Oberleitungsbus für Berlin auf der Kippe

Spätestens 2026 sollen Doppelgelenkfahrzeuge in Spandau fahren – möglicherweise ohne Stromabnehmer

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 6 Min.
Hat schon BVG-gelb angelegt: das neueste E-Bus-Modell für Berlin im Werk des Herstellers Ebusco.
Hat schon BVG-gelb angelegt: das neueste E-Bus-Modell für Berlin im Werk des Herstellers Ebusco.

Die Wiedereinführung des Oberleitungsbusses in Berlin steht auf der Kippe. Denn die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) prüfen derzeit, wie genau unter anderem die Buslinie M32 elektrifiziert werden soll, die vom Rathaus Spandau nach Staaken und ins brandenburgische Dallgow-Döberitz führt.

»2025/2026 sollen die ersten Doppelgelenkbusse in Spandau unterwegs sein«, antwortet BVG-Sprecher Nils Kremmin auf Anfrage von »nd«. »Die Planungen hierzu laufen allerdings noch, da zum heutigen Zeitpunkt nicht feststeht, ob die Busse tatsächlich ihren Strom per Oberleitung bekommen müssen oder durch eine Batterie betrieben werden können«, so Kremmin weiter. Seit Veröffentlichung der Studie zur möglichen Einführung von batteriegetriebenen Oberleitungsbussen vor drei Jahren habe sich die Technologie rasant weiterentwickelt. »Je nach Art der Ladung unterscheiden sich auch die Betriebshofkonzepte, Umbauplanungen an Straßen und Haltestellen und auch die Wahl der Fahrzeuge. All das ist Gegenstand der derzeitigen Planungen«, erklärt Nils Kremmin.

2020 war die Aufnahme des elektrischen Betriebs auf der Linie M32 mit fast 25 Meter langen Doppelgelenkbussen für das Jahr 2024 in Aussicht gestellt worden. Es hätten sogenannte Streckenlader werden sollen, die auf etwas mehr als der Hälfte der Strecke ihre Energie für die Fahrt und das Aufladen der Akkus aus Oberleitungen hätten beziehen sollen. Die restlichen Abschnitte hätten die rund 25 Tonnen schweren Fahrzeuge im Batteriebetrieb zurückgelegt – ein inzwischen national und international erprobtes Konzept.

Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband IGEB hält die derzeitige Offenheit bei der Technologiefrage für »relativ merkwürdig«. »Wie soll die Batterietechnik solche Fortschritte gemacht haben?«, meldet er gegenüber »nd« Zweifel an. »Soviel Oberleitung wie möglich« sollte in seinen Augen das Ziel sein. »Aber eigentlich gehört eine Straßenbahn auf den Brunsbütteler Damm«, fordert er. Die Straße sei in ihrer Dimension und vom Fahrgastaufkommen her dafür prädestiniert.

Großen Zuwachs erhält die elektrische Busflotte der BVG bereits dieses Jahr. Das erste Fahrzeug einer 2021 erfolgten Bestellung von zwölf Meter langen Batteriebussen beim niederländischen Hersteller Ebusco ist bereits fast fertig montiert. Alle 90 Fahrzeuge sollen bis Jahresende ausgeliefert sein – das war zumindest der Stand bei Vertragsschluss. Erstmals sollen je 30 E-Busse auch auf den Betriebshöfen in Britz sowie an der Cicerostraße in Wilmersdorf stationiert werden. Die restlichen 30 Fahrzeuge werden auf dem Betriebshof Indira-Gandhi-Straße in Hohenschönhausen beheimatet sein, wo bisher bereits alle 138 Batteriebusse der BVG ihren Standort haben. Die entsprechende Lade- und Werkstattinfrastruktur wird gerade aufgebaut.

Die neuen Busse des Modells Ebusco 2.2 sollen mit 290 Kilometern pro nächtlicher Ladung eine deutlich größere Reichweite haben als die derzeitige Flotte. Rund 150 Kilometer ohne Zwischenladung haben deren Hersteller Solaris aus Polen sowie Mercedes-Benz für die kurzen Stadtbusse versprochen. An sehr kalten Tagen kamen einige Solaris-Fahrzeuge allerdings nur 90 statt der zugesicherten 130 Kilometer weit.

Selbst wenn die versprochenen Leistungen erreicht werden, braucht die BVG bisher deutlich mehr Busse für das gleiche Angebot als bei den dieselbetriebenen Exemplaren. Derzeit würden drei Elektrobusse anstelle von zwei Dieselbussen benötigt, erklärte Hartmut Reupke, Abteilungsleiter in der Senatsmobilitätsverwaltung, kürzlich im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses.

Die fast doppelte Reichweite der Ebusco-Fahrzeuge rechtfertigt offenbar auch einen deutlich höheren Preis. Rund 638 000 Euro pro Stück kosten sie laut Unterlagen für den Hauptausschuss. Die 90 Solaris-Busse der 2021 abgeschlossenen Lieferung schlugen mit vergleichsweise günstigen etwa 390 000 Euro je Exemplar zu Buche. Die ersten 30 Stromer, die je zur Hälfte von Mercedes-Benz und von Solaris kamen, kosteten rechnerisch je etwas über 580 000 Euro. Zum Vergleich: Für einen modernen Dieselbus verlangen die Hersteller zurzeit etwa 220 000 Euro.

Inklusive der Lade- und Wartungsinfrastruktur belaufen sich laut Senatsmobilitätsverwaltung die Mehrkosten bei den Investitionen auf 105,4 Millionen Euro. Das wird durch Förderungen von Land und Bund ausgeglichen, letzterer übernahm knapp 39 Prozent davon. Bei der BVG verbleiben die Mehrkosten für den Betrieb, weil mehr Fahrer benötigt werden. Spannend wird es, wenn die sehr teuren Batterien getauscht werden müssen. Bisher wird davon ausgegangen, dass nach sechs bis acht Jahren neue Akkus nötig werden.

Neben den vielen sogenannten Depotladern hat die BVG auch 17 sogenannte Endstellenlader in ihrer Flotte. Das sind Gelenkbusse, die vor allem auf der Linie 200 zwischen Prenzlauer Berg, Alexanderplatz und Bahnhof Zoo verkehren. Sie haben nur kleine Akkus, die in ein paar Minuten an der Endhaltestelle aufgeladen werden. Nach bald zwei Einsatzjahren seit August 2020 zieht das Landesunternehmen ein positives Fazit. »Mit den elektrischen Gelenkbussen gibt es keine Probleme«, erklärt BVG-Sprecher Nils Kremmin. Dass manchmal auf der Linie 200 trotzdem noch Dieselbusse zu sehen sind, erklärt er mit dem fallweisen Stau geplanter Wartungen, »was bei einer kleineren Flotte schneller auffällt«. Einige der Busse fahren auch auf den Linien 100 und N2. »Das Projekt hat gezeigt, dass auf den meisten Umläufen ein Ladepunkt an der Hertzallee am Bahnhof Zoo ausreicht«, so Kremmin. Eingerichtet worden ist ein weiterer an der Endstelle des 200ers an der Michelangelostraße in Prenzlauer Berg. Die E-Gelenker kosteten übrigens rund 812 000 Euro pro Stück.

Noch bis Ende September muss die BVG die Bestellung von weiteren 350 Akkubussen auslösen, wenn die zugesagte Bundesförderung von rund 195 Millionen Euro für Fahrzeuge und Infrastruktur nicht verfallen soll. Das sei »eine große Herausforderung«, ließ die Senatsmobilitätsverwaltung den Hauptausschuss wissen. Nach deren Auslieferung wäre die Elektroflotte 577 Fahrzeuge stark, das wären mehr als 40 Prozent aller derzeit rund 1400 Busse der BVG. Immerhin hat das Landesunternehmen sich bereits eine Option für 60 weitere Zwölf-Meter-Busse bei Ebusco gesichert. Vor allem soll aber der Anteil der Gelenkbusse deutlich steigen, die an den Endstellen geladen werden sollen.

Immer drängender wird aufgrund des Zuwachses die Frage nach Abstellung, Ladung und Wartung der zusätzlichen Stromer. In Planung sind zwei neue Betriebshöfe nur für E-Busse an der Säntisstraße in Marienfelde sowie – verteilt auf zwei Flächen auf beiden Seiten der Spree – an der Minna-Todenhagen-Brücke in Treptow-Köpenick. Letzterer hätte nach ursprünglichen Planungen bereits im kommenden Jahr in Betrieb gehen sollen. Nun nennt die BVG als voraussichtlichen Baubeginn 2023. Laut Hauptausschussunterlagen wird mit einer Inbetriebnahme »frühestens 2025« gerechnet. »Aufgrund eines neuen Lade- und Abstellkonzeptes mit Traversen anstatt Carports mussten Anpassungen an der Planung vorgenommen werden«, begründet das Nils Kremmin von der BVG. Doch auch die Kapazität ist hochgeschraubt worden. Statt ursprünglich 271 Fahrzeugen sollen nun im Endausbau bis zu 319 unterkommen.

Den Technologiefortschritt belegt die Annahme, dass bei der vorgesehenen Vollelektrifizierung des Busverkehrs im Jahr 2030 derzeit nur noch von einem Mehrbedarf an Fahrzeugen von maximal fünf Prozent für die gleiche Fahrleistung wie die von Dieselbussen ausgegangen wird. Für Mehrbedarf beim Fahrpersonal sorgt derzeit die mangelnde Bevorrechtigung im Verkehr. Laut Fahrgastverband IGEB muss die BVG »schnellstens rund 100 neue Mitarbeiter für den Fahrdienst einstellen – nicht um mehr Takt anzubieten, sondern um den Takt, wie er heute an der Haltestelle hängt, leisten zu können«. Konkret bestätigen will die BVG das auf »nd«-Anfrage nicht. Das sei »kein neues Phänomen, sondern die ganz normale Entwicklung der letzten Jahre«, sagt Nils Kremmin. Der Bedarf wird vor allem mit dem Wachstum Berlins begründet.

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