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- Fußball-EM der Frauen
Die Party in England geht weiter
Mit Herz und Mentalität spielen sich Englands Fußballerinnen ins Finale
Nirgendwo schlägt der Puls des Fußballs so authentisch wie in einem englischen Pub. Wo Alt und Jung beim Pint Bier vor dem Fernseher sitzen, um mitzufiebern und sich auszutauschen. Insofern ist »The Watermans Arms« tief im Londoner Westen, nur eine Viertelstunde Fußweg bis zur Heimstätte des englischen Erstligisten FC Brentford entfernt, ein guter Seismograph für die Stimmung bei dieser Frauen-EM. Dort, wo sich sonst vor und nach einem Premier-League-Heimspiel die Anhänger in den Wintergarten zwängen, haben am Dienstagabend die Stammgäste gesessen, um sich am Halbfinale der »Three Lionesses« zu ergötzen.
Am Ende sind alle aufgestanden und haben »Standing Ovations« gespendet. Für englische Fußballerinnen, die in Sheffield mal eben die Schwedinnen mit 4:0 überrollten. Kann man noch viel besser spielen als die famose Beth Mead oder die fantastische Lucy Bronze, die ihre Topleistungen im Tollhaus Bramhall Lane mit den Toren zum 1:0 und 2:0 krönten? Kann es einen fabelhafteren Hackentrick geben, als den von Einwechselspielerin Alessia Russo, der zum 3:0 führte? Dass das 4:0 der fleißigen Fran Kirby einem Fehlgriff der desillusionierten Torhüterin Hedwig Lindahl entsprang? Geschenkt!
»Wir haben vor dem Turnier gesagt, dass wir die Nation inspirieren wollen, und ich glaube, das tun wir«, stellte Nationaltrainerin Sarina Wiegman mit der ihr eigenen Nüchternheit fest. Die 52-jährige Niederländerin hatte ja bereits 2017 eine Heimelf zum EM-Triumph dirigiert, als die »Oranje Leuwinnen« aus einer Außenseiterrolle reüssierten. Doch Englands Fußball-Verband hat Wiegman mit dem Auftrag geholt, diesen Coup bitte zu wiederholen.
Diesen Auftrag erfüllt das vor Selbstbewusstsein strotzende Ensemble, das mit der Gala im Norden von England gleich die nächste Euphoriewelle lostrat. »Wir sind besser und besser geworden. Die Spielerinnen auf dem Platz haben wieder Lösungen gefunden«, sagte Wiegman in Anbetracht der schwierigen Anfangsphase, an die sich am Ende aber kaum einer mehr erinnern wollte.
Die Mentalität und Qualität des von Wiegman so unglaublich zielgerichtet und doch gleichermaßen entspannt gecoachten Ensembles ist titelreif. Wenn jemand England mit der ersten internationalen Fußball-Trophäe seit 1966 beglückt, dann also die Frauen. Sie sollen am Sonntag beim Finale in Wembley, wo sonst bitte, die Krönung vollbringen. Prinz William hat gleich mal eine Danksagung übermittelt. »Das ganze Land ist so stolz auf alles, was ihr erreicht. Wir glauben an euch und werden euch bis zum Ende unterstützen«, schrieb der britische Thronfolger. Unter seine persönliche Nachricht setzte William noch sein »W«. Das könnte auch für Wucht, Wille und Widerstandskraft stehen, denn wie das Team jeden Stolperstein aus dem Weg räumt – ob die Corona-Erkrankung der Trainerin, die Infektionen von Spielerinnen oder der Rückstand beim mega spannenden 2:1-Sieg nach Verlängerung im Viertelfinale gegen Spanien – das nötigt allen großen Respekt ab.
Klar, dass sich die britische Presse mit Lobeshymnen überschlug: »Das ist kein England-Team wie jedes andere«, schrieb der »Guardian« und fügte spaßeshalber an: »Schnell, überprüft ihre Pässe!« Die frühere Nationalspielerin Alex Scott, die jedesmal mit einer profunden Expertenrunde die Spiele bei der EM analysiert, konnte es kaum fassen: »Kann mich mal jemand kneifen? Es ist schwer für mich, nicht emotional zu werden.« Die sympathische 37-Jährige war zuletzt in Brighton fast von der Brüstung gekippt, als ihre Nachfolgerinnen das Spanien-Spiel noch drehten.
Es ist das Besondere, dass sich auch viele ältere Männer mitreißen lassen, die lange für den Frauenfußball nicht mehr als ein Naserümpfen übrig hatten. So wie eben die Stammkunden in Brentford, die seit Langem eine Dauerkarte für die am übernächsten Wochenende beginnende Premier-League-Saison besitzen und dafür gerade wieder weit mehr als 1000 Pfund ausgegeben haben. Sie sagen jetzt, dass sich die Männer-Profis endlich was von den EM-Frauen abschauen sollen. Dass man nämlich auch ohne lange Debatten mit dem Schiedsrichter und leidigem Herumwälzen auf dem Rasen ein Spiel bestreiten kann.
Und was sich der schrullige Besitzer vom »Watermans Arms« mit seiner putzigen Katze und seiner freundlichen Bedienung aus dem schleswig-holsteinischen Sankt Peter-Ording noch wünscht: Dass beim nächsten Gastspiel von Leeds United nicht die besonders trinkfesten Gesellen drohen, das ganze Pubinventar zu verwüsten, bloß weil ihr Lieblingsklub ein Auswärtsmatch verloren hat. Ist doch nur der Fußball. Und der kann wunderschön unterhaltsam und verbindend sein. Bei Männern wie Frauen.
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