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Schach in neuen Sphären
Das weltgrößte Schachportal Chess.com will die Konkurrenzfirma von Weltmeister Magnus Carlsen kaufen – was Fans freut und Tücken birgt
Magnus Carlsen ist nicht nur der beste Schachspieler der Welt, er weiß sich auch abseits jenes Spielbretts mit den 64 hellen und dunklen Quadraten gut in Szene zu setzen. Was der Norweger anfasst, gelingt ihm in der Regel: So arbeitete Carlsen bereits erfolgreich als Model für die niederländische Modemarke G-Star, tauchte in Werbeclips auf und verfolgte immer auch seine eigenen Geschäftsideen: 2014 brachte der amtierende Schachweltmeister eine App heraus, mit der man gegen virtuelle Ebenbilder von ihm in verschiedenen Altersstufen spielen konnte. Daraus entstand die Play Magnus Group (PMG), ein großes Unternehmen samt Trainings-App, Verlag, Schach-Turnierserie und chess24, einer Online-Plattform zum Schach spielen.
Ein umtriebiges Imperium mit Superhirn Carlsen als Aktionär und Gesicht der Marke. Doch damit soll nun Schluss sein: »Chess.com«, Marktführer für Online-Schach, hat bekannt gegeben, sich mit Carlsen und dem Management über einen Kauf der PMG geeinigt zu haben. Knapp 800 Millionen Norwegische Kronen, umgerechnet rund 82 Millionen Euro, sei das Angebot schwer. Sechs bis acht Wochen soll der Prozess der Einverleibung noch dauern. Damit der Deal klappt, müssen allerdings 90 Prozent der Aktionäre im September dafür stimmen, verkündete PMG.
»Wir haben einen sehr positiven Eindruck gewonnen, als wir über die Möglichkeiten für die Zukunft gesprochen haben, und ich freue mich sehr, ein Teil davon zu sein«, wird Carlsen auf Chess.com zitiert. Auch der dortige Leiter für alle schachbezogenen Angelegenheiten, Daniel Rensch, ist zuversichtlich, dass die Übernahme zustandekommt: »Wir nutzen diese Gelegenheit, Schach durch die Bündelung unserer Kräfte in neue Sphären zu führen«, so Rensch, der selbst hochklassig Schach spielt.
Mehr Duelle mit den anderen Stars
Es ist ein guter Zug für beide Seiten: Carlsen kann nun bedenkenlos an Turnieren des bisherigen Kontrahenten von chess24 teilnehmen, und Chess.com profitiert von der Strahlkraft des Superstars. Bisher fehlte Carlsen in aller Regel bei den Turnieren der größten Schachplattform, weil er die eigenen PMG-Wettbewerbe vorzog oder sich die Turniertermine der beiden Anbieter überschnitten. Das soll sich nun ändern, wie der 31-Jährige anklingen lässt: »Ich freue mich auch, wieder bei der Speed Chess Championship mitzuspielen. Ich habe da einen Titel zu verteidigen«, machte Carlsen den unzähligen Schachfans Hoffnung auf spannende Duelle mit anderen Weltklasse-Spielern wie dem Russen Jan Nepomnjaschtschi oder dem US-Amerikaner Hikaru Nakamura, die auf Chess.com aktiv sind, wo jene Schnellschach-Meisterschaft ausgetragen wird.
Besonders Nakamura ist während des Schach-Booms in der Pandemie zum erfolgreichsten Streamer im Spiel der Könige aufgestiegen. Millionen Menschen verfolgen seine Videos online, schauen zu, wenn er in Echtzeit Partien gegen andere Großmeister spielt oder in Lehrvideos knifflige Eröffnungsvarianten erklärt. Das Interesse am strategischen Brettspiel, dessen Ursprung in Indien, Persien oder China vermutet wird, ist zwar enorm, scheint derzeit aber ein Plateau erreicht zu haben. Das weiß auch Chess.com-Chef Rensch. »Das Schachspiel erlebt gerade eine ganz besondere Zeit. Mehr Menschen spielen und schauen Schach als je zuvor«, berichtet Rensch. Für das Unternehmen, das mehr als 91 Millionen registrierte Spieler hat, wäre die Akquisition der PMG ein wichtiger Schritt, um seine Vormachtstellung als größte Plattform des Denksports zu untermauern.
Auf dem Weg zum Monopol
Was auf der einen Seite spannende Partien für Schach-Enthusiasten verspricht, birgt auch Tücken. Mit einer Übernahme der PMG vergrößert Chess.com seine Marktmacht und kann dann fast nach Belieben entscheiden, welche Turniere stattfinden oder welche Preise für Mitgliedschaften gelten sollen, denn konkurrenzfähige Schachseiten gibt es nur noch wenige. Für Anbieter wie Lichess, einem werbefreien und kostenlosen Schachserver, der durch Spenden finanziert wird, könnte es also schwer werden mitzuhalten.
Geschäftsmann Carlsen kann derweil planen, welche Idee er als nächstes zu Gold machen will: Über das Unternehmen Magnus Chess ist er zu knapp neun Prozent an der PMG beteiligt, Magnus Chess wiederum gehört ihm zu 85 Prozent – bei einem Verkaufspreis von 82 Millionen Euro würde Carlsen also gut 6,2 Millionen Euro verdienen. Das nötige Kleingeld für neue Projekte hätte er dann – und vermutlich hat er eh schon wieder zehn Züge vorausgedacht.
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