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Hartzer sollen wieder Bürger werden
Bundesarbeitsminister Heil kündigt Abschaffung von Arbeitslosengeld II zum 1. Januar 2023 an
»2022 ist nicht 2002, wir haben heute keine fünf Millionen Arbeitslose«, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Mittwoch anlässlich seines Statements zur Einführung eines Bürgergeldes zum 1. Januar 2023. 2002 war im Auftrag der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) die nach dem Manager Peter Hartz benannte Hartz-Kommission eingesetzt worden, um Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu einer Grundsicherung am Existenzminimum zusammenzuschrumpfen. Das umgangssprachlich Hartz IV genannte Arbeitslosengeld II trat am 1. Januar 2005 in Kraft.
Die aktuelle Bundesregierung wolle Hartz IV nun überwinden, machte Heil klar. »Es geht dabei um einen Sozialstaat auf der Höhe der Zeit«, so der Minister. Die rot-grün-gelbe Regierung hatte das Vorhaben bereits im Koalitionspapier festgehalten. Die Neuregelung soll laut Heil vor allem zwei Schwerpunkte haben: mehr Bürgerfreundlichkeit und weniger Bürokratie. Außerdem soll die Antragstellung vollständig digitalisiert werden.
Der SPD-Minister betonte mehrfach, es gehe beim Bürgergeld darum, den von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen wieder mehr Respekt entgegenzubringen und ihre jeweiligen Lebensleistungen anzuerkennen. Konkret heiße das: »Die Menschen müssen bei Antragstellung nicht mehr auf ihre etwaigen Ersparnisse zurückgreifen und auch die Prüfung auf Angemessenheit der Wohnung soll die ersten zwei Jahre des Bezuges wegfallen.« Zu Bedarfsgemeinschaften äußerte sich Heil am Mittwoch nicht konkret. Wie schon länger bekannt ist, soll das Einkommen beim Bürgergeld jedoch nicht mehr verteilt auf die ganze Bedarfsgemeinschaft angerechnet werden, sondern zuerst nur bei der Person, der es gehört. Nur was dann übrigbleiben sollte, werde den anderen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft angerechnet.
Entscheidend sei natürlich auch die Erhöhung des Leistungssatzes. »Die Regelsätze dürfen der Inflation nicht hinterherhinken«, sagte Heil. Über die geplante Höhe der Auszahlung machte der Minister jedoch keine konkreten Aussagen und kündigte entsprechende Zahlen für September an. Ob diese die zum Beispiel von der Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, kürzlich geforderten mindestens 680 Euro monatlich erreichen werden, bleibt also zunächst offen. »Klar ist, dass die Menschen sozioökonomisch und soziokulturell über die Runden kommen müssen«, stellte Heil den zukünftigen Bürgergeld-Empfänger*innen aber schonmal den einen oder anderen Kino- oder Theaterbesuch in Aussicht.
Wie um dem Koalitionspartner FDP und Finanzminister Christian Lindner von den Liberalen gleich den sprichwörtlichen Wind aus den Segeln zu nehmen, betonte Heil allerdings bei allen Humanisierungen des künftigen Bürgergelds: »Ein Sozialstaat bemisst sich aber letztlich nicht daran, wie hoch die finanzielle Unterstützungsleistung ist, sondern dass er die Menschen dazu bringt, ein selbstbestimmtes Leben in Arbeit zu führen.« Es gehe also vor allem darum, unbürokratische Hilfe bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu leisten.
Bundesfinanzminister Lindner schlug ebenfalls am Mittwoch dennoch schonmal Alarm. »Auf gar keinen Fall«, antwortete er auf die Frage des Nachrichtenportals ntv.de, ob die aktuell geltende Aussetzung der Hartz-IV-Sanktionen beim Bürgergeld übernommen werde. Die von SPD und Grünen geforderte Erhöhung der Regelsätze lehnte Lindner ebenfalls ab. »Stattdessen müssen wir die Zuverdienstmöglichkeiten verbessern. Aus dem Bürgergeld darf kein bedingungsloses Grundeinkommen werden«, meinte der FDP-Vorsitzende.
Heil machte hingegen deutlich, das Bürgergeld werde »keine Fortschreibung des jetzigen Systems«, das ein Papiertiger sei. Vielmehr beinhalte es eine komplette Neuberechnung der Bedarfe. Auch solle es in einem sogenannten Kooperationsplan zwischen Jobcenter und Arbeitslosem in den ersten sechs Monaten keine Aufforderungen geben. »Natürlich bleibt es bei der Mitwirkungspflicht und es gibt auch Konsequenzen, wenn diese Mitwirkung ständig ausbleibt«, konkretisierte er.
Dennoch ist der Streit in der Koalition, vor allem zwischen FDP und SPD, zu den Einzelheiten und der Höhe des Bürgergelds programmiert. Es wird wohl sehr grundsätzlich werden bis zur Abstimmung über das Gesetzesvorhaben in Bundestag und Bundesrat im Herbst.
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