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- Fußball-EM der Frauen 2022
Stimmungskiller vor dem EM-Start
Ausfall von Weltfußballerin Alexia Putellas schockt Spanien und die ganze EM
Das Klacken der Krücken erklang in erschreckender Monotonie. Doch nur mit diesen war Alexia Putellas in der Lage, den Weg aus dem Fahrstuhl, über einen langen Gang, durch die Tür bis in den Kleinbus zurückzulegen, der die spanische Weltfußballerin ins Hospital King Edward VII’s in Marylebone im Zentrum Londons brachte. Spaniens Fußballverband verbreitete die Videosequenz über Twitter, ehe die bittere Nachricht folgte: Alexia, längst zur Stilikone des Frauenfußballs aufgestiegen, hat einen Kreuzbandriss erlitten. Es ist ein Ausfall, der dieser EM in England schon vor dem Start einen heftigen Stimmungskiller verpasst.
Dass die Kapitänin der »La Furia Roja« fehlt, verdrängte sogar das tägliche Rumoren der Männer vom FC Barcelona oder von Real Madrid auf hintere Seiten der spanischen Sportgazetten: »Drama Alexia!« titelte »Sport«, von einem »kaputten Traum« schrieb »AS«. Da mit Rekordtorschützin Jennifer Hermoso eine zweite Leistungsträgerin verletzt ist, sind die am 12. Juli gegen Deutschland spielenden Spanierinnen ihre Rolle als Mitfavoritinnen los. Ein Stern verglüht, bevor die EM eröffnet ist.
Das Drama ereignete sich am Ende einer Trainingseinheit vor dem Gruppenauftakt gegen Finnland, als die Starspielerin vom FC Barcelona den Ball mit rechts passen wollte und dabei im linken Standbein ein »Knacken« verspürte. »Dass solche Dinge passieren, ist einfach ungerecht«, klagte Nationaltrainer Jorge Vilda. »Ich bin fassungslos und schockiert.« Der Coach muss nun in Windeseile die gesamte Statik seiner Elf verändern. Die 28-Jährige vom FC Barcelona stand im Zentrum von Spaniens Spiels. Wie keine andere erspähte sie den richtigen Moment für Abspiel oder Abschluss. Viel von ihrer Gabe, sagte sie schon häufiger, habe sie sich abgeschaut, als sie im Camp Nou einem Rivaldo, Andres Iniesta oder Lionel Messi zuschaute. Wie diese früheren Barça-Stars gefällt sie sich sich im Rollenwechsel zwischen Vorbereiterin und Vollstreckerin. Eine besondere Bewunderung entwickelte sie für Xavi Hernandez, heute Cheftrainer der Männer beim FC Barcelona.
Die Katalanin aus Mollet del Vallès ist Pionierin in ihrem Land. Als sie noch ein Kind war, gab es im Nachwuchsbereich bei den Barça-Mädchen nur rudimentäre Strukturen. Mit zwölf musste sie ihren Herzensverein sogar verlassen, weil es kein adäquates Team für sie gab.
Als sie mit 18 Jahren nach Abstechern beim Lokalrivalen Espanyol und UD Levante zurückkehrte, war ihr Vater Jaume gestorben, der sie überhaupt erst für den Fußball begeistert hatte. Seitdem lebte sie noch mehr für den Sport. Heute wird sie »La Reina«, die Königin, genannt; sie ist auf Werbeplakaten und per Wandmalerei in Barcelona verewigt.
Die Uefa kürte Alexia zuletzt zur besten Spielerin der Champions League. Sie glänzte auf dem Weg bis ins Finale gegen Real Madrid (5:2) und den VfL Wolfsburg (5:1) im vollen Camp Nou, als sie ob der überwältigenden Fan-Resonanz feuchte Augen bekam.
Nun aber ist nicht mal sicher, ob Spaniens Nummer 14 im August 2023 überhaupt die WM in Australien und Neuseeland spielen kann. Ihre Verletzung ist tückisch, gerade Fußballerinnen brauchen oft weit mehr als die üblichen sechs Monate zur kompletten Heilung. Mehrere wissenschaftliche Untersuchungen belegen zudem, dass Frauen häufiger einen Kreuzbandriss erleiden als Männer. Das Frauenfußballmagazin »Elfen« widmete dem Thema in der aktuellen Ausgabe den mehrseitigen Report »Endstation Kreuzband«. Erklärungsansätze reichen von der Anatomie, über den Hormonhaushalt bis zur Periode. Klarheit herrsche noch nicht, halten die Autoren fest. Immer wieder aber würden Kreuzbandrisse die Karrieren von viel zu jungen Fußballerinnen beenden. Im Fall Alexia enden sogar Träume eines ganzen Teams.
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