• Berlin
  • Bündnis für Wohnungsneubau

Zielfähnchen im Wind

Bei einem Richtfest auf der Fischerinsel relativiert Franziska Giffey das Berliner Ziel beim Wohnungsneubau

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 7 Min.
Richtfest auf der Fischerinsel: Von den geplanten 100 000 neuen Wohnungen bis 2026 entstehen hier immerhin 210.
Richtfest auf der Fischerinsel: Von den geplanten 100 000 neuen Wohnungen bis 2026 entstehen hier immerhin 210.

Die Bauarbeiter stehen Schlange für Selfies mit Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). Sie genießt das, lacht, plaudert. Es ist wieder mal wie ein Auftritt im ZDF-Fernsehgarten. Zuvor, bei ihrer Rede, fordert sie zum Applaus für die Bauleute auf, das Publikum folgt artig. «Es ist wieder mal so ein Tag, wo man sagt: Ein schöner Tag», erklärt sie auf der Bühne. Denn am Freitag feiert die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte Richtfest für 210 neue Wohnungen auf der Fischerinsel. Zu den sechs Hochhäusern aus DDR-Zeiten gesellt sich nun ein Blockrand-Eckstück entlang des Mühlendamms und der Straße Fischerinsel.

Giffey wiederholt das Ziel, 100 000 neue Wohnungen in der bis 2026 laufenden Legislaturperiode zu schaffen. Allein 35 000 sollen die sechs Landes-Wohnungsunternehmen dazu beisteuern. «Das ist eine Riesen-Hausnummer», sagt die Regierende.

Liefer- und Finanzierungsprobleme

«Es ist ja nicht ganz einfach in diesen Tagen, im Zeitplan zu sein, im Finanzplan zu sein und auch die Baumaterialien heranzubekommen», sagt Giffey. Wie zum Beweis spricht auch Ausführungsplaner Jörg Baumgart auf Nachfrage von den Problemen. «Wir haben in allen Bereichen Lieferschwierigkeiten. Die Dachdämmung kommt jetzt zwölf Wochen später als geplant», sagt er. Die SPD-Politikerin hatte ihn mit den Worten «Komm’se mal ran» auf die Bühne gebeten, nachdem sie auch zum Applaus für die Architekten aufgefordert hatte. «Das heißt, sie haben mehr schlaflose Nächte», kommentiert das Giffey, bevor sie ihn wieder verabschiedet.

«Nein, ich habe keine Angst. Sonst könnte ich den Job nicht machen», sagt Franziska Giffey zu «nd» auf die Frage, ob das Verfehlen der von ihr weiterhin offensiv kommunizierten, ambitionierten Wohnungsbauzahlen nicht zu einer schweren politischen Hypothek werden könnte. «Soll ich sagen: Wir setzen uns keine Ziele mehr? Ist das die Antwort? Echt Ihr Ernst?», fragt sie zurück. «Ich kann jetzt das Ziel auch nicht reduzieren, weil wir einfach wissen, dass wir den Bedarf haben», so Giffey weiter. «Wir werden alles tun, das zu schaffen – oder so weit wie möglich da ranzukommen.» Allein für das Monitoring sei ein Festhalten an der Zielzahl wichtig. «Selbst wenn wir 80 000 schaffen am Ende der Legislatur, dann ist das auch noch sehr gut.» In der letzten Legislaturperiode waren es gerade die SPD-Koalitionspartner, die Linke-Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher mehrfach scharf für die Verfehlung der Wohnungsbauziele angriffen.

Bereits im Wahlkampf, vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, zweifelten nicht nur Mietervertreter, sondern auch die Immobilienwirtschaft an Giffeys Bauziel. Von Ende 2016 bis Ende 2021 wuchs laut Landesamt für Statistik Berlin-Brandenburg der Wohnungsbestand in der Hauptstadt um knapp 82 000 auf knapp unter zwei Millionen, und das bis zum Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 unter vergleichsweise guten Voraussetzungen. Die Zinsen für Baukredite lagen zwischen null und einem Prozent.

Ein großes Hindernis für den Bau bezahlbarer Wohnungen waren bereits in dieser Phase die immer weiter steigenden Grundstückspreise auf exorbitantem Niveau und die ebenfalls seit Jahren im Höhenflug befindlichen Baupreise. Als Hürde zeigten sich beispielsweise fehlende Genehmigungskapazitäten der Bezirke für Baustelleneinrichtungen im öffentlichen Straßenland, fehlende Ausgleichsflächen für Naturschutzbelange und der Widerstand von Anwohnenden gegen Nachverdichtungsvorhaben auf Kosten von Grünflächen.

Baupreise steigen so schnell wie nie

Inzwischen haben sich praktisch alle Voraussetzungen verschlechtert. Die Baupreise haben den Galopp eingelegt. Den aktuellsten Zahlen des Landes-Statistikamts zufolge stiegen sie innerhalb Jahresfrist bis Mai 2022 in Berlin um 17,8 Prozent. «Solche starken Preissteigerungen hat es bisher in der Region nicht gegeben», heißt es dazu in der Behörde. Wohnungsbau kostet somit etwa die Hälfte mehr als noch vor fünf Jahren, laut Statistischem Bundesamt war Betonstahl im Mai rund 72 Prozent teurer als vor einem Jahr, Glas oder Sperrholz um über die Hälfte.

Dazu kommen exorbitant steigende Bauzinsen. Verlangten über die Interhyp AG vermittelte Kreditgeber für Baudarlehen nach Angaben des Verbands Berlin-Brandenburger Wohnungsunternehmen (BBU) im Januar durchschnittlich noch ein Prozent Zinsen, waren es im Juni bereits 3,39 Prozent, obwohl die Europäische Zentralbank die Leitzinsen nicht geändert hat. «Wir haben eine Zinswende, die letztendlich ein Zinsgalopp ist», sagte BBU-Vorständin Maren Kern am Donnerstag.

Diese Bedingungen dürften auch die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften perspektivisch in Bedrängnis bringen. Nicht nur, weil der Neubau kreditfinanziert ist, sondern auch, weil Unternehmen wie die Gewobag und die Howoge die Rekommunalisierung Tausender Wohnungen durch den Ankauf von Beständen privater Großvermieter wie Ado Properties, Deutsche Wohnen und Vonovia über Anleihen finanziert haben, die auch irgendwann neu finanziert werden müssen. Laut Beobachtern könnten die Landes-Wohnungsunternehmen im Jahr 2025 ans Ende ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit kommen, wenn nicht politische Schritte unternommen werden. Vor diesem Hintergrund könnte sich auch der politische Vorstoß von Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) für den Verkauf von Eigentumswohnungen durch Landeseigene erklären.

Taumelnder Partner in Giffeys Bündnis

Franziska Giffey setzt ihre Hoffnungen auf das im Juni gebildete Wohnungsbündnis. «Es ist wichtig, dass sich auch unsere privaten Bündnispartner dazu verpflichtet haben», sagt sie auf der Bühne. Darunter findet sich auch die Unterschrift eines Vertreters des wegen Manipulationsvorwürfen taumelnden Immobilienkonzerns Adler Group, der am vergangenen Donnerstag den Verkauf eines weiteren Pakets von 1200 Berliner Wohn- und Gewerbeeinheiten bekanntgab.

Aufhorchen lässt, dass nach Angaben der Adler Group der Verkauf zwei Prozent unter Buchwert erfolgte, in den Büchern also ein Verlust zu verzeichnen ist. Bisher wurden Immobilien in der Hauptstadt praktisch immer mit Gewinn verkauft. Ob das auf eine Preiswende hindeutet, der Bewertungspraxis oder der Notlage des Unternehmens geschuldet ist, muss sich noch zeigen.

Bekanntlich hatte der Berliner Mieterverein seine Unterschrift unter die Bündnisvereinbarung am 20. Juni verweigert, unter anderem, weil ihm «verbindliche Aussagen mit breiter Wirkung» für «einen besseren Mieterschutz und auch für mehr preisgünstigen Neubau» fehlten. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Gewerkschaft Bau, Agrar, Umwelt (IG BAU) verweigerten die Unterschrift. «Okay, geschenkt», kommentiert das Franziska Giffey gegenüber «nd», wenn Mieterverein und Gewerkschaften sagten: «Wir bekommen nicht 100 Prozent unserer Wünsche, deswegen unterschreiben wir nicht.» Es gehe ihr aber um das Wie. Sie fände es «nicht fair», wenn sie am Vorabend um 22.30 Uhr erfahre, dass sie nicht unterschreiben. Denn: «Die ganze Zeit gab es nicht die Anzeichen.» Dass der Zentrale Immobilienausschuss als Spitzenverband der kapitalmarktorientierten Immobilienwirtschaft ebenfalls nicht unterzeichnet hat, weil es, so Giffey, «ihm zu viel war», nennt die Regierende «ein deutliches Zeichen, dass ein Kompromiss gefunden ist».

«Ich würde gerne den Fokus mehr darauf lenken, dass wir es geschafft haben, sehr viele wichtige Akteure, die wirklich bauen, die wirklich die Mietpreise machen, an den Tisch und auch zur Unterschrift zu bewegen», sagt Giffey. «Der Mieterverein baut keine einzige Wohnung, der Gewerkschaftsbund auch nicht. Ich muss aber dafür sorgen, dass wir unsere Bauziele erreichen.» Man solle daher doch eher auf die «Haben-Seite, wer alles unterschrieben hat», schauen. Was das Bauen betreffe, seien «die an Bord, die das alles machen sollen».

DGB: Bündnis hilft Mietern wenig

Derweil hat am Freitag der DGB eine Presseerklärung veröffentlicht, in der begründet wird, warum die Mitgliedsgewerkschaften «nach intensiver Diskussion» entschieden haben, nicht zu unterschreiben – nach nd-Informationen übrigens einstimmig. Unter anderem, weil nicht geklärt werden konnte, «wie mindestens die Hälfte der Neubauten für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen bezahlbar gemacht werden soll». Zudem setze sich der DGB in einem bundesweiten Bündnis für einen verbindlichen Mietenstopp ein. «Im Berliner Bündnis fürs Wohnen ließ sich die Wohnungswirtschaft jedoch nur zu Vereinbarungen bewegen, die vor allem Härtefälle betreffen oder die Empfehlungscharakter haben.

Von einem Durchbruch in der Wohnungsfrage scheint die Politik von Rot-Grün-Rot in Berlin jedenfalls noch weit entfernt. Giffey macht für das Gelingen ihrer Wohnungspolitik gegenüber »nd« auch die Art der Berichterstattung verantwortlich. »Das wird alles nur ins Negative gezogen«, kritisiert sie.

Das Richtfest auf der Fischerinsel wäre indes ganz nach dem Geschmack des Sandmännchens: Aufkommender Wind streut den Anwesenden am Freitagmittag ordentlich Sand in die Augen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.