Quadratur des Kreises
Die US-Notenbank Fed steht vor dem gleichen Dilemma wie die Europäische Zentralbank
Lebensmittel, Tanken, Strom, Klimaanlagen: Überall schießen die Preise in astronomische Höhen. Die Inflation in den Vereinigten Staaten gerät weiter außer Kontrolle. Im Juni zog die Teuerungsrate erneut deutlich stärker an als erwartet und kletterte auf 9,1 Prozent – der höchste Stand seit 1981. Die meisten Beobachter machen Materialengpässe und weiter steigende Energiekosten auch infolge des Ukraine-Kriegs für den Inflationsschub maßgeblich verantwortlich.
Eigentlich scheint klar zu sein, dass die Fed weiter aggressiv die Zinsen anheben muss, wenn sie eine weitere Preissteigerungswelle verhindern will. Medien und Ökonomen kritisieren Notenbank-Chef Jerome Powell schon länger für sein zögerliches Verhalten in der Inflationsbekämpfung. Kürzlich sprachen sich auch zwei Fed-Mitglieder für einen erneuten großen Zinsschritt während der zweitägigen Ratssitzung der Notenbank aus, die heute endet. Ein Dreiviertelprozentpunkt auf dann 2,5 Prozent wird erwartet.
Die Diskussionen in den USA ähneln denen in Europa. Auch der Europäischen Zentralbank (EZB) und ihrer Präsidentin Christine Lagarde wird von einer aufgeregten Fachöffentlichkeit gerne Zögerlichkeit vorgehalten. Der Ruf nach größeren Zinsschritten erhebt sich immer lauter. Doch die Zentralbanken versuchen sich heute notgedrungen an der Quadratur des Kreises: Sie sollen die Inflation bei gleichzeitig schwächelnder Wirtschaft in den Griff kriegen.
Eher linke Wirtschaftswissenschaftler weisen darauf hin, dass die Inflation vor allem über die Energiepreise von außen eingeführt werde. Zinserhöhungen würden daher lediglich die Konjunktur gefährden, ohne die »importierte Inflation« zu treffen.
Für die USA gibt diese These jedoch wenig her: Die Vereinigten Staaaten können seit einigen Jahren ihren Hunger nach Öl und Erdgas selbst stillen und exportieren sogar Energie. Die Sanktionsfolgen des Ukraine-Kriegs für die Weltwirtschaft ermöglichen es den Öl- und Gaskonzernen sogar, neue Märkte in Europa zu erschließen. Nach Angaben der Energiebehörde EIA werden die USA bis Ende des Jahres wohl über die weltweit größte LNG-Exportkapazität verfügen und damit Katar übertreffen.
Doch auch in den USA stehen die ökonomischen Zeichen auf Sturm. Diese Woche fällige Daten dürften zeigen, dass die Wirtschaft das zweite Quartal in Folge geschrumpft ist und damit, per Definition, in eine Rezession verfällt. Nouriel Roubini, der Ökonom des Untergangs, hält Kollegen, die etwas anderes als einen tiefen Abschwung vorhersagen, für »delusional«, also für wahnhaft, wie er der Nachrichtenagentur Bloomberg anvertraute. Wie während der 1970er Jahren infolge der Ölkrise droht eine zähe Stagflation, also eine stagnierende Wirtschaft bei hohen Preissteigerungsraten.
Die Biden-Regierung versucht, die Rezession als statistische Delle kleinzureden. Schließlich sei im zweiten Quartal mehr als eine Million Arbeitsplätze geschaffen worden. Das würde eigentlich für eine weitere Zinserhöhung der Fed sprechen. Die Vorausschau für die Weltwirtschaft, die der Internationale Währungsfonds (IWF) am Dienstag veröffentlichte, lässt befürchten, dass viele Länder in eine Rezession stürzen werden, sollte die Energie- und Rohstoffversorgung weiter leiden. »Bei alledem ist die Weltwirtschaft schon jetzt auf dem Weg in eine Rezession«, so die Analysten der Landesbank Baden-Württemberg. Bei rund um den Globus derart starken Anstiegen der Produzentenpreise wie gesehen, sei für den Unternehmenssektor eine Schrumpfung nahezu unausweichlich, in Europa nicht anders als in Übersee. Und Schwellen- wie Entwicklungsländer müssen mit den stagflationären Auswirkungen der Rohstoffpreise ebenso kämpfen wie mit der aggressiven Geldpolitik durch die Zentralbanken in den Industrieländern.
Doch das Bild bleibt bunt. In den USA profitieren Automobilkonzerne und Bauindustrie, Logistikriesen und Energiemultis von gestörten Lieferketten und dem allgemein steigenden Preisniveau, das ihnen »Übergewinne« ermöglicht. Dabei schlagen die weltwirtschaftlichen Stürme von Land zu Land bislang unterschiedlich hohe Wellen. So ist Japan, die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, mit einer sinkenden Inflationsrate von nur 2,4 Prozent im Juni gesegnet. Und das, obwohl die Insel voll in die Weltwirtschaft integriert ist, am LNG-Tropf fremder Mächte hängt, ein Außenhandelsbilanzdefizit hat, der Yen billig ist und Notenbankpräsident Haruhiko Kuroda unbeirrt seit Jahren am Minuszins von 0,1 Prozent festhält.
Nach Lehrmeinung müsste Japan eigentlich unter einer horrenden Inflation leiden, welche die amerikanische Preissteigerung noch in den Schatten stellt. Offenbar ist der Einfluss der Notenbank auf die Preisentwicklung doch geringer als gemeinhin von Experten angenommen. Doch Amerikas Bankanalysten hoffen, wie auch US-Präsident Joe Biden mit Blick auf die nahenden Kongresswahlen, dass der Fed eine weiche Landung für die Wirtschaft gelingen möge.
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