Zwei Holländer unversöhnt vereint

Fabio Jakobsen und Dylan Groenewegen duellieren sich bei Sprintankünften der Tour de France

  • Tom Mustroph, Dunkerque
  • Lesedauer: 4 Min.
Dylan Groenewegen (M.) lag am Sonntag vor Landsmann Fabio Jakobsen (r.). Dieser hatte am Samstag die zweite Touretappe gewonnen.
Dylan Groenewegen (M.) lag am Sonntag vor Landsmann Fabio Jakobsen (r.). Dieser hatte am Samstag die zweite Touretappe gewonnen.

Für die Niederländer Fabio Jakobsen und Dylan Groenewegen scheint das Schicksal eine besondere Verbundenheit vorgesehen zu haben. Mit je einem Etappensieg in Dänemark kommen die beiden Sprinter nun im Mutterland der Tour de France an, wo es auf der 4. Etappe an diesem Dienstag zwischen Dunkerque und Calais zum nächsten Duell der beiden derzeit explosivsten Spurter kommen dürfte. Brisant ist: Der eine, Groenewegen, verursachte vor zwei Jahren während der Polen-Rundfahrt den Horrorcrash des anderen. Beider Karrieren, auch beider Leben, sind seither von dem Vorfall tief geprägt. Die Tour de France bringt nun zwar keine Versöhnung. Sie führt die Rivalität aber wieder in rein sportliche Gefilde über.

Den 5. August 2020 dürften die beiden in sehr unterschiedlicher Erinnerung haben. Jakobsen merkte noch, wie ihn Groenewegen im Sprint kurz vor dem Zielstrich in Katowice in die Absperrgitter drängte. Dann wurde ihm schwarz vor Augen. Als er zwei Tage nach dem Horrorcrash aus dem Koma erwachte, lag er mit zertrümmertem Gebiss, einem Schädel-Hirn-Traum und vielen anderen schweren Verletzungen im Krankenhaus. Groenewegen kam glimpflicher davon. Auch ihn brachte die Kollision kurz hinter dem Ziel zu Fall. Beim Aufprall brach er sich das Schlüsselbein.

Viel schwerer lastete die Mitschuld am Schicksal Jakobsens auf ihm. Er entschuldigte sich später unter Tränen und suchte das Gespräch mit seinem Kontrahenten, nachdem dieser mit Teilen des Beckenknochens als Implantat im Schädel aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Was als Versöhnung gedacht war, ging aber schief. Jakobsen trug Groenewegen nach, entgegen der Absprachen von dem Treffen öffentlich berichtet zu haben.

Seitdem verlaufen die Karrieren der beiden in seltsamer Parallelität. Groenewegen wurde für neun Monate vom Weltverband UCI gesperrt. Er schottete sich von der Öffentlichkeit ab, bekam sogar Polizeischutz wegen Morddrohungen gegen ihn und das Kind, mit dem seine Freundin schwanger war. Er wechselte das Team, nachdem ihn Jumbo-Visma suspendiert hatte.

Jakobsen begann nach einem anfänglichen Operationsmarathon in Polen und den Niederlanden schon bald mit dem Aufbautraining. Acht Monate nach dem Unfall bestritt er sein erstes Rennen. Fast genau ein Jahr nach dem Sturz gelang ihm der erste Sieg, bei der Tour de Wallonie. Und bei der Spanien-Rundfahrt im Herbst 2021 gewann er drei Etappen sowie das Punktetrikot. Seitdem ist er beim Team Quick Step als erster Sprinter gesetzt und verdrängte damit sogar den großen Mark Cavendish. »Wir wissen, was wir an Fabio haben. Er ist der schnellste Mann im Peloton«, sagte Teamchef Patrick Lefevere »nd«.

Groenewegen kehrte aufgrund der Sperre erst einen Monat nach Jakobsen in den Rennbetrieb zurück. An seine früheren Erfolge, unter anderem vier Etappensiege bei der Tour de France, konnte das Kraftpaket aber nicht anknüpfen. Lange war er mental blockiert. »Es war eine schwere Zeit für mich und meine Familie. Die Todesdrohungen, die Hassbotschaften – all das hat mich sehr belastet«, blickte Groenewegen später zurück. Seinen ersten Sieg nach der Sperre feierte er dann ausgerechnet vor Jakobsen. Einen Tag, bevor dieser die 2. Etappe in der Wallonie gewinnen sollte, holte sich Groenewegen die erste. Seitdem trafen sie weitere 24 Mal aufeinander. Zwölfmal lag Jakobsen vorn, zwölfmal Groenewegen. Das 1:1 bei der Tour reiht sich nun perfekt in die Statistik ein.

Wie früher wird es aber nie mehr sein zwischen den beiden. »Ich habe Dylan einst bewundert. Seit dem Sturz ist das vorbei. Dass er jetzt eine Etappe gewonnen hat, ist mir komplett egal«, sagte Jakobsen am Sonntag. Er freue sich nur, dass er bei seiner ersten Tour-Teilnahme gleich erfolgreich gewesen sei. »Ich habe immer von der Tour de France geträumt. Dann kam der Unfall dazwischen. Jetzt hat sich ein Kreis geschlossen«, meinte Jakobsen nach seinem Etappensieg.

Er wird sich weiter mit Groenewegen duellieren, doch ihr Kampf gegeneinander hat sich zum Glück wieder auf die sportliche Ebene verlagert – eine zivilisatorische Leistung von beiden, von ihren Teams und von ihrem Umfeld. Auch das ist eine Geschichte der Tour de France.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -