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- Fußball-EM der Frauen 2022
Das »Brentford Project«
Bei der EM wollen Deutschlands Fußballerinnen zurück an die Spitze
Wer sich von der Einmündung der Brent in die Themse in den Kern des Londoner Stadtteils Brentford bewegt, dem fallen sofort die vielen Neubauprojekte auf. Moderne Backsteinbauten sprießen hier wie Pilze aus dem Boden. Es ist eine von vielen Maßnahmen, die den wegen seiner industriellen Vergangenheit und des Fluglärms lange verschmähten Stadtteil beleben sollen. Ein wichtiges Vorhaben nennt sich »Brentford Project«, direkt an der High Street, die zum Community Stadium von Brentford führt, in dem das deutsche Frauen-Nationalteam an diesem Freitag sein EM-Auftaktspiel gegen Dänemark bestreitet. Die Heimat des englischen Erstligisten FC Brentford ist vor zwei Jahren eigens an zentraler Stelle zwischen Bahngleise und Hochhäuser gezwängt worden, um das Zusammenwachsen im Westen Londons zu beschleunigen.
Es gibt wohl kein besseres Sinnbild, denn auch die deutschen Fußballerinnen befinden sich in einem Prozess des Wiederaufbaus. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg arbeitet gewissermaßen an ihrem eigenen »Brentford Projekt«, weil auch das zweite Gruppenspiel gegen Spanien (12. Juli) hier stattfindet. Spätestens dann gibt es klare Fingerzeige, ob es früh nach Hause geht – wovon keiner ausgeht – oder ins Viertelfinale gegen eine Mannschaft aus der Gruppe rund um die englischen Gastgeberinnen.
Doch vorerst gilt der Fokus dem ersten Spiel gegen die Vize-Europameisterinnen von 2017. »Wir wissen, was wir können, und wollen unseren Plan durchziehen«, sagte die 54-Jährige am Donnerstag. Man habe am Mittwochabend im Innenhof des Teamhotels im Syon Park das Eröffnungsspiel geschaut. »Am Freitag freuen wir uns auf ein ausverkauftes Stadion.« Dem Gegner gilt es trotz dortiger interner Querelen Respekt zu zollen. »Dänemark hat ein gutes und mental starkes Teamgefüge. Es wird eine große Aufgabe für uns, aber wir werden unsere ganze Energie und unseren ganzen Willen ins Spiel bringen.« Mit dem verlorenen EM-Viertelfinale vor fünf Jahren gegen die Skandinavierinnen muss sich die Bundestrainerin nicht mehr beschäftigen; der Reinfall im Regen von Rotterdam lag nicht in ihrem Verantwortungsbereich.
Wer sie beim Training auf dem Gelände des Grashoppers Football Club erlebte, sah eine hoch konzentrierte Fußballlehrerin, die noch mit der Kladde in der Hand herumlief. Mal steckte sie eine Stange in den Rasen, mal fuhr sie sich bei einem Windstoß durchs Haar, aber die meiste Zeit beobachtete sie aufmerksam. Ihr soll diesmal nichts entgehen; anders als bei der WM 2019 hat sie das Gefühl, dass sie genau weiß, was jede Einzelne am besten kann. In Frankreich habe sie ihre Spielerinnen noch »unbewusst überfordert«.
Seit dem einzigen Testspiel gegen die Schweiz (7:0) ist die Startelf klar. Vor Torhüterin Merle Frohms dirigieren die lange verletzte Marina Hegering und die gereifte Kathrin Hendrich die Vierer-Abwehrkette. Das Mittelfeld gilt als bester Mannschaftsteil: Lena Oberdorf, Lina Magull und Sara Däbritz haben Führungsaufgaben beim VfL Wolfsburg, FC Bayern bzw. Paris St. Germain innegehabt – da kann diese Troika doch auch im DFB-Dress vorangehen.
Vorne versuchen Svenja Huth und Klara Bühl die Mittelstürmerin Lea Schüller in Position zu bringen; sollte die Bayern-Angreiferin Ladehemmung haben, sitzen noch Kapitänin Alexandra Popp, Frohnatur Laura Freigang und Talent Jule Brand draußen. »Wir haben viele torgefährliche Spielerinnen. Unsere Stärke ist, dass wir uns nicht von ein oder zwei Torjägerinnen abhängig machen müssen«, betont die Bundestrainerin. Das war bekanntermaßen früher anders, als die bei jeder Trainingseinheit mitmischende Teampsychologin Birgit Prinz noch aktiv war.
Zu Wort gemeldet hat sich pünktlich vor EM-Start noch eine andere Galionsfigur: Silvia Neid, die mit einer deutlich strengeren Art im Rückblick fast unfassbare Erfolge als Spielerin und Trainerin einsammelte, hat in einem Interview über die deutsche Elf gesagt: »Für mich gehört sie zu einer der Top-Favoriten auf den EM-Titel. Martina Voss-Tecklenburg kann auf einen ausgeglichenen Kader zurückgreifen, die Qualität ist da.« Es stimme zwar, so die 58-Jährige, »dass wir nach dem Viertelfinal-Aus 2017 die Vormachtstellung verloren haben«, dennoch stelle sie fest: »Wir haben eine sehr gute Mannschaft mit bestens ausgebildeten Spielerinnen, einen guten Mix aus Erfahrung und jugendlicher Unbekümmertheit.« Hörte sich so an, als solle niemand an der raschen Fertigstellung des »Brentford Project« zweifeln, auch wenn das vor Ort noch ein bisschen anders aussieht.
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