• Berlin
  • Umweltkatastrophe in der Oder

Die lebenden und toten Fische

In der Oder schwimmen wieder Tiere, doch die Suche nach der Ursache des Massensterbens gibt weiter Rätsel auf

  • Andreas Fritsche, Frankfurt (Oder)
  • Lesedauer: 4 Min.

Etwa auf halber Stecke zwischen den beiden Fußgängerbrücken, die in Frankfurt (Oder) auf die Flussinsel Ziegenwerder führen, liegt am Mittwoch am Ufer der Alten Oder ein toter Fisch, übersät von Fliegen. Im flachen Wasser plätschert es, dort schwimmen tatsächlich ein paar kleine Fische. Am Zusammenfluss mit der Oder sind es dann sogar richtige Schwärme. Einige Passanten registrieren das verblüfft. Ein Fotograf soll für den Naturschutzbund Aufnahmen von vielen toten Fischen machen, findet aber nur noch einzelne Exemplare.

Die meisten verendeten Tiere wurden bereits von freiwilligen Helfern eingesammelt, und ehe diese am Wochenende kamen, hatten sich bereits Studenten der Universität Viadrina an die Arbeit gemacht. Auf der Insel Ziegenwerder sind im Schlamm am Ufer noch die Fußabdrücke der Helfer zu sehen. Allein auf der polnischen Seite der Oder wurden mittlerweile 100 Tonnen Fisch weggeräumt. Einige Kadaver liegen aber noch herum. Sie wurden erst später angespült oder treiben schwer erreichbar im Wasser, aus dem Sandbänke hervorragen.

Das Niedrigwasser und die Hitze könnten zu dem plötzlichen Fischsterben beigetragen haben, vermutet das Landesumweltamt. Über die tatsächliche Ursache wird weiter gerätselt. Das Landeslabor Berlin-Brandenburg grübelt über Analysen von Wasser- und Fischproben. Eine deutlich erhöhte Konzentration von Quecksilber oder einem anderen Schwermetall konnte nicht festgestellt werden, stattdessen ein auffällig hoher Salzgehalt. Drüben in Polen, wo das Fischsterben zuerst aufgefallen war, wurde über die illegale Einleitung von Chemieabfällen in den Fluss spekuliert. Aber auch die polnischen Behörden messen nun keine Giftstoffe mehr, nachdem in zwei früheren Proben eine toxische Substanz entdeckt worden ist. Die polnische Opposition kreidet der Regierungspartei PiS an, erst mit Verzögerung auf die Katastrophe reagiert zu haben.

Auf jeden Fall wird auf beiden Seiten der Grenze bis hoch an die Ostsee dringend davon abgeraten, auch nur die Hände in den Fluss zu tauchen. In der polnischen Kommune Słubice, die über eine Stadtbrücke mit Frankfurt (Oder) verbunden ist, warnt das Marschallamt der Woiwodschaft Lebuser Land mit Zetteln, auf denen neben »Uwaga« (Vorsicht) steht: »Nie wchodź do wody!« (Nicht ins Wasser gehen!) Dazu sind ein toter Fisch und ein Reagenzglas auf einer Art Verbotsschild abgebildet.

Wenige Schritte entfernt sind auch am polnischen Ufer noch tote Fische im Fluss zu sehen, aber nur vereinzelt. Zahlreich dagegen sind die kleinen Fliegen auf der Insel Ziegenwerder. Sie gebe es hier auch sonst, aber niemals seien es so unglaublich viele wie jetzt gewesen, erzählen Anwohner, die hier spazieren gehen. Sie vermuten, dass die explosionsartige Vermehrung der Fliegen mit dem Fischsterben zusammenhänge.

Ein Stück weiter kann Angela Hoops das Phänomen erklären. Sie zeigt einen Kadaver, in dem es von Maden nur so wimmelt. In dem toten Hecht legten Fliegen ihre Eier ab. Für die Fliegen gab es dazu nun reichlich Gelegenheit. Hoops ist Biologin und als freie Mitarbeiterin am Naturhistorischen Museum in Braunschweig tätig. Mit ihrem Mann ist sie im Urlaub seit zehn Tagen mit dem Fahrrad entlang von Elbe, Spree und Oder unterwegs. Das Fischsterben hat sie überrascht und erschüttert, aber sie ist nun auch an des Rätsels Lösung interessiert. Fische sind nicht das Spezialgebiet von Hoops, aber einiges kann sie doch sagen. Die Maden in dem toten Hecht seien normal. Das sei der Kreislauf der Natur. Doch die trübe Suppe, die aus dem Hecht herausfließe und den Boden ringsum dunkel einfärbe – »das ist nicht normal«, erläutert Hoops.

Ihr sei auch aufgefallen, wie trübe und schmutzig die Oder jetzt sei. Allein am Niedrigwasser könne es nicht liegen. Denn auch die Wasserstände in Elbe und Spree seien in diesem heißen und trockenen Sommer wieder stark gefallen und diese Flüsse seien trotzdem klar. In der Spree hat Hoops vor ein paar Tagen noch gebadet. In der Oder wäre das jetzt undenkbar.

Dass sich der Fluss bald wieder erholt, wie die Anwohner hoffen, kann sich die Biologin aus Niedersachsen nicht vorstellen. Alle Folgen für das Ökosystem würden sich vermutlich erst in nächster Zeit richtig zeigen, erwartet sie. Bemerkenswert findet Hoops, dass Vögel das Fleisch toter Muscheln kaum angerührt hätten. War das Instinkt oder schmeckten die Muscheln den Vögeln bei einer Kostprobe seltsam?

Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) hat gleich prophezeit, diese Umweltkatastrophe sei ein schwerer Schlag für die Oder, von dem sich das Gewässer lange nicht erholen werde. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) glaubt nicht, dass es für das Fischsterben allein natürliche Ursachen gibt. »Das können wir getrost ausschließen, sonst würden sich die hohen pH-Werte und der erhöhte Sauerstoffgehalt und vieles andere mehr nicht erklären«, sagt er am Mittwoch.

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