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»Lindner hat mich irritiert«
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Roloff sieht in der Koalition einige Differenzen mit der FDP
Früher ging die SPD-Linke davon aus, dass alles besser wird für die Partei, wenn sie nicht mehr mit der Union regiert. Nun stellen die Sozialdemokraten mit Olaf Scholz den Bundeskanzler und koalieren in der Ampel mit Grünen und FDP. Umfragen sehen die SPD aber nur auf Platz drei. Woran liegt das?
In vielen Bereichen ist in der Ampel deutlich mehr möglich an sozialdemokratischen Inhalten als mit der Union. Beispiele hierfür sind die Abschaffung des Paragrafen 219A, die Erhöhung des Mindestlohns und des Bafög sowie die Fachkräfte-Zuwanderung. Aber es gibt natürlich auch Bereiche, in denen unsere Schnittmengen mit der FDP gering sind. Die aktuellen Umfragen würde ich nicht überbewerten. Das sind Momentaufnahmen. Man muss sich außerdem das Gesamtbild ansehen. Mehr als 60 Prozent stimmen dem Kurs des Bundeskanzlers zu.
Ihnen machen die Umfragen wirklich keinerlei Sorgen?
Nein.
Es gibt noch weitere Themen, für die diese Bundesregierung steht, zum Beispiel die höheren Militärausgaben. Die Union hat immer die Einhaltung des Zwei-Prozent-Ziels gefordert und die SPD setzt nun die Milliardenausgaben für die Bundeswehr um. Blutet Ihnen als Parteilinkem das Herz?
Die Entscheidung für das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr habe ich mitgetragen, hatte aber selbstverständlich nicht bei allen Details Freude. Das Zwei-Prozent-Ziel lehne ich weiter ab und bin froh, dass das auch nicht im Grundgesetz stehen wird. Das war auch ein Erfolg des linken SPD-Flügels. Wir wollten zudem vorab genau wissen, was mit dem Geld passieren soll. Wichtig war auch, dass das Programm nicht zulasten von anderen Projekten der Koalition geht. Wir leben seit dem russischen Angriff auf die Ukraine unter Umständen, die wir uns zu Beginn der Legislaturperiode nicht vorstellen konnten. Darauf sind nun andere Antworten erforderlich.
Aber warum ist es aus Ihrer Sicht sinnvoll, diesen Riesenbetrag für die Bundeswehr auszugeben?
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat deutlich gemacht, wo Defizite bestehen. Im Bereich der Ausrüstung und Ausstattung, der Infrastruktur von Kasernen sowie der Arbeitsbedingungen für Soldaten gibt es einen hohen Investitionsbedarf. Das konnte ich in vielen Punkten nachvollziehen.
Kanzler Olaf Scholz hat das Sondervermögen in Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine gesetzt. Aber den Menschen dort hilft das doch gar nicht.
Das ist keine konkrete und kurzfristige Hilfe. Vielmehr geht es darum, wie Deutschland künftig verteidigungspolitisch aufgestellt ist. Wir haben angesichts der Rolle von Russland, das schwer berechenbar ist, einen Bedarf gesehen.
Wie lautet denn die Antwort der SPD-Linken auf den Krieg. Was muss getan werden, damit er endet?
Die Positionen der Friedensbewegung waren Teil der SPD-internen Diskussion. Die haben sich zwar am Ende nicht durchgesetzt. Aber mir ist es wichtig, dass sie gehört wurden. Wir haben versucht, als Forum DL 21 ein Bindeglied zu sein in dieser Debatte. Wenn es irgendwie möglich ist, sollte immer auf dem Verhandlungsweg eine Lösung bei militärischen Konflikten gesucht werden. Das wurde auch von westlicher Seite versucht, war aber mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin auf einer rationalen Ebene nicht machbar. Jetzt muss die Ukraine unterstützt werden, denn sie verteidigt auch die westlichen Werte und den Frieden in Europa – das tut die Bundesregierung.
Dieser Tage wurde in Hannover über den Ausschluss von Gerhard Schröder aus der SPD verhandelt. Er selbst wirbt für sich, dass er gute Kontakte nach Russland hat und Gesprächskanäle öffnen könnte.
Also zunächst einmal hat auch Olaf Scholz Gesprächskanäle mit Wladimir Putin und wird dafür kritisiert, dass er sich um Diplomatie bemüht. Gerhard Schröder hat sich hingegen in vielerlei Hinsicht disqualifiziert. Er steht auf der Gehaltsliste von russischen Staatskonzernen und verharmlost die russische Führung. Ich kann nicht beurteilen, ob er das Vertrauen des Kremls hat, und es würde mich wundern, wenn das Kanzleramt ihm vertraut. Für Gespräche mit Moskau gibt es geeignetere Personen.
Mit dem Namen Gerhard Schröder und anderen SPD-Politikern sind die deutschen Gasgeschäfte mit Russland verbunden. Halten Sie diese Politik mit dem Wissen von heute für richtig?
Rückblickend wäre es besser gewesen, die Abhängigkeit von russischen Lieferungen zu verringern. Nun war es aber auch eine konservative Bundeskanzlerin, in deren Amtszeit die Abhängigkeit immer weiter verstärkt wurde. In den vergangenen Monaten ist es gelungen, diese deutlich zu reduzieren. Darüber bin ich froh. Wir sind dabei aber noch nicht ganz durch, vor allem nicht durch den Winter.
Die Bundesregierung setzt dabei auch auf Kohleverstromung. Dabei müsste sie doch auch Konzepte gegen die Klimakrise verfolgen.
Wir haben in der vergangenen Woche das Osterpaket im Bundestag beschlossen. Da geht es um den Ausbau der erneuerbaren Energien, sowohl was finanzielle Anreize betrifft als auch die Planungsbeschleunigung. Bei den Erneuerbaren sind wir einige Jahre hinten dran in Deutschland. Die unionsgeführten Jahre haben uns gebremst. Das muss nun die allerhöchste Priorität haben. Deswegen macht es uns nicht glücklich, die Laufzeiten von Braunkohlekraftwerken zu verlängern. Aber es ist nötig und besser, als über die Frage der Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken nachzudenken.
Obwohl manche in der Koalition genau das tun, wenn man sich Äußerungen aus der FDP und von Parteichef Christian Lindner ansieht.
Das wundert mich angesichts der Gutachten, die das Bundeswirtschaftsministerium eingeholt und vorgelegt hat. Es gibt viele Gründe, um gegen die Atomenergie zu sein. Selbst die Industrie ist daran nicht interessiert.
Die SPD hat die Bundestagswahl auch wegen ihrer Forderung nach einem Mindestlohn in Höhe von zwölf Euro gewonnen. Ist das jetzt Makulatur angesichts der Inflation?
Das ist keine Makulatur. Der Mindestlohn wirkt für fast zehn Millionen Menschen in Deutschland. Aber natürlich müssen wir neben dem ersten Entlastungspaket die Situation im Auge behalten. Spätestens im Herbst müssen wir über weitere Entlastungen wegen der Energiepreise und der Inflation reden.
Wo soll das Geld dafür herkommen? Im neuen Haushalt soll die Schuldenbremse wieder greifen.
Ich wäre froh, wenn sich die Debatte über die Schuldenbremse an volkswirtschaftlichen Grundsätzen orientieren würde. Mit Blick auf die Energiepreise, Lieferketten und Rohstoffpreise ist nichts gerettet, wenn der Staat auf Haushaltskonsolidierung setzt. Wir sind in mehreren Krisen. Die Coronakrise ist nicht überstanden, es gibt die Kriegsfolgen, die Inflation und die Herausforderung der Digitalisierung. Vor diesem Hintergrund ist es widersinnig zu sagen, dass wir nun die Schuldenbremse einhalten müssen, um den Haushalt zu konsolidieren. Stattdessen müssen die notwendigen Investitionen auch über Staatsverschuldung geregelt werden. Ich habe auch Sympathien für eine höhere Erbschaftsteuer, einen höheren Spitzensteuersatz und eine Übergewinnsteuer. Das wurde aber nicht im Koalitionsvertrag vereinbart. Aber natürlich war der Koalitionsvertrag unter anderen Vorzeichen geschlossen – wir müssen hier mit der Zeit gehen.
Was halten Sie davon, Preise staatlich zu deckeln?
Das finde ich insbesondere bei Produkten des täglichen Bedarfs, bei Gas und Strom sehr sympathisch. Ich bin da auf der Seite des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Konservative tun das gerne als sozialistische Spinnerei ab. Das ist falsch. In Frankreich wird das durchaus erfolgreich umgesetzt. Außerdem finde ich, dass das Neun-Euro-Ticket unbedingt fortgesetzt und zum Beispiel zu einem 365-Euro-Ticket weiterentwickelt werden sollte.
Nicht alle in der Koalition scheinen der Meinung zu sein, dass armen Menschen mehr geholfen werden muss. Kürzlich war bekannt geworden, dass Christian Lindner bei Langzeitarbeitslosen kürzen will. Was sagen Sie dazu?
Davon war ich sehr irritiert. Das deckt sich nicht mit dem Koalitionsvertrag und schadet allen. Die Förderung kommt nämlich allen zugute. Betrieben, der Sozialversicherung und den Langzeitarbeitslosen.
Die Verantwortung für den Bereich liegt beim SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil. Wissen Sie, wie er auf Lindner reagieren wird?
Ich kenne in der SPD niemanden, der den Vorstoß gut findet. In der Koalition wird es also noch viel Diskussionsbedarf geben.
Was wird eigentlich aus den rot-rot-grünen Gesprächskreisen? Sind diese bundespolitisch tot oder wird in der SPD-Linken noch mittelfristig über diese Perspektive nachgedacht?
Die gibt es noch, unter anderem im Institut Solidarische Moderne, wo ich im Vorstand bin. Zudem ist der Austausch zwischen den linken Flügeln von SPD und Grünen sehr gut. Ich sehe aber derzeit nicht das große Bedürfnis auf beiden Seiten, die rot-rot-grünen Gespräche zurzeit zu intensivieren. In der Diskussion zu bleiben schadet aber nie.
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