Cool down

Ein Hoch auf die Klimaanlage

  • Erik Hanzlicek
  • Lesedauer: 2 Min.

37 Grad Celsius. Im Schatten. Das ist auch im Sommer 2022 in Deutschland nicht der Standard, aber um diese Spitzen gruppieren sich immer mehr Tage. Bei solchen Bedingungen wird das Leben vor allem in einer Großstadt wie Berlin zur Hölle auf Erden. Erlösende Orte der Kühle werden gesucht. Und wenn man nicht gerade ein Haus mit Keller am Stadtrand, eine kühle Altbauwohnung im ersten Stock oder ein Seegrundstück zum Urlauben besitzt, sind diese Stätten eher rar gesät.

Ironischerweise sind aber auch die Orte außerhalb des klimatischen Ausnahmezustands (der solch eine große Ausnahme gar nicht mehr ist) die Hölle: der Arbeitsplatz, die Mall und die M10 (wenn die Kühlung darin mal funktioniert). Welch geniale Erfindung der Menschheit kreiert diese rettende Kühle? Richtig, die Klimaanlage.

Besonders in Deutschland ist dieses Wunderwerk der Technik allerdings als »Klimakiller« und Ozonmonster verschrien, das fetten Amis und faulen Giergriechen das irdische Jammertal in unangemessener Weise versüßen soll. Und wie alle Welt weiß: Die Deutschen verbindet eine perverse Lust am Leid mit diesem Jammertal. Am liebsten, wenn es das Leid (sozial) Schwächerer ist. Jene, die eben keinen Keller, keinen Garten, keinen See haben. Und nicht die perfekte körperliche Konstitution. Technikfeindlichkeit und Sozialdarwinismus gingen und gehen in diesem Land gern Hand in Hand.

Klimaanlagen sind energieintensive Gebilde und nicht jeder Haushalt in Deutschland braucht ein solches. Hitziger Zahleneinschub: In den USA sind 90 Prozent der Privathaushalte mit einem Airconditioner ausgestattet, in Deutschland sind es nur 3 Prozent. Aber dort, wo Menschen besonders unter der Hitze leiden, wie in Altersheimen, Krankenhäusern, Arztpraxen, sollten diese großartigen Maschinen verpflichtend eingebaut werden.

Zudem müsste das Kapital gezwungen werden, in Branchen, in denen Menschen körperlich schwer arbeiten, zentrale Kühlcontainer zur Verfügung zu stellen. Ebenso könnte der Staat an städtebaulich verhunzten Hitzeeinöden elektrisch klimatisierte Kühlstellen einrichten. Zudem müssten endlich alle öffentlichen Gebäude mit Klimaanlagen ausgestattet werden.

Natürlich kann die Klimaanlage nicht das einzige Mittel sein, um Auswirkungen der Klimakrise abzumildern. Wahrscheinlich nicht einmal ansatzweise. Diese Gesellschaft muss unbedingt lernen, anders zu bauen, anders zu arbeiten, am besten: anders zu leben. Sogar innerhalb kapitalistischer Produktionsweisen kann das geschehen. Dies bedeutet auch, weiter und energischer an effizienteren und somit umweltfreundlicheren Varianten der Klimaanlage zu forschen. Denn um sich über die Realisierung des Utopischen den Kopf zerbrechen zu können, muss dieser kühl bleiben!

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!