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Auch Sieger Jonas Vingegaard fährt im Graubereich des Legalen
Nicht verboten, aber umstritten: Ketone und Schmerzmittel im Radsport
Das Ende der Tour de France war für Jonas Vingegaard fast noch schwerer als die gesamte Rundfahrt. Auf dem Podium in Paris wusste er nicht, wohin mit all den Trophäen. Auch Töchterchen Frida hatte er am Sonntagabend noch auf dem Arm. Sie kam vor zwei Jahren just zu der Zeit zur Welt, da Primož Roglič schon wie der große Sieger aussah, beim Zeitfahren der Tour aber doch noch abstürzte. »Ich habe das Zeitfahren damals vom Krankenhaus aus mitverfolgt. Und natürlich war die Erinnerung daran auch jetzt in unseren Köpfen«, sagte Vingegaard. Die Dämonen, die an die Schlappe seines Teamkollegen erinnern, verscheuchte der Däne mit Erfolg.
Vingegaard bedankte sich in der traditionellen Ansprache des Siegers auf den Champs-Élysées auch bei seinem verletzungsbedingt bereits zum zweiten Mal hintereinander vorzeitig ausgestiegenen slowenischen Teamkollegen bei Jumbo-Visma. Roglič war wie ein großer Bruder für ihn – im Rennen, solange er dabei war, und auch danach. Täglich waren die beiden im Austausch, erzählten die Betreuer. Der siegerfahrene 32-Jährige habe vor allem Tipps gegeben, wie das Rennen zu managen und der psychische Druck auszuhalten sei.
Bei seiner Dankesrede erwähnte Vingegaard viele Menschen – die Teamkollegen, die Rennstallmitarbeiter, seine Familie natürlich. Er setzte allerdings nicht den interessanten Dopingdiskurs fort, den er auf der Pressekonferenz am Tag vor dem Ende dieser Tour de France begonnen hatte. »Wir sind total sauber. Jeder von uns«, beteuerte er. Und er ergänzte: »Niemand von uns nimmt etwas Illegales.«
Das lässt viel Interpretationsspielraum offen. Denn welchen Bezugsrahmen er wählte, den weltweit geltenden Antidopingcode, das Betäubungsmittelgesetz seines Landes, den wesentlich enger gefassten Ethik-Code der Bewegung des sauberen Radsports MPCC – all das blieb im Ungewissen. Der MPCC gehört sein Rennstall nicht an; Vingegaard und seine Kollegen sind also nicht verpflichtet, sich an deren Politik zu halten. Die beinhaltet auch den eingeschränkten Gebrauch von Medikamenten, besonders von Schmerzmitteln, die denen, die sie nehmen, härteres Training über die Schmerzgrenze hinaus ermöglichen.
Die MPCC wendet sich auch gegen Ketone. Das sind Stoffwechselprodukte des menschlichen Körpers, die vor allem in extremen Erschöpfungsphasen oder auch beim Fasten produziert werden. Sie schonen die fast leeren Kohlenhydratspeicher und regen den Fettstoffwechsel an.
Diese eigentliche Notsituation des Organismus kann durch Einnahme von Ketonen als Nahrungsergänzungsmittel simuliert werden. Der Clou für Ausdauersportler ist dabei, dass man sie einnimmt, wenn die Kohlenhydratspeicher noch gut gefüllt sind, diese Reserve also nicht angegangen und frühzeitig der Fettstoffwechsel angeregt wird. Studien zeigten Leistungsvorteile von 2 bis 15 Prozent im Ausdauerbereich.
Ketone wurden ursprünglich von einer britischen Wissenschaftlerin im Rahmen eines Forschungsprojekts für die US-Army entwickelt. Soldaten konnten damit länger kämpfen. Aber auch die britischen Erfolge im Radsport und Rudern seit 2012 lassen sich auf – mittlerweile zugegebenen – Ketone-Gebrauch zurückführen. Jumbo-Visma gibt offen zu, sie einzusetzen. Der Rennstall Quick Step hat sogar einen Ketone-Produzenten als Materialsponsor. Eine nach Ketone-Konsum differenzierte Ergebnisliste dieser Tour wäre interessant, denn wegen der hohen Kosten müssen viele Rennställe darauf verzichten.
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