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Eine Last für die Ewigkeit
Die Auswirkungen des Braunkohletagebaus auf den Wasserhaushalt sind enorm – und auch in Berlin zu spüren
»Ich lasse mir das Gießen nicht verbieten. Dann nehme ich das Wasser aus der Spree, und dann habt ihr in Berlin auch keines mehr«, sagt Helga Müller im Kulturhaus von Proschim aufgebracht. Der zuständige brandenburgische Landkreis Spree-Neiße hat Mitte Juni die Wasserentnahme aus der Spree wegen Niedrigwassers eingeschränkt. Mal wieder. Das fünfte Jahr in Folge leidet die komplette Hauptstadtregion unter Dürre.
In Proschim ist es nicht nur der fehlende Regen – den Bewohnerinnen und Bewohnern wird auch das Wasser von unten weggepumpt. Auf einem Areal so groß wie das Saarland wird wegen des Braunkohletagebaus der Grundwasserstand auf 80 bis 100 Meter unter der Geländeoberfläche abgesenkt. »In den letzten Jahren ist jeder dritte Baum auf meinem Grundstück vertrocknet«, sagt Martin Schröer. Die Firma des Proschimers Klempners montiert auch Solaranlagen. Im 300-Seelen-Ortsteil, der zur Gemeinde Welzow gehört, wird weit mehr regenerative Energie erzeugt, als die Einwohner verbrauchen.
Erst seit vergangenem Jahr ist klar, dass Proschim nicht abgebaggert wird, um die zweite Teilfläche des nahe gelegenen Tagebaus Welzow-Süd zu erweitern. Der Braunkohlekonzern Lausitzer Energie AG (Leag) hatte sich dagegen entschieden. Doch Wut und Frustration sind nach 38 Jahren der Unsicherheit nach wie vor da.
Die Bewohner von Proschim sind an diesem Mittwoch ins Kulturhaus gekommen, weil sich Besuch aus Berlin angemeldet hat. Der Umweltausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses hat sich auf Reisen begeben, um besser zu verstehen, welchen Einfluss der Braunkohleabbau in der Lausitz auf die Berliner Wasserversorgung hat. Ein Großteil des Berliner Trinkwassers wird durch Uferfiltration der Spree entnommen.
Für Berlin relevant sind zwei Folgen des Tagebaus. Einerseits der Einfluss auf die Wasserführung der Spree. Allein die Wiederauffüllung des Absenktrichters beim Grundwasser würde rechnerisch fast 13 Jahresdurchflussmengen des Flusses verbrauchen. Andererseits die Sulfatkonzentration. Die für den Bergbau nötige Grundwasserabsenkung setzt chemische Prozesse in Gang, in deren Folge das Salz der Schwefelsäure in Gewässer gespült wird. Drei Viertel der Belastung der Spree stammen aus dem aktiven Bergbau, rund 20 Prozent aus den zu rekultivierenden Restlöchern.
Normal wäre ein Wert von bis zu 200 Milligramm pro Liter Flusswasser. Am Spremberger Wehr an der Spree wurde laut Brandenburger Landesumweltamt am 16. Mai der diesjährige Spitzenwert von 515 Milligramm gemessen, länger unter 400 gefallen ist er zuletzt Anfang April. Je weniger Niederschlag fällt, umso höher die Werte.
Im Trinkwasser gilt ein Grenzwert von 250 Milligramm pro Liter. Höhere Konzentrationen können abführend wirken und greifen das Rohrsystem an. Die FWA Frankfurter Wasser- und Abwassergesellschaft mbH der Oderstadt muss bereits zehn Millionen Euro in die Hand nehmen, um ein altes Wasserwerk wieder in Betrieb zu nehmen, das nicht wie jenes in Briesen an der Spree liegt, um dauerhaft den Trinkwasser-Grenzwert sicher einhalten zu können. Das bezahlen die Wasserverbraucherinnen und -verbraucher, nicht etwa die Leag. Eine technische und wirtschaftliche Lösung für die großtechnische Entfernung des Schwefelsalzes aus dem Wasser ist derzeit nicht in Sicht.
»Wichtig ist, das Problem nicht zu verlängern. Wir brauchen einen schnellstmöglichen Kohleausstieg«, sagt Heide Schinowsky, die die Berliner Abgeordneten begleitet. Die in Jänschwalde lebende Grünen-Kreisvorsitzende von Spree-Neiße war von 2014 bis 2019 Abgeordnete im Brandenburger Landtag und beschäftigt sich seit über 15 Jahren mit Energie- und Klimapolitik.
Doch gelöst sind die vielfältigen Probleme damit nicht. Da ist zum Beispiel der Wasserverbrauch der Seen, die mit der Flutung der stillgelegten Tagebaulöcher entstehen. »Sie verdunsten mehr Wasser, als die Landschaft vor dem Bergbau verdunstet hat. Im angespannten Wasserhaushalt der Spree ist das ein Problem«, sagt René Schuster. Er ist Braunkohleexperte des Umweltverbands Grüne Liga und inzwischen auch dessen Bundesvorsitzender.
Die Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg hat auf Basis des warmen und trockenen Jahres 2006 die Effekte modelliert. Während über Landflächen nach Abzug des verdunsteten Wassers vom gefallenen Niederschlag auf das Gesamtjahr gerechnet noch ein Plus von 57 Litern pro Quadratmeter übrig blieb, war die Bilanz der Wasserflächen mit einem Minus von 195 Litern tief im negativen Bereich.
Die Pflanzendecke an Land reguliert die Verdunstung. Ist es trocken, gibt das Grün wesentlich weniger Feuchtigkeit an die Luft ab. Heide Schinowsky nennt die große Ausnahme: »Kiefernwälder speichern das Wasser so gut wie gar nicht.« Und ausgerechnet die gibt es zuhauf in der Mark. Der Umbau zu Mischwäldern sei allerdings ein »Generationenprojekt«, bei dem mit großen Widrigkeiten zu kämpfen ist. »Man kann zwar Eichen und Buchen aufforsten, aber dann kommen die ausgehungerten Rehe und freuen sich, dass in diesem furchtbaren Kieferforst etwas Frisches, Leckeres da ist«, sagt Schinowsky. Die Einzäunung riesiger Pflanzflächen für Jahrzehnte ist aber allein schon finanziell kaum zu stemmen.
Das Wasserproblem der Tagebauseen wird zugleich noch weiter wachsen. Um die Flutung des ehemaligen Tagebaus Cottbus-Nord ist dabei ein heftiger Streit entbrannt. Der künftige Ostsee wird derzeit geflutet. Mit 1900 Hektar soll er der größte künstliche See Deutschlands werden. Die FWA aus Frankfurt (Oder) klagt dagegen – wegen des erwarteten Anstiegs der Sulfatwerte in der Spree. Der Landtag in Potsdam beschloss Anfang 2021 einstimmig, dass darauf hingewirkt werden müsse, »dass die neu entstehenden Tagebauseen hinsichtlich ihrer Größe, Lage und Form möglichst geringe Verdunstungsverluste aufweisen«.
Sorgen bereiten vor allem große und flache Gewässer. Um die noch entstehenden Seen werden bereits jetzt heftige Kämpfe geführt. »Sowohl in Nochten als auch in Welzow besteht die Möglichkeit, während des noch laufenden Tagebaubetriebs umzuplanen«, sagt René Schuster.
Problematisch für die Wasserführung der Spree wird das Ende des Bergbaus dadurch, dass dann riesige Mengen sogenannten Sümpfungswassers nicht mehr eingeleitet werden. Es ist das Grundwasser, das derzeit noch abgepumpt wird, um die Tagebaulöcher trocken zu halten. Bis zu 40 Prozent der Wassermenge des Flusses in Hitzeperioden sind Sümpfungswasser. »Es kommt langfristig weniger in der Spree an im sogenannten nachbergbaulichen Zustand, der in etwa 80 Jahren erreicht sein wird. Das belastet unwiderruflich und dauerhaft die Wasserbilanz der Spree«, sagt René Schuster.
»Es wird daran gearbeitet, dass die Sümpfungsbrunnen noch bis 2050 in Betrieb sind, in der Hoffnung, dass bis dahin ein halbwegs natürlicher Wasserhaushalt wiederhergestellt ist«, berichtet Heide Schinowsky. »Meine Erfahrung im Landtag war: Die Berliner haben die Brandenburger immer einfach ein bisschen machen lassen«, beklagt sie. Und das, obwohl seit Anfang 1996, kurz vor der gescheiterten Volksabstimmung über die Fusion der Länder Berlin und Brandenburg, eine gemeinsame Landesplanung existiert. »Gott schuf die Lausitz und der Teufel versteckte die Kohle darunter«, zitiert die Umweltaktivistin das in der Region bekannte Sprichwort. Das wurde in der Hauptstadt wohl viel zu lange als Folklore abgetan.
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