»Das Vertrauen ist total beschädigt«

Nicole Bögelein soll Rassismus in Deutschland erforschen. Die Förderung vom Bildungsministerium wurde aber gestoppt. Ihr Projekt ist nicht das einzige

  • Alex Struwe
  • Lesedauer: 7 Min.
Der Unmut ist groß: Die prekären Arbeitsbedingungen an Universitäten werden schon seit Langem von Forschenden kritisiert. Mit dem Förderstopp des Bundesministeriums sei allerdings eine neue Qualität von Unsicherheit erreicht.
Der Unmut ist groß: Die prekären Arbeitsbedingungen an Universitäten werden schon seit Langem von Forschenden kritisiert. Mit dem Förderstopp des Bundesministeriums sei allerdings eine neue Qualität von Unsicherheit erreicht.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat eine ganze Reihe von Förderzusagen für geplante und laufende Forschungsprojekte ausgesetzt. Auch ein von Ihnen geplantes Projekt ist davon betroffen. Worum geht es in Ihrem Forschungsvorhaben?

Interview

Dr. Nicole Bögelein ist am Institut für Kriminologie der Universität zu Köln tätig. Sie studierte Soziologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und promovierte 2015 an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Sie forscht zu Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen, Institutionellem Rassismus, sozialer Ungleichheit, Radikalisierung und zu Methoden der qualitativen Sozialforschung.

Unser Projekt befasst sich mit Rassismus im Justiz- und Strafsystem und ist damit Teil der Förderlinie »Aktuelle und historische Dynamiken von Rechtsextremismus und Rassismus« des BMBF. Seit langem ist bekannt, dass Nicht-Deutsche härtere Strafen erhalten als Deutsche – also eher Freiheits- als Bewährungsstrafen, längere Freiheits- und höhere Geldstrafen. Das ist ein statistisches Faktum, aber es ist bisher nicht geklärt, wie dieses Phänomen zustande kommt. Natürlich haben wir verschiedene Ideen, wie Stereotype und Alltagsideen in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen.

Es gibt eine gesellschaftliche Diskussion darum und mittlerweile auch Studien etwa zum Thema Rassismus in der Polizei. Aber im Bereich des Justizsystems betreten wir da Neuland. Diese Frage ist in der deutschen Forschungslandschaft weitgehend vernachlässigt. Das Projekt soll das ändern und damit einen Beitrag zum Verständnis der grundlegenden Strukturen und institutionellen Verankerung von Rassismus leisten. Dafür arbeite ich mit einer Projektpartnerin in Berlin zusammen. Während ich mich an der Universität Köln auf die gerichtliche Seite konzentriere, widmet sich meine Kollegin den Erfahrungen der Menschen, die rassistisch diskriminiert werden.

Wir haben es hier mit gesellschaftlich dringend notwendiger Forschung zu tun, die jetzt aber gewissermaßen auf Halde liegt. Und das ist genau das Verwirrende daran: Die Bundesregierung hat sich darauf verpflichtet, dass Rechtsextremismus bekämpft und Formen von Rassismus untersucht werden müssen. Aber dann bekommen wir die Nachricht, dass es eine deutliche Verschiebung der Förderung gibt.

Was genau ist passiert? Wie wurde Ihnen davon mitgeteilt?

Am 27. Juni, also wenige Tage vor geplantem Förderbeginn, haben wir eine E-Mail von unserem Projektträger erhalten. Darin schreibt das BMBF, dass die späte Verabschiedung des Haushalts 2022 und die Maßgaben der vorläufigen Haushaltsführung aktuell zu Verzögerungen in der »Bewilligungspraxis« führen würden. Vor diesem Hintergrund müssten wir uns auf eine »deutliche Verschiebung« des Laufzeitbeginns unseres Vorhabens einstellen.

Ich verstehe nicht, was da passiert. Das Ministerium muss doch wissen, was es finanzieren will und was nicht, wie sie den Haushalt entsprechend beschließen. Und wenn dies nicht möglich sein sollte, müsste das transparent gemacht und die Entscheidung den Menschen mitgeteilt werden, die es direkt betrifft. Stattdessen werden die Informationen über die Finanzierungsentscheidungen und auch die Zeitpläne komplett zurückgehalten. Wir werden mit Nichtinformationen hängen gelassen und das erschüttert ganz grundlegend das Vertrauen in dieses System, weil es den gängigen Ablauf und damit auch die Qualitätssicherung in der Wissenschaft infrage stellt. Das ist wirklich etwas komplett Neues in der Forschungsförderung.

Am Donnerstag wurde dann auf der Homepage des BMBF eine Erklärung zu den Haushaltsveränderungen 2023 veröffentlicht. Da heißt es vom Ministerium, dass sich natürlich gar nichts ändern würde, dass es weder einen Förderungsstopp noch den Abbruch laufender Forschungsprojekte geben wird. Aber das lässt mich weiterhin ratlos zurück. Warum werden solche Informationen auf der Internetseite kommuniziert, während wir als Antragssteller*innen, die auf die Gelder warten, nicht in Kenntnis gesetzt werden?

Sie sagen, dass dieses Vorgehen des Ministeriums nicht den üblichen Vorgehensweisen entspricht. Wie läuft denn der Prozess der Projektplanung für gewöhnlich ab?

Die Förderlinie zur Erforschung von Rechtsextremismus und Rassismus wurde im Juni 2021 ausgeschrieben und wir haben im September 2021 unsere Projektskizze eingereicht. Das Ministerium lässt die Anträge wissenschaftlich begutachten und für etwa zehn Prozent der eingereichten Anträge wird daraufhin eine Förderung in Aussicht gestellt.

Wenn man sich in diesem hochkompetitiven Verfahren durchgesetzt hat, wird man aufgefordert, einen Vollantrag mit detailliertem Finanzplan einzureichen. Im Februar haben wir diese Aufforderung erhalten und mussten den Plan bis Ende des Monats einreichen. Das ist ein extremer Zeitdruck, dem man sich aber aussetzt, weil die Einreichung des Vollantrags wie eine inoffizielle Zusage gehandelt wird.

Das BMBF gibt dann einen verbindlichen Termin zum Start des Projekts aus, in unserem Fall war das der 1. Juli. Anders als bei der Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), ist also die Projektdurchführung nicht flexibel planbar. Deshalb ist man schon ab dem Moment, an dem man den Vollantrag eingereicht hat, unter Druck, sich Mitarbeiter*innen zu suchen. Denn das Projekt kann nicht nach hinten verschoben werden. Das haben wir natürlich getan und für die von uns ausgewählten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen die Einstellung zu Juli vorbereitet. Aber diese können ihre Stelle jetzt nicht antreten und stehen mit einem Bein in der Arbeitslosigkeit.

Wie gehen Sie nun mit dieser Situation um?

Im Moment ist es tatsächlich eine richtige Hängepartie, die ich schwer auszuhalten finde. Das Vertrauen ist total beschädigt. Wir haben uns diesem Auswahlprozess ausgesetzt, wurden wissenschaftlich begutachtet und das Projekt für wichtig und fördernswert erachtet. Wir haben eine Zusage und die verbindliche Information, dass unser Projekt fristgerecht starten muss. Und dann kommt alles ohne Begründung zum Erliegen. Hier werden so viele wissenschaftliche Konventionen mit Füßen getreten, dass man wirklich nur den Kopf schütteln kann. Es stellt ja auch auf eine respektlose Weise den Begutachtungsprozess infrage. Die Irritation lässt sich in der ganzen wissenschaftlichen Community beobachten.

Haben Sie Kontakt zu ebenfalls betroffenen Kolleg*innen?

Ja, ich habe über Twitter davon erfahren, dass auch andere Förderprogramme betroffen sind. Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) hatte sich dort besorgt über die Förderlinie zur Untersuchung der Auswirkungen der Corona-Pandemie geäußert. Ich habe mich dann in meiner Community hier an der Universität Köln und mit einer weiteren erfolgreichen Antragstellerin ausgetauscht. Wir haben uns in unseren Netzwerken umgehört und an andere Forschende gewandt, von denen wir wussten, dass sie ebenfalls in der Förderlinie Erfolg hatten. Und damit ging das große Suchen los.

Eine Forscherin der LMU München hat dann ein Vernetzungstreffen mit 65 Wissenschaftler*innen einberufen, die in unterschiedlichen Stadien der Förderung betroffen sind. Alle waren äußerst beunruhigt. Allein in unserer Förderlinie zu Rechtsextremismus und Rassismus sind alle 17 antragstellenden Projekte in derselben Situation wie wir.

Welche Folgen sehen Sie für die wissenschaftliche Community?

Die ganze Situation hat eine inhaltliche Dimension, weil hier gesellschaftlich wichtige Forschung auf Halde liegen bleibt. Zugleich gibt es aber auch den konkreteren, menschlichen Aspekt, dass die Mitarbeiter*innen, die für die Projekte ausgewählt wurden, ihre Stellen nicht antreten können und vor einer sehr ungewissen Situation stehen. In dem Vernetzungstreffen erfuhren wir etwa von Menschen, die bereits für ihre zugesagte Stelle umgezogen sind.

In den letzten Monaten war die Debatte um prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft und #ichbinhanna medial sehr präsent. In der Wissenschaft ist es ohnehin schon unsicher und schwierig. Aber hier wird jetzt noch einmal ein enormes Risiko nach unten durchgereicht. Die Unsicherheit im Bundeshaushalt trifft damit jetzt die Allerschwächsten: nämlich Menschen, die sich für eine Qualifizierungsstelle entscheiden, die Befristung sowie schwierige private und familiäre Umstände in Kauf nehmen müssen und deren Erwerbsbiografie hier regelrecht erschüttert wird. Wir können nicht ausschließen, dass hier wissenschaftliche Karrieren verhindert werden.

Aber die genauen Konsequenzen können wir an diesem Punkt natürlich nicht absehen. Wir bleiben im Austausch und warten auf verbindliche Informationen. Uns beunruhigen natürlich auch die weiteren Kürzungen, die sich beobachten lassen. Beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), der Humboldt-Stiftung und dem Goethe-Institut wurden zuletzt deutliche Kürzungen bekannt. Alle blicken mit Sorge auf diese Entwicklungen.

Es ist klar, dass wir uns gesamtgesellschaftlich in einer unsicheren Situation befinden, und das wirkt sich auch auf die Forschung aus. Zugleich ist ja der laufende Haushalt längst beschlossen und an anderen Stellen werden auch weiterhin Förderungen zugesagt und Förderlinien ausgeschrieben. Wie kann es also sein, dass Zusagen nicht eingehalten werden beziehungsweise sich nach hinten verschieben, mit allen Konsequenzen, und zugleich weiterhin andere Förderanreize geschaffen werden? Das wird in den Kontext einer gesellschaftlichen Krise gesetzt, in der alle etwas beitragen müssten. Aber diese totale Unsicherheit und Nichtkommunikation, in der nur über Medien und auf Druck überhaupt reagiert wird, ist eine vollkommen unnötige Belastung der Zusammenarbeit.

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