Griechisches Watergate

Premierminister Mitsotakis unter Druck wegen Spionagekrise

  • John Malamatinas, Thessaloniki
  • Lesedauer: 4 Min.

Premierminister Kyriakos Mitsotakis steht vor seiner schwersten Stunde im Amt, nachdem entdeckt wurde, dass das Mobiltelefon eines politischen Gegners, des Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei Pasok, Nikos Androulakis, im Auftrag des ihm direkt unterstellten griechischen Geheimdienstes EYP abgehört wurde. Die Enthüllungen erfolgten durch Recherchen des Netzwerks Reporters United und der »Zeitung der Redakteure« (EFSYN). Die Enthüllungen veranlassten den Generalsekretär – und Neffen – des Premierministers, Grigoris Dimitriadis, am vergangenen Freitag zum Rücktritt. Am selben Tag erfolgte auch der Rücktritt von EYP-Chef Panagiotis Kontoleon.

»Der Rücktritt von Herrn Dimitriadis erfolgte in Absprache mit dem Premierminister und zielt darauf ab, den Fall der Überwachung von der Villa Maximos (Amtssitz des griechischen Premiers, Amn. d. Red.) zu entkoppeln. Die Regierung und Herr Dimitriadis haben nichts mit dem Fall Androulakis zu tun. Um Dimitriadis herum hat sich ein Klima der Toxizität entwickelt, das sowohl für die Regierung als auch für Dimitriadis selbst äußerst belastend ist«, heißt es aus Regierungskreisen.

Laut Kostas Vaxevanis, Enthüllungsjournalist und Herausgeber der Zeitung »Documento«, ist es ein offenes Geheimnis, dass Dimitriadis für »schmutzige Angelegenheiten« zuständig war. Diese Rolle führte zu Konflikten nicht nur mit politischen Gegnern, sondern auch mit Regierungsmitgliedern und mit Geschäftsleuten. »Als er Geschäftsleute anrief und sie aufforderte, die Werbung in der Zeitung ›Documento‹ zu reduzieren, tat er dies nicht aus einer persönlichen Laune heraus. Er führte nur Befehle aus«, betont Vaxevanis in seinem Editorial. Als er die EYP so kontrollierte, als sei sie der Geheimdienst KYP unter der Partei ERE von Konstantinos Karamanlis vor der Zeit der Militärjunta, war er kein Nostalgiker der alten konservativen Rechten, sondern ein Gefolgsmann von Mitsotakis.

Die Anordnung, den Schutz der Privatsphäre des Pasok-Vorsitzenden (und Europaparlamentariers) aufzuheben, wurde bereits im September 2021 unterzeichnet – zur gleichen Zeit, als man versuchte, sein Mobiltelefon mit der illegalen Software Predator abzuhören. Dieser Versuch blieb erfolglos, da Androulakis nicht auf den Link für die elektronische Falle klickte, über die die illegale Software installiert worden wäre.

Weil es EYP und Regierung nicht gelang, Androulakis in eine Falle zu locken, gingen sie direkt zur »legalen« Aufhebung der Privatsphäre auf seinem Telefon über – natürlich auf Anordnung von Mitsotakis, der seit den letzten Wahlen per Gesetzesänderung über dem griechischen Geheimdienst steht. Eng mit dem Skandal verbunden ist auch die zuständige Staatsanwältin, Vassiliki Vlachou. Bereits im Jahr 2020 unterschrieb sie 13 751 Anordnungen zur Aufhebung der Privatsphäre aufgrund »nationaler Sicherheitsinteressen« – vor zehn Jahren waren es noch 2302.

Androulakis hebt das Timing der Abhörung hervor: »Es ist in einer europäischen Demokratie nicht hinnehmbar, dass abgesehen von der versuchten Abhörung meines Mobiltelefons mit Predator im September 2021, heute bekannt wird, dass der Geheimdienst, der direkt dem Premierminister unterstellt ist, mich während des internen Wahlprozesses für die Führung der Pasok überwacht hat.« Er fordert rasche Aufklärung: »All dies beweist, dass Herr Mitsotakis und seine Regierung das Land international bloßstellen. Das griechische Parlament muss unverzüglich einen Untersuchungsausschuss einrichten.«

Erst am Montag äußerte sich Mitsotakis zu den Vorwürfen und machte »dunkle Kräfte außerhalb Griechenlands« verantwortlich, die an einem Plan zur Destabilisierung des Landes arbeiteten. Alexis Tsipras, Vorsitzender der Linkspartei Syriza, beantragte beim Parlamentspräsidenten die Aussetzung der Parlamentsferien. Yannis Varoufakis und seine Partei Mera25 forderten den Rücktritt Mitsotakis’ und Neuwahlen im September.

Es wird erwartet, dass die Abhörpraktiken Politiker, Journalisten und Geschäftsleute betreffen. Bereits am 29. Juli räumte Kontoleon in einer nichtöffentlichen Anhörung des Parlamentsausschusses ein, dass der EYP den Finanzjournalisten Thanassis Koukakis auf Geheiß eines ausländischen Geheimdienstes überwacht habe. Fest steht: Die Rücktritte von Dimitriadis und Kontoleon erfolgten, weil die Dinge nicht mehr vertuscht werden konnten. Die beiden Gefolgsleute mussten geopfert werden, um Mitsotakis zu schützen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.