme aus und sagte, dass sie, die Dänen, die Kopenhagener hier auf dem Festplatz, das erste gelbe Trikot dieser Tour de France verdienten. Da war er tatsächlich, dieser magische Moment, den die Tour de France haben kann: ein Fest für alle.

Wie lange dieser Moment andauert, ist allerdings auch eine Frage. Vor dem Grand Depart an diesem Freitag kritisierten einige Profis gefährliche Streckenabschnitte gerade bei den Etappen in Dänemark. »Auf die erste Woche freue ich mich überhaupt nicht. Was ich wirklich bemängele ist: Die Organisation weiß, dass die erste Woche supernervös ist und die Fahrer wirklich um jeden Zentimeter kämpfen«, kritisierte der frühere Etappengewinner Simon Geschke. »Es soll ein Spektakel werden. Aber es wird definitiv Risiko in Kauf genommen und macht es für uns supergefährlich. Die Tour de France ist kein Actionfilm«, mahnte der gebürtige Berliner, der in Kopenhagen seine neunte Frankreich-Rundfahrt in Angriff nimmt. Der frischgebackene deutsche Meister Nils Politt hofft, »dass es ohne große Stürze abgeht«.

Das Thema Doping taucht kaum auf – die andere große Gefahr ist wieder einmal das Coronavirus. Mehrere bereits nominierte Fahrer wurden wegen positiver Tests im letzten Moment zurückgezogen. Das betraf unter anderem den Italiener Matteo Trentin aus dem Rennstall des Titelverteidigers Tadej Pogačar. Er wird von Marc Hirschi ersetzt. Der Schweizer wurde vor Kurzem noch bei der Tour de Suisse aus dem Rennen genommen, testete sich aber rechtzeitig frei. Das Team Quick Step muss auf den Tempobolzer Tim Declercq verzichten. Israels Zeitfahrmeister Omer Goldstein, der sich immens auf das Rennen gegen die Uhr an diesem Freitag gefreut hatte, reiste ebenfalls wegen Covid ab. Auch das Personal in den Begleitwagen ist betroffen. Merijn Zeeman, sportlicher Leiter von Roglič und Vingegaard, wird wegen einer Corona-Infektion während der ersten Renntage die Taktik nur vom Homeoffice aus bestimmen.

Ob die Hygieneblase rechtzeitig abgedichtet werden kann, ist indes fraglich. Der Weltverband UCI setzt mit seinem neuen medizinischen Protokoll eher darauf, dass das Peloton noch groß genug durch Frankreich kommt. Denn positiv getestete Fahrer müssen bei Symptomfreiheit nicht unbedingt nach Hause, sondern können nach einem ärztlichen Check weiterfahren.

Auch die Regel, dass ein Team bei zwei positiven Tests aus dem Rennen genommen wird, wurde aufgehoben. Erhöht wurde immerhin die Zahl der Coronatests. Statt nur einem Test vor dem Rennen und jeweils einem weiteren an den Ruhetagen empfiehlt die UCI jetzt das tägliche Testen in den fünf Tagen vor dem Event und über die gesamten drei Wochen der Rundfahrt. So lässt sich zumindest ein genaueres Bild über Infektionsherde gewinnen. Andererseits ist die Regel, dass infizierte Fahrer im Peloton verbleiben können, sehr riskant. Sie wurde in der medizinischen Kommission des Weltverbands auch sehr kontrovers diskutiert. Der Jubel der – komplett unmaskierten – Dänen auf dem Tivoli konnte die Sorgen nur kurzzeitig übertönen.

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