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15 Augen extra, bitte!
Die Potsdamer Polizei testet nun Bodycams im Dienst. Der Nutzen von Kameras an der Uniform ist allerdings umstritten
Der Beamte hebt die Weste hoch, »5,1 Kilogramm haben wir gewogen«, sagt der Polizist Sebastian Steidl. Es klingt, als sei er ein bisschen stolz darauf, was seine Kolleg*innen im Berufsalltag buchstäblich stemmen müssen. Für das Gewicht sorgt vor allem das schusssichere Westenmaterial. Worum es Seidl aber geht, ist die Kamera, die inklusive Warnhinweis neben dem Funkgerät auf der anderen Brustseite hängt. Sie kommt von Gewicht und Größe an ein zu klobig geratenes Smartphone heran. Die Verantwortung, eine sogenannte Bodycam ab nun im Einsatz zu tragen, könnte für manche Beamt*innen mehr, für andere weniger schwer wiegen.
Bei dem Pressetermin der Polizei Brandenburg am Mittwoch wird die Praxisphase des Pilotprojektes vorgestellt, mit der nun die dienstliche Nutzung von Bodycams beginnt. Im Hof der Polizeiinspektion Potsdam steht eine Traube Uniformierter neben CDU-Innenminister Michael Stübgen, es wird fleißig in die Kameras gelächelt. Alle wirken froh, dass es jetzt losgeht: Seit 2019 ermöglicht die Novelle des Brandenburgischen Polizeigesetzes mobile, an der Uniform befestigte Kameras.
Nach internen Tests werden nun jeweils 15 Geräte von drei unterschiedlichen Herstellern von Polizist*innen aus der Potsdamer Wache auf freiwilliger Basis im Dienst erprobt. Sebastian Seidl bevorzugt das Modell »Netco«, das mit einem Bildschirm auf der Vorderseite das »polizeiliche Gegenüber« spiegelt – das kostet allerdings mit 750 Euro pro Stück auch bis zu dreimal so viel wie andere Modelle. Nach einem Probejahr, in dem neben praktischen Materialfragen auch die rechtliche Umsetzbarkeit und Sinnhaftigkeit geklärt werden sollen, steht dann die Entscheidung über einen flächendeckenden Einsatz an. Wirklich ergebnisoffen klingt Innenminister Stübgen aber im Hinblick auf die noch ausstehende Evaluation nicht. Auf die Frage, ob nach einem Jahr die Körperkameras landesweit eingeführt werden, antwortet der Innenminister: »Wenn es nach uns geht, ja.«
Brandenburg ist nicht das erste Bundesland, das Polizeibeamt*innen mit Kameras ausstattet. In Baden-Württemberg sind bereits seit 2019 alle Streifendienste videotechnisch ausgerüstet, auch in Bayern sind 1400 Kameras dauerhaft im Einsatz. Insgesamt werden bereits in acht Ländern Bodycams standardmäßig genutzt, und auch die Bundespolizei greift auf das Instrument zurück, das der Gefahrenabwehr dienen soll. Es handelt sich in erster Linie um ein Präventionswerkzeug, das Gewalt vermeiden soll. So erklärt es einer der Vorzeigebeamten, der sich mit der »Netco« an der Brust fotografieren lässt. »Die Kamera soll beim Gegenüber bewirken, dass es gar nicht erst zur Eskalation kommt«, erklärt der junge Mann. Er könne sich einige Situationen vorstellen, in denen ihm allein die Möglichkeit zu filmen geholfen hätte: »Es gibt immer mal Situationen, Übergriffe mit Schlägen, Tritten; Spucken ist auch nicht selten.«
Laut Paragraf 31a des Polizeigesetzes dürfen die Minikameras nur eingeschaltet werden, wenn Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person besteht. Wenn ein Beamter dann filmt, muss er das klar kommunizieren und ein Lämpchen leuchtet rot. Nach zwei Minuten fängt die Kamera außerdem an zu piepen, »damit die Kollegen nicht im Eifer des Gefechts beim nächsten Einsatz weiterfilmen«, so Projektkoordinator Seidl. In einer eintägigen Schulung hätten die Kolleg*innen die rechtlichen Bedingungen gelernt und eingeübt. Besonders viel sei es um den Datenschutz gegangen: Um das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht zu verletzen, müssen die Aufnahmen so gesichert werden, dass sie nur nach gerichtlicher Prüfung als Beweismaterial gesichtet werden können. Polizist*innen stellen deshalb die Geräte nach dem Einsatz in eine »Docking-Station«, die die Videos automatisch auf einen speziell gesicherten, sogenannten »Stand-Alone-Rechner« überträgt.
Marlen Block, innenpolitische Sprecherin der Brandenburger Linksfraktion, hat dennoch Bedenken. »Mit Datenschutz haben wir ja in Brandenburg nicht so gute Erfahrungen«, bemerkt sie im Hinblick auf das automatische Kennzeichenerfassungssystem Kesy, das an Autobahnen angebracht war und im ständigen Aufzeichnungsmodus alle vorbeifahrenden Autos registrierte. Selbst wenn in diesem Falle die Daten wie vorgesehen abgesichert würden, befürchtet Block eine Ausweitung der Rechtsgrundlage. »Der Streitpunkt ist vor allem, ob die Kameras auch in privaten Wohnungen genutzt werden sollen«, sagt Block zu »nd«. Innenminister Stübgen fordere diese Ergänzung, »in meinen Augen wäre das verfassungswidrig«. Bisher beschränken sich die Einsatzmöglichkeiten auf den öffentlichen Raum. Doch am Mittwoch bestätigt Stübgen, dass er an einem Gesetzesentwurf arbeite, »für Fälle von häuslicher Gewalt«.
Auch Vasili Franco, der Innenexperte der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, hat ähnliche Bedenken. Auch Berlin ist in der Testphase: Seit einem Jahr probieren Polizei und Feuerwehr insgesamt 30 Kameras aus, dieses Jahr sollen 300 Geräte eingesetzt werden. Bis Ende 2023 soll eine wissenschaftliche Auswertung vorliegen. Der Berliner Gewerkschaft der Polizei kann es aber nicht schnell genug gehen, in einer Pressemitteilung forderte sie dieser Tage ein Ende der Probezeit. Franco hält die genaue Prüfung für elementar: »Es kommt nicht nur darauf an, inwiefern es für die Polizei hilfreich ist, es muss auch einen Mehrwert für Betroffene von polizeilichen Maßnahmen darstellen.« Wenn Videoaufnahmen tatsächlich dabei helfen können, Fälle von rassistischer Polizeigewalt gezielt nachzuweisen, dann halte er das Instrument für hilfreich. Wenn nicht, stelle sich die Frage, ob die Technologie mehrere Millionen Euro jährlich wert sei.
Neben dem konkreten Nutzen der Bodycams stellen sich auch viel grundsätzlichere Fragen. Norman Lenz ist Vorsitzender der Brandenburgischen Strafverteidiger-Vereinigung und beobachtet eine Tendenz, Kriminalität durch Überwachung verhindern zu wollen. »Aber kein Mensch ist absolut regelkonform«, so Lenz. Wenn Polizist*innen mit sichtbaren Kameras, egal ob an- oder ausgeschaltet, unterwegs seien, schaffe das »mobile Überwachungszonen«, die die individuelle Freiheit einschränken. »Man internalisiert die Normen und Gesetze durch das Gefühl des Beobachtetwerdens, unterwirft sich also den Normen, die die Träger der Kamera, die Polizeibeamten, vertreten.« Noch handelt es sich um klar definierte Einsatzbereiche, Lenz kann sich aber vorstellen, dass Beamt*innen mehr und mehr durch Überwachungsinstrumente ersetzt werden könnten, um Geld zu sparen. »Mal ganz dystopisch gesponnen, fliegen irgendwann Drohnen rum und man kann sich nicht mehr draußen einen Joint anzünden.«
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