Da begegneten sich zwei Welten am 6. März 1957 auf dem Black Star Square im westafrikanischen Accra: in weißer Tropenuniform mit Federhelm und Degen der britische Gouverneur, im traditionellen farbigen Kente als Vertreter des neuen Afrika Kwame Nkrumah, Premierminister des gerade unabhängig gewordenen Ghana. 50 Jahre später feierten Staatsgäste aus ganz Afrika an gleicher Stelle ein Jubiläum ihres Kontinents. Der erzwungene Rückzug des Kolonialismus, der im 18. und 19. Jahrhundert in Lateinamerika begonnen hatte, fand Mitte des 20. Jahrhunderts seinen Höhepunkt in Afrika mit der Unabhängigkeit von mehr als 50 Staaten, errungen innerhalb eines Jahrzehnts und - abgesehen von frühen Aufständen in Madagaskar, Kenia und Kamerun - weitgehend friedlich. Ein Sonderfall war Kongo, wo innere Konflikte und ausländische Einmischung mit der Ermordung des ersten Ministerpräsidenten Patrice Lumumba zu schweren Auseinandersetzungen führten. Auch im Süden Afrikas, lange ein koloniales und rassistisches Bollwerk, sahen sich Befreiungsbewegungen genötigt, bewaffnet gegen weiße Siedlerregimes und portugiesischen Kolonialismus zu kämpfen. Die Euphorie der Befreiung wich jedoch bald einer Ernüchterung. Hoffnungen auf schnelle soziale und wirtschaftliche Veränderungen zerschlugen sich, vereitelt vor allem, aber nicht nur, durch das koloniale Erbe und fortdauernde neokoloniale Abhängigkeit. Ansätze eigenständiger ökonomischer Entwicklung wurden durch weltwirtschaftliche Einflüsse und Krisen zunichte gemacht. Entwicklungspolitische Konzepte des Westens wie des Ostens erwiesen sich als wenig erfolgreich. Zudem gab es hausgemachte Probleme: planwirtschaftliches Missmanagement, Korruption, Kapitalflucht, expandierende Bürokratie. Solche postkolonialen Kinderkrankheiten riefen andere Kräfte auf den Plan. Zaghafte demokratische Aufbrüche wurden durch Militärputsche, Einparteiensysteme und Diktaturen abgewürgt. Kwame Nkrumah, der im Neokolonialismus Afrikas größte Bedrohung sah, wurde 1966 durch Militärs gestürzt. Früh gerieten Afrikas neue Staaten in den Sog des Kalten Krieges zwischen Ost und West, einige wurden Schauplatz von Stellvertreter-Kriegen. Vom Internationalen Währungsfonds und Weltbank als Allheilmittel verordnete Strukturanpassungsprogramme verschärften ökonomische Krisen. Der Verfall der Rohstoffpreise in den 1980er Jahren kostete Afrika 150 Milliarden Dollar, bei nur 100 Milliarden Entwicklungshilfe zu gleicher Zeit. Drei Jahrzehnte lang dominierte die Auseinandersetzung mit Kolonialismus und Rassismus im Süden die Entwicklung des Kontinents. Südafrika nutzte die portugiesischen Kolonien Angola und Mosambik, das besetzte Namibia und Südrhodesien als Glacis seiner Apartheid-Bastion gegen schwarze Selbstbestimmung und bot sich dem Westen als antikommunistisches Bollwerk an. Der Apartheid-Konflikt wurde zum politischen Katalysator und Ferment regionaler Integrationsbemühungen. Befreiungsbewegungen erhielten die Unterstützung afrikanischer Staaten, die als Frontstaatengruppe und Entwicklungsgemeinschaft SADCC ihre Kräfte gegen das übermächtige Südafrika bündelten. Internationale Solidarität stärkte das Freiheitsstreben im Süden. Mit dem Zusammenbruch des portugiesischen Kolonialreiches Mitte der 1970er Jahre erfuhr der Befreiungskampf einen Aufschwung. Der Soweto-Aufstand war ein Menetekel für das Apartheid-Regime. Die sozialistischen Staaten verstärkten ihr Engagement, verbunden mit Hoffnungen auf eine neue Qualität revolutionärer Entwicklung in Afrika. Auch im Westen gab es ein Umdenken, Verhandlungen über Simbabwe und Namibia wurden befördert, Befreiungsbewegungen als Gesprächspartner akzeptiert. Afrika erhielt internationales Gewicht. Unter Reagan gab es einen Rückfall, die US-Politik des »constructive engagement« ermutigte Südafrika, weiter auf Repression nach innen und Destabilisierung nach außen zu setzen. Namibias Unabhängigkeit wurde verzögert, bis veränderte internationale Bedingungen und zunehmender Druck in und auf Südafrika 1989/90 die Verwirklichung des UN-Unabhängigkeitsplans für das Land ermöglichten. Die Apartheid wurde nach komplizierten Verhandlungen 1994 überwunden. In den 1990er Jahren setzte der Westen auf einen Demokratisierungsprozess für Afrika. Während einige Gründerväter Afrikas sich zurückzogen oder sich immerhin abwählen ließen wie Tansanias Julius Nyerere oder Sambias Kenneth Kaunda, fand manch neuer »Demokrat« Gefallen an der Macht, so Frederick Chiluba in Sambia; selbst Diktatoren wie Mobuto in Kongo (Zaire) und Eyadema in Togo gebärdeten sich nun »demokratisch«. Der erhoffte Entwicklungsschub in Afrika blieb aber aus. Es kam stattdessen zum Kollaps staatlicher Ordnungen, z. B. in Somalia und Liberia, zu Kriegen und Bürgerkriegen, so in Rwanda und Kongo. Mit dem Ende des Kalten Krieges schien Afrika weltpolitisch auf einen Sozialfall reduziert, galt als großer Verlierer der Globalisierung. Dem stemmten sich Politiker verschiedener Regionen entgegen und gaben tradierten panafrikanischen Ideen einen neuen Rahmen, mit der 2002 geschaffene Afrikanische Union (AU). Afrika wurde mit dem neuen Südafrika in einer Führungsrolle zum Partner der EU und der G8. Dahinter steckt durchaus Kalkül: durch Unterstützung von Selbstheilungskräften Afrikas die eigenen Aufwendungen zu reduzieren. Doch trotz jüngster positiver Wachstumsraten, vor allem dank der Rohstoffe und Energieträger, hat sich strukturell nicht viel verändert. Es sieht schlecht aus für die Millenium-Ziele der UNO. 50 Jahre Entkolonialisierung sind keine reine Erfolgsstory, aber Afrika lässt erkennen, dass es seinen Platz in der globalisierten Welt sucht. Wie 1957 setzen Afrikas Führer heute wieder auf Selbstachtung, Würde und Stolz.