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Neue Vorkämpferinnen

EM-Gastgeber England zeigt, wie der Fußball auch bei den Frauen professionell, erfolgreich und lukrativ sein kann

  • Frank Hellmann, London
  • Lesedauer: 4 Min.
Im Stadion Old Trafford von Manchester United wird die EM eröffnet. Die 74 000 Tickets für das Spiel England gegen Österreich sind seit Monaten vergriffen.
Im Stadion Old Trafford von Manchester United wird die EM eröffnet. Die 74 000 Tickets für das Spiel England gegen Österreich sind seit Monaten vergriffen.

Direkt im Herzen des Londoner Stadtteils Brentford liegt der Pub »The Six Bells«. Von der Schleuse am Flüsschen Brent führt ein Zebrastreifen über die Brentford High Street und auffällig sind an dieser Stelle die Regenbogenfarben rechts und links. Die Kneipe war lange ein prominenter Anlaufpunkt für Schwule und Lesben. Nach zwei Jahren Umbau in der Pandemie hat Besitzer Peter Clark bei der Wiedereröffnung ausdrücklich betont, neben der LGBTQ-Gemeinde auch allen anderen Gästen die Tür zu öffnen. Ihm kommt die nun startende Frauen-EM im eigenen Land wie gerufen. Die Flaggen der 16 Teilnehmer sind seit Tagen akkurat in den Fenstern drapiert. Jetzt müssen nur noch Leute vorbeischauen, die sich vom Turnier animieren lassen, bei ihm ein nicht ganz billiges London Pride zu bestellen.

Doch es gibt eigentlich keine Zweifel daran, dass England diese Party feiern will. 500 000 Tickets sind bereits verkauft – mehr als doppelt so viele wie bei der EM vor fünf Jahren in den Niederlanden verkauft wurden. An den Fernsehern werden 250 Millionen Zuschauer erwartet – auch das wäre Rekord. Und so kündigt der englische Verband FA »das größte europäische Frauensport-Event der Geschichte« an. Natürlich ist auch das Eröffnungsspiel England gegen Österreich im Old Trafford seit Monaten ausverkauft. Mehr als 74 000 Menschen werden ein Heidenspektakel veranstalten und den EM-Rekord von 41 301 Besuchern beim Finale 2013 im schwedischen Solna locker überbieten, als die deutschen Fußballerinnen den bislang letzten EM-Titel feierten.

Beim diesjährigen Endspiel am 31. Juli in Londons Wembley-Stadion will Englands Auswahl beweisen, dass sie es besser kann als die Männer an selber Stelle vor einem Jahr. Es scheint alles angerichtet für den allerersten Titel Englands im Frauenfußball, nachdem das bislang einzige Finale bei der EM 2009 mit 2:6 gegen Deutschland verloren ging. Nach dem dritten Platz bei der WM 2015 in Kanada – durch ein 1:0 im kleinen Finale gegen Deutschland – verschrieben sich Verband, Vereine und später auch Medien und Sponsoren diesem Projekt. Als 2018 die Women’s Super League (WSL) als reine Profiliga aus der Taufe gehoben wurde, stellte die FA-Verantwortliche Katie Brazier eine einfache Gleichung an: Professionelles Umfeld bringt mehr Qualität, was zu mehr Publikum und mehr Geld führt.

Die Rechnung geht auf. Die WSL-Partien erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Angeblich hat sich die Reichweite der TV-Übertragungen in der vergangenen Saison vervierfacht. Die Spielerinnen verdienen jetzt im Schnitt 30 000 Pfund im Jahr, die Stars sogar bis zu 200 000 Pfund. In Sachen Vermarktung und Professionalisierung erklärte der deutsche Spielerberater Dietmar Ness bereits vor geraumer Zeit die englische Liga für führend. Bei der Bezahlung ist das mittlerweile auch der Fall, denn Klubs und TV-Sender investieren zumeist aus voller Überzeugung.

Die Zugmaschine der Entwicklung bleibt aber Englands Nationalteam, das in der Vorbereitung einen ganz anderen Weg als die deutsche Auswahl nahm. Nicht so viel Training, dafür mehr Spiele, die reichlich Rückenwind gaben: 3:0 gegen Belgien, 5:1 gegen die Europameisterinnen aus den Niederlanden sowie ein 4:0 gegen die Schweiz. Es ist kaum vorstellbar, dass das Ensemble mit Torhüterin Mary Earps, Kapitänin Leah Williamson oder Dampfmacherin Lucy Bronze gegen die Österreicherinnen stolpert. Das Toreschießen funktionierte zuletzt sogar ohne die an Corona erkrankte Ellen White. Die 32-jährige Galionsfigur wurde nun überlebensgroß an die berühmten Kreidefelsen von Dover projiziert. Ausrufezeichen also allerorten. Selbst die für Manchester City spielende Lauren Hemp verrät, dass sie es »kaum noch erwarten« könne, das prall gefüllte Old Trafford zum Aufwärmen zu betreten, also just das Stadion des Stadtrivalen Manchester United.

»Ein Erfolg wäre es für England, wenn sie die Trophäe holen«, gibt Ex-Nationalspielerin und BBC-Moderatorin Alex Scott ein hohes Ziel vor. »Bei allem Aufwand und was sie sonst in den Fußball investiert haben, sollten sie das Turnier gewinnen.« Diese Erwartungshaltung war Nationaltrainerin Sarina Wiegman bewusst, als die Niederländerin vor zwei Jahren bei den Engländerinnen anheuerte. Angst hatte sie trotzdem keine, schließlich gewann sie schon 2017 ein Heimturnier: Die Niederlande hatte damals niemand auf dem Zettel, ehe sich die Begeisterung von Spiel zu Spiel steigerte. Orchestriert von einer Nationaltrainerin, die genau wusste, was sie tat – und die »Oranje Leuwinnen« 2019 auch noch bis ins WM-Finale führte.

Nun soll die 52-Jährige erneut den EM-Thron erklimmen, wobei es schon im Viertelfinale in Brighton zu einem Duell gegen Deutschland kommen könnte. »Ich hoffe, wir werden es zu einem Ereignis machen, an das sich alle für immer erinnern werden«, sagt Wiegmann. Das Energielevel könnte kaum größer sein. Gerade hat ein Private-Equity-Unternehmen 150 Millionen Pfund geboten, um die kompletten Rechte der WSL zu übernehmen – die FA hat vorerst dankend abgelehnt. Aber allein das unmoralische Angebot zeigt, welche Potenziale auf der Insel schlummern. Nicht nur in den Pubs von Brentford.

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