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Gewalt schon vor dem Wahlkampf
Die Ermordung des PT-Politikers Arruda hat in Brasilien eine Diskussion über rechte Gewalt ausgelöst
Der Täter rief den Namen des ultrarechten Präsidenten Jair Bolsonaro, bevor er die Schüsse auf sein Opfer abfeuerte. Der Mord eines rechten Fanatikers an einem Lokalpolitiker der Arbeiterpartei PT schockiert Brasilien und hat eine hitzige Debatte über politische Gewalt im näherrückenden Wahlkampf ausgelöst.
Am Samstag feierte Marcelo Arruda seinen 50. Geburtstag in Foz do Iguaçu. Die Stadt liegt im südbrasilianischen Bundesstaat Paraná, direkt an der Grenze zu Paraguay, unweit der weltbekannten Iguaçu-Wasserfälle. Thema der Party: Ex-Präsident Lula, der im Oktober gegen Amtsinhaber Bolsonaro ins Rennen um die Präsidentschaft zieht.
Gegen 11.30 Uhr tauchte ein Mann am Veranstaltungsort auf, bedrohte die Anwesenden und tat seine Unterstützung für Bolsonaro lautstark kund. In seinem Auto saßen seine Frau und sein Baby. Der Mann zog nach einem Wortwechsel wieder ab, drohte jedoch vorher noch, wiederzukommen und alle umzubringen. Das geht aus Zeugenaussagen, Polizeiberichten und Überwachungskameras hervor. Arruda, der als Sicherheitsbeamter arbeitete, holte daraufhin seine Waffe aus dem Wagen, um sich bei einer Rückkehr des Mannes schützen zu können. Nach 20 Minuten kehrte der Mann, der inzwischen als der Gefängnismitarbeiter Jorge da Rocha Guaranho identifiziert wurde, zurück und eröffnete das Feuer auf Arruda. Der vierfache Vater erwiderte die Schüsse. Beide Männer starben. Zeug*innen erklärten, Arruda habe durch seine schnelle Reaktion ein Blutbad verhindert. Ex-Präsident Lula sprach sein Mitgefühl für die Familie des Opfers aus und betonte, sein Parteikollege habe eine »größere Tragödie« verhindert.
Und Präsident Bolsonaro? Der äußerte sich nicht direkt, schrieb aber bei Twitter, dass es keine Hilfe für diejenigen geben werde, »die Gewalt gegen Oppositionelle ausüben«. Doch viele machen den ultrarechten Präsidenten für den Angriff mitverantwortlich. »Bolsonaro hetzt und fordert seine Anhänger ständig dazu auf, Gewalt auszuüben«, sagte der Polizist und PT-Politiker Leonel Radde dem »nd«. Bei einer Wahlkampfveranstaltung 2018 schnappte sich Bolsonaro einen Mikrophonständer, imitierte damit ein Gewehr und brüllte in das Mikrophon: »Wir werden die petralhada (abwertende Bezeichnung für Anhänger*innen der PT) erschießen.« Bei vielen weiteren Gelegenheiten rief er zu Gewalt auf, hetzte gegen Linke und Minderheiten. Außerdem, meint Radde, sei das sogenannte dog whistling eine Taktik des Präsidenten. Diese Hundepfeifen-Politik beschreibt chiffrierte Aussagen, die es erlauben, versteckte Bedeutungen einzubetten, die nur die eigene Anhängerschaft versteht. Und auch durch seinen Kampf für lockere Waffengesetze ermögliche Bolsonaro solche Taten, sagen Expert*innen. Erst vergangene Woche versammelten sich Waffenfans in der Hauptstadt Brasília. Angeführt wurde der Protest von Eduardo Bolsonaro, Sohn des Präsidenten. Guaranho, der Mörder des linken Lokalpolitikers, hatte im Juni 2021 ein Foto mit ihm bei Twitter gepostet.
Nicht erst seit dem jüngsten Mord wird diskutiert, wie man Lula, der derzeit in den Umfragen mit großem Vorsprung führt, schützen kann. Bereits im Wahlkampf 2018 war es zu Angriffen gekommen. Bei einem öffentlichen Auftritt in Rio de Janeiro trug der ehemalige Gewerkschafter zuletzt eine kugelsichere Weste, aus Sicherheitsgründen soll er umgezogen sein. Trotz aller Vorsicht kam es zu mehreren Zwischenfällen bei Veranstaltungen.
Viele glauben, dass es zu Gewalt bei der für Oktober angesetzten Wahl kommen wird, auch weil Bolsonaro Lügen über das elektronische Wahlsystem verbreitet und immer wieder sagt, die Wahlergebnisse nur zu akzeptieren, wenn er gewählt wird. »Nur Gott« könne ihn von der Präsidentschaft entfernen. Die meisten Analyst*innen gehen davon aus: Je enger die Wahl, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass Bolsonaro einen institutionellen Bruch wagt. Die Bilder vom Kapitol-Sturm in Washington könnten als Blaupause dienen. Während einige gar einen Putschversuch befürchten, glauben die meisten Expert*innen, dass Bolsonaro dafür die nötige Rückdeckung fehlt.
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