Publikumsliebling Frieda

Sommer in Berlin: Im Tierpark Berlin normalisiert sich der Betrieb nach zwei schweren Jahren wieder etwas

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 7 Min.

Petra Eisner ist nicht sehr zufrieden. Der Tierpark Berlin habe »sich doch sehr stark verändert«, sagt die pensionierte Lehrerin aus dem brandenburgischen Mahlow zu »nd«. Das letzte Mal sei sie »vor zig Jahren« hier gewesen. »Das war früher der schönste Ort, den man sich vorstellen kann.« Den Blick auf das ein wenig unschlüssig hinter der Absperrung herumstehende Giraffen-Baby Frieda gerichtet, eine der Attraktionen des Tierparks, sagt Eisner: »Vieles wirkt doch nicht mehr so gepflegt.«

Ein Satz, der Katharina Miethe auf den Plan ruft. Auch sie schaut Frieda beim Rumstehen zu. »Ich war noch nie hier, und ich finde es gerade gut, dass es hier so wild ist wie im Dschungel oder der Savanne, das soll doch eine Umgebung für die Tiere sein«, meint die junge Mutter, die in Tempelhof aufgewachsen ist und das Gespräch mit Petra Eisner durch Zufall mitbekommen hat. »Aber es war früher viel gepflegter«, sagt Petra Eisner. »Aber es ist doch wunderbar«, entgegnet Katharina Miethe. Dann ist die Meinungsverschiedenheit auch schon wieder Geschichte. Frieda rennt los zu ihrer Mutter Amalka. Große Aufregung am Rand des Giraffengeheges. Eine Kita-Gruppe ruft laut und staunt: Oh, ah, toll, Frieda!

Sehr viel Fauna, sehr viel Flora

Im Berliner Tierpark ist ordentlich was los an diesem heißen Julitag mitten in den Ferien: sehr viele Kita-Gruppen, dazu Eltern mit kleinen Kindern, Großeltern mit Enkeln, Senioren allein, Touristen, zwischendrin eine Frau, die ihre Joggingrunden dreht. Letzteres ist bei näherer Betrachtung weniger irre, als man zunächst denken könnte. Denn erstens lassen sich auf dem 160 Hektar großen Areal im Lichtenberger Ortsteil Friedrichsfelde sehr viele, sehr weite Strecken zurücklegen. Und zweitens herrscht trotz der Mittagshitze in manchen Ecken ein ausgesprochen angenehmes Mikroklima.

»Immer wieder heißt es: Ja, Fauna. Aber, nein: Wir haben auch sehr viel Flora«, sagt Tierpark-Direktor Andreas Knieriem bei einem Spaziergang zu »nd«. »Das ist ein sehr, sehr intakter Tierpark, mit toller Vegetation, tollen Mischwäldern.« 13.000 Bäume habe man im Kataster. Tatsächlich seien es weitaus mehr. »Und wenn man hier langgeht, merkt man gleich: Oh, das ist anders als in Kiefernwäldern.« Zum Teil eben Dschungel. Den einen gefällt es, den anderen nicht so. Aber es geht ja vor allen Dingen um die Tiere. Um die Giraffe Frieda oder den Roten Panda Urs, die Schneeleoparden oder die Eisbären. Auf fast 650 Arten, insgesamt 6380 Tiere ist man bei der letzten Inventur gekommen.

Einen Besucheransturm wie an diesem Sommertag kann der Tierpark gut gebrauchen, denn hinter der 100-Prozent-Tochter der Zoologischer Garten Berlin AG liegen zwei harte wirtschaftliche Jahre. Seit Knieriem 2014 die Leitung des Tierparks übernommen hat, ging es eigentlich steil bergauf, von vormals kaum über eine Million Besucher auf 1,73 Millionen. Dann kamen 2020 die coronabedingten Schließzeiten und sonstigen Einschränkungen – und die Zahlen brachen um über eine halbe Million auf 1,22 Millionen ein. Kaum besser sah es im vergangenen Jahr aus, als man 1,26 Millionen Besucher zählte. Die Ausgabenseite blieb mit über 18 Millionen Euro zugleich weitgehend unverändert. Der Betrieb eines Zoos ist komplex – und das kostet.

Gelassen in die Energiekrise

»Wir erleben zwar gerade, dass es sich normalisiert. Trotzdem wünschen wir uns noch mehr Besucher«, sagt Direktor Andreas Knieriem. »Aber ich will nicht jammern.« Überhaupt, erklärt der 56-Jährige gut gelaunt, wolle er die Dinge »mit einer gewissen positiven Attitüde« angehen. »Diese German Angst, da muss man ein wenig vorsichtig sein. Wissen Sie, wir haben Tiere, die jeden Tag etwas anderes machen, als sie sollen. Ich bin Zootierarzt. Ich bin mit Elefanten im Flugzeug geflogen, da hätte sonst was passieren können. Und Sie bekommen dann irgendwann eine gewisse Ruhe, weil Sie sonst gar nicht mehr schlafen können.«

Natürlich macht sich auch der Tierpark mit seinen 216 Mitarbeitern und 14 Auszubildenden Gedanken über die aktuelle Inflation und die steigenden Energiepreise. Zum Glück habe man langfristige Verträge mit den Energieversorgern abgeschlossen, so Knieriem. Möglicherweise werde man in dem auf dem Gelände gelegenen und als Veranstaltungsort genutzten Barockschlösschen Friedrichsfelde die Heizung im Winter etwas drosseln. »Dann muss sich der Denkmalschutz eben Strumpfhosen anziehen«, sagt Knieriem. »Mit Tieren können Sie das ja nicht machen. Aber wir werden schon eine Lösung finden. Ich glaube nicht an das Schlimmste, auch wenn wir jede Woche neue Hiobsbotschaften hören.«

Knieriems Optimismus kommt nicht von ungefähr. Rund 6,6 Millionen Euro schießt der Senat laut Haushaltsplan 2022 und 2023 pro Jahr zum Betrieb zu, hinzu kommen Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 19,8 Millionen Euro. Die Zuwendungen des Landes hatten im vergangenen Jahr allein ein Drittel der gesamten Einnahmen ausgemacht. Dass man den Betrieb hängen lässt, darf als ausgeschlossen gelten: Der Tierpark ist eine Institution im Osten Berlins. Eine der wenigen Freizeiteinrichtungen, die die Wende überstanden haben.

Eigene Geschichte, eigener Charakter

Zumindest kurzzeitig galt das nicht unbedingt als ausgemacht. So gab es 1990 Sorgen, der Tierpark könnte wie so viele andere Betriebe abgewickelt werden. Zumal es den Zoologischen Garten in Westberlin gab. Schließlich wurde noch im Herbst des gleichen Jahres seitens des Ostberliner Magistrats und des Westberliner Senats verkündet, dass Zoo und Tierpark nebeneinander existieren »können und sollen«. Der Ostberliner Stadtrat für Inneres, Thomas Krüger (SPD), soll den Tierpark einem damaligen Bericht der »Taz« zufolge mit den Worten verteidigt haben: »Hier gibt es eigene Werte, eigene Geschichte, einen eigenen Charakter.«

Bei allem wende- und nachwendetypischen Pathos: Der Tierpark war zu DDR-Zeiten ein Besuchermagnet sondergleichen. Zu Spitzenzeiten, 1989, reihten sich fast 3,2 Millionen Besucher in die gefühlt ewig langen Schlangen am Eingang. Eröffnet wurde der Tierpark 1955 – als genuines Konkurrenzprojekt Ost zum Zoologischen Garten West – mit einer vergleichsweise beachtlichen Zahl an Tieren und Arten, zum Teil von anderen, auch westdeutschen Zoos gespendet. Zum Teil wurden die Einkäufe auch über Spenden der Bevölkerung und von Betrieben der DDR finanziert. Die Belegschaft des »Neuen Deutschland« etwa sammelte für einen Elefanten, das Ministerium für Staatssicherheit ließ Geld für zwei Brillenbären springen.

Darauf aufbauend wurde das »Prestigeobjekt« des Sozialismus kontinuierlich erweitert. Und die Aussage der pensionierten Lehrerin Petra Eisner über den »alten« Tierpark trifft faktisch zu: kein Punk, kein Dschungel. Das Gelände wirkte in der Tat wie ein aufgeräumter Landschaftspark mit Tieren, von denen es seinerzeit sogar mehr gab als heute: 1990 insgesamt 7500 in 900 Arten.

Umbauten ziehen sich in die Länge

Aber es wird auch wieder mehr Tiere in Friedrichsfelde geben, verspricht die Verwaltung. Seit 2020 wird das Dickhäuterhaus umgebaut – die Elefanten mussten in andere Zoos umziehen. Seither ist Friedrichsfelde elefantenlos. Ursprünglich sollte das Dickhäuterhaus in diesem Jahr neu eröffnet werden. Dass daraus nichts wird, ist schon länger klar. Doch auch der geplante Eröffnungstermin für 2023 lasse sich »vermutlich nicht mehr realisieren«, heißt es vom Tierpark auf nd-Anfrage. Denn: »Es zeichnet sich bereits ab, dass absehbar keine Entspannung in der Marktsituation zu erwarten ist und sich der zuletzt starke Anstieg von Material-, Liefer- und Lohnkosten stattdessen in Folge des tragischen Ukraine-Kriegs und der verhängten Wirtschaftssanktionen weiter verschärfen wird. Mit konkreten zeitlichen Prognosen sind wir daher sehr vorsichtig.«

Man sollte meinen, dem unter anderem auf Elefanten spezialisierten und mit ihnen durch die Gegend geflogenen Zootierarzt Andreas Knieriem liegen vor allem die Schwergewichte am Herzen. Dem ist nicht so, sagt der Tierpark-Direktor. »Ich habe gelernt, dass alles faszinierend ist. Sogar Blattschneiderameisen finde ich irre. Wie jede einzelne Ameise für alle zusammen arbeitet und einen Pilz züchtet, von dem man sich nachher ernährt.« Gut, die Ameisen sind anders als Frieda oder Urs vermutlich keine Publikumslieblinge. Aber – und darauf will Knieriem hinaus – sie stehen für ein solidarisches Miteinander. Nicht ganz unwichtig, auch für die Zukunft des Tierparks Berlin.

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