- Politik
- Tiefseebergbau
Angriff auf die Tiefsee-Schätze
Bergbau am Meeresgrund wäre eine extraktive Industrie und würde massive Umweltschäden sowie soziale Verwerfungen auslösen
Erkundungen am Meeresboden werden vehement vorangetrieben und zielen darauf ab, in den kommenden Jahren mit der Rohstoffgewinnung zu beginnen. Der Fokus liegt dabei auf der Clarion-Clipperton-Zone im Nordosten des äquatorialen Pazifiks, zwischen Mexiko und Hawaii, sowie in den ausschließlichen Wirtschaftszonen pazifischer Inselstaaten. Die Clarion-Clipperton-Zone ist eine Bruchzone in der ozeanischen Kruste im Zentralpazifik. Dieses etwa 7000 Kilometer lange Gebiet steht im Zentrum des Interesses, weil hier viele Manganknollen vorkommen. Sie enthalten wertvolle Rohstoffe wie Nickel, Cobalt und eben Mangan. Auch die Bundesrepublik Deutschland erwarb dort 2006 eine Explorationslizenz.
Bedrohung für Meere und Menschen
Jan Pingel, Jahrgang 1983, ist Politikwissenschaftler und Friedens- und Konfliktberater. Er koordiniert seit 2017 das zivilgesellschaftliche Netzwerk Ozeanien-Dialog (www.ozeanien-dialog.de). Der hier veröffentlichte Text erschien zuerst in der Juli-Ausgabe des außenpolitischen Journals »Welttrends«, das einen Themenschwerpunkt »Pazifik in der Weltpolitik« enthält.
Zum Weiterlesen: welttrends.de
Die Weltmeere sind in Gefahr. Ihre Widerstandsfähigkeit wird nicht nur durch die nachgewiesenen Auswirkungen der Klimakrise, der Überfischung und der Verschmutzung auf eine harte Probe gestellt, sondern auch durch eine wenig bekannte Industrie, die an der Schwelle zu einer irreversiblen Schädigung dessen steht, was oft als die letzte Grenze des Planeten bezeichnet wird: unsere Tiefsee.
Angelockt von Mineralien, treibt eine Handvoll Unternehmen und Regierungen die Entwicklung von Rechtsvorschriften durch die Internationale Meeresbodenbehörde voran, die den Abbau auf dem Tiefseeboden erlauben würden. Dieser spekulative Ansturm steht im Widerspruch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen, die auf einen vorsorgenden Ansatz drängen, sowie im Widerspruch zu Bedenken über die Auswirkungen des Bergbaus auf die bereits bedrohten Ökosysteme der Ozeane.
Bis heute hat kein kommerzieller Tiefseebergbau stattgefunden – und ein breites Spektrum der globalen Öffentlichkeit hofft, dass dies auch so bleibt. Wissenschaftler*innen, Regierungen, lokale Gemeinden, prominente Naturschützer*innen, Nichtregierungsorganisationen und Kirchen auf der ganzen Welt fordern entweder ein Moratorium oder ein vollständiges Verbot von Tiefseebergbau.
Ein globales Versuchsfeld
In den letzten zehn Jahren hat ein regelrechtes Wettrennen um die Mineralvorkommen am Meeresgrund eingesetzt. Dutzende von Erkundungslizenzen sind mittlerweile von pazifischen Inselstaaten an Konzerne vergeben worden. Industrie und Politik – auch in Deutschland – versprechen sich davon, den zukünftigen Rohstoffbedarf für neue und alte Technologien preisgünstig zu decken. Auch wenn auf Ebene der Internationalen Meeresbodenbehörde derzeit ein Regelwerk zum Abbau der Tiefseemineralien verhandelt wird, gibt es weltweit große Bedenken, das Risiko überhaupt einzugehen.
Dem Pazifik und insbesondere den südpazifischen Inselstaaten kommt beim Run auf die Tiefseemineralien eine Schlüsselrolle zu. Ihre exklusiven Wirtschaftszonen verfügen über immense Rohstoffvorkommen am Meeresgrund und auf international mühsam verhandelte Regeln muss man hier, im souveränen Gebiet der Inselstaaten, nicht warten. Ausländische Investoren und Unternehmen, aber auch internationale Institutionen wie die EU-Kommission oder die Internationale Meeresbodenbehörde versprechen den pazifischen Regierungen dringend benötigte Einnahmen für die Staatskassen – mit wenig oder gar keinen negativen Auswirkungen auf die Bevölkerungen und Ökosysteme. Viele Bewohner*innen der Inselstaaten zeigen sich hingegen besorgt über die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen für ihr Leben und das zukünftiger Generationen im flüssigen Kontinent. Gleichzeitig wächst der wissenschaftliche Erfahrungs- und Wissensschatz, der diese Befürchtungen untermauert.
Lokaler Protest – weltweite Dimension
Bislang gibt es keine Belege für die Machbarkeit oder einen tatsächlichen wirtschaftlichen Nutzen von Tiefseebergbau. Die Folgen des weltweit ersten lizenzierten Abbauprojekts – Solwara 1 in Papua-Neuguinea – waren für das Land verheerend. Als Nautilus Minerals Inc. im Jahr 2019 Konkurs anmeldete, war Papua-Neuguinea tiefer verschuldet als zuvor, da es sich vom kanadischen Unternehmen hatte überzeugen lassen, in das schließlich gescheiterte Projekt zu investieren. Tiefseebergbau trifft in Papua-Neuguinea zudem mittlerweile auf massiven Widerstand von Küstengemeinschaften, zivilgesellschaftlichen Akteuren und Kirchen.
Das Beispiel Papua-Neuguinea zeigt bereits ohne Bergbau am Meeresgrund, dass extraktive Industrien einhergehen mit massiven Umweltschäden, sozialen Verwerfungen, einer zunehmenden Kluft zwischen Arm und Reich, hoher Korruption und gravierenden Menschenrechtsverletzungen. Die negativen Erfahrungen mit Bergbau an Land, insbesondere im Hochland, sind ein wichtiger Grund für den vehementen Widerstand der Küstenbevölkerung gegen den geplanten Abbau in der Tiefsee. Versprechen von Wohlstand und Fortschritt durch extraktive Großprojekte glaubt hier kaum jemand mehr. Entwicklung, insbesondere von außen kommend, wird zunehmend als Bedrohung betrachtet.
Proteste in Form von Demonstrationen, gerichtlichen Klagen, Unterschriftenaktionen und politischer Lobbyarbeit in Papua-Neuguinea und der ganzen Region trugen maßgeblich dazu bei, dass das kanadische Unternehmen Nautilus Minerals die Pläne in der Bismarcksee aufgeben und Konkurs anmelden musste. Ein Erfolg, den sich vor allem die Alliance of Solwara Warriors, ein Zusammenschluss von lokalen Aktivist*innen, Kirchenvertreter*innen, Fischern und Küstenbewohner*innen in Papua-Neuguinea mit dem Ziel, die für sie so wichtigen natürlichen Ressourcen zu schützen und Tiefseebergbau zu verhindern, auf die Fahnen schreiben können.
Die Gruppe ist zu Recht stolz darauf, dass ein überwiegend dezentraler Grassroots-Protest mit kleinem Budget erreichen konnte, dass Meeresbodenbergbau als neue Industrie bereits vor dem Start als bedrohliches Experiment diskreditiert ist. Unterstützung und Solidarität erhalten die Solwara Warriors aus der gesamten Region, aus Australien, den USA, Kanada und Europa. Der erfolgreiche Protest in Papua-Neuguinea ist mittlerweile starke Motivation und Inspiration für rechtebasierte Meeresschutz-Kampagnen in vielen Teilen Ozeaniens – in den Cook-Inseln, in Tonga, Fidschi oder Vanuatu – und darüber hinaus.
Konflikte schon vor dem Abbau
Tiefseebergbau verursacht bereits jetzt soziale und politische Spannungen in den Gesellschaften im Südpazifik, obwohl der kommerzielle Abbau noch gar nicht begonnen hat. Viele InselbewohnerInnen geben der Erhaltung von Lebensräumen, ihrer Lebensweise, ihrer Existenzgrundlage und der Ernährungssicherheit Vorrang vor den unbestätigten Vorteilen, die Tiefseebergbau mit sich bringen könnte. Sie sind sich der Zerstörung bewusst, die der terrestrische Bergbau anrichtet, und wissen, dass die betroffenen Gemeinschaften in der Regel keinesfalls in nachhaltiger Weise vom Abbau der natürlichen Ressourcen profitieren.
Während einige Regierungen und Bevölkerungsteile Tiefseebergbau unterstützen, weil sie sich davon eine stärkere wirtschaftliche Entwicklung versprechen, sind viele pazifische Inselökonomien nach Jahrzehnten der exzessiven Rohstoffgewinnung nach wie vor unterentwickelt und fragil. Selbst wenn Tiefseebergbau ein wirtschaftlicher Erfolg sein sollte, würden die daraus erzielten Einnahmen nicht ausreichen, um den Inselbewohner*innen zu gesteigertem Wohlstand zu verhelfen oder um vorausgesagte und potenzielle Verluste bei der gegenwärtigen Nutzung des Ozeans wie z. B. Fischerei und Tourismus auszugleichen.
Tiefseebergbau beschädigt so potenziell nachhaltige Wirtschaftszweige der Inselstaaten: Kleinfischerei, exportorientierte Fischwirtschaft und Tourismus. Dies trägt nicht zu einer nachhaltigen Entwicklung bei, sondern führt zu wirtschaftlicher Ausbeutung, Zerstörung von Lebensgrundlagen und Biodiversität.
Zur Erreichung von globaler Ressourcen- und Klimagerechtigkeit kommt dem konsequenten Schutz mariner Ökosysteme und ihrer Funktionen eine Schlüsselrolle zu – dies gilt insbesondere für die pazifische Inselwelt. Denn gesunde Meere sind essenzielle Grundlage pazifischer Lebensweisen und untrennbar mit Klima, Biodiversität, Wirtschaft, Gesellschaft und Spiritualität verbunden. Das Leben der Menschen war nie ausschließlich vom Land, sondern ebenso und vielleicht zum größten Teil vom Ozean bestimmt, der zusammen mit all seinen Ressourcen seit Langem als eine einzige, heilige Einheit betrachtet wird. Meer und Land gemeinsam betrachten die Bewohner*innen des Südpazifiks als ihren flüssigen Kontinent.
Kommt man mit Menschen in Ozeanien ins Gespräch über (Tiefsee-)Bergbau, Überfischung oder die Klimakrise, wird einem schnell die eigene, europäische Verantwortlichkeit und Verantwortung klar. Unmittelbare Gefahren für Ernährungssicherheit und lokale Entwicklung (nicht nur) in diesem Teil der Welt sind die Kehrseite eines nach wie vor kaum gebremsten Ressourcenverbrauchs in den Industriestaaten. Küstengemeinschaften in der Region sowie Zivilgesellschaft, darunter die Alliance of Solwara Warriors in Papua-Neuguinea oder der zivilgesellschaftliche Zusammenschluss Blue Line Collective haben dies erkannt und fordern ein weltweites Verbot von Tiefseebergbau – ein Tabu!
Von ihrem Widerstand und ihren Kampagnen ist es abhängig, ob es gelingt, Tiefseebergbau zu stoppen. Hierfür brauchen unsere Partner*innen in Papua-Neuguinea, Tonga, Fidschi und den Cook-Inseln weiterhin internationale Unterstützung.Vor allem aus den Ländern, aus denen das Kapital, die Technologien und der überhöhte Ressourcenverbrauch kommen, ohne die Tiefseebergbau nicht kurz davor wäre, bedrohliche Realität zu werden.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.