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Chance für den Staudenhof
Abrissgegner beraten über Möglichkeiten eines letzten Rettungsversuchs
Für das Potsdamer Bauensemble Staudenhof rückt die letzte Stunde näher. Ende kommenden Jahres soll mit dem Abriss des aus DDR-Tagen stammenden Gebäudes mit seinen 183 Einraumwohnungen begonnen werden. Am Donnerstagabend trafen sich im alten Rechenzentrum Aktivisten, die trotz eindeutiger Beschlusslage des Stadtparlaments den Mut nicht verloren haben und weiter um den Erhalt des Gebäudes kämpfen wollen.
»Der Staudenhof ist zum Abriss freigegeben – können wir politisch und aktionistisch noch etwas dagegen tun?«, fragte die Stadtverordnete Anja Heigl von der linksalternativen Fraktion »Die Andere«. Heigl informierte, dass allen Mietern gekündigt wurde. Ein oder zwei wären vielleicht bereit, dagegen zu klagen. Sicher sei das aber nicht. Heigl riet, erst einmal eine Verschiebung des Abrisses anzustreben und damit Zeit zu gewinnen.
Die Stadt benötige und nutze den Staudenhof für die Unterbringung von ukrainischen und afghanischen Flüchtlingen, ergänzte die Landtagsabgeordnete Isabelle Vandré (Linke). »Die kommen nirgendwo anders unter.« Einen Zeitgewinn herauszuhandeln, erscheine ihr realistisch. Den Abriss völlig verhindern, »da bin ich skeptisch«. Die Stadt versuche, alle nur möglichen Baufelder so rasch wie möglich zu entwickeln. SPD und Grüne ließen in der Sache nicht mit sich reden und verwerfen bislang alle Alternativen, so Vandré.
Der Wohnblock Typ WBS 70 stört das ästhetische Empfinden derjenigen, die Potsdams Zentrum in die barocke Residenz zurückverwandeln wollen, die es vor den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg gewesen ist. Nicht dass es baufällig gewesen wäre, sondern dass es im Stil der DDR-Moderne errichtet wurde, reichte für so manches Gebäude in der Innenstadt für den Abriss. Am Staudenhof lässt sich die Politik der gezielten Vernachlässigung studieren, die Schmuddelecken schafft, um sie dann Schmuddelecken nennen und beseitigen zu können. Der Staudenhof war einst eine künstlerisch gestaltete Oase mit Brunnen, Skulpturen und viel Grün. Davor ist inzwischen kaum noch etwas übrig. Die paar Eimer Farbe, die nötig gewesen wären, um das Haus ansehnlich zu erhalten, waren partout nicht aufzutreiben. Dabei ist preiswerter Wohnraum knapp und seine Beseitigung unlogisch.
Architekt Frank Schönert kam bei dem Treffen der Abrissgegner auf die Idee, den Zeitgeist der Nachhaltigkeit, des ressourcensparenden Bauens und des Klimaschutzes in die Debatte zu werfen. Er berief sich auf die »Fachwelt«, die heutzutage im Prinzip gar kein Haus mehr abreißen möchte, weil die Energie- und Ressourcenbilanz dabei immer verheerend ausfalle. »Es ist eine neue Zeit angebrochen«, so Schönert. Für ihn könnte der Staudenhof das erste Haus in Potsdam sein, an dem ein radikales Umdenken manifest werde. Er forderte, den »tendenziösen Berechnungen« der Abrissbefürworter eigene Berechnungen entgegenzustellen. »Ein Umbau ist auf jeden Fall billiger«, beteuerte der Architekt. Die realen Kosten für den Abriss und den Umbau »kann niemand nennen«, sagte die Stadtverordnete Anja Günther (Linke). Ihr zufolge sind die Deutsche Umwelthilfe, die Klimaschutzbewegung Fridays for Future und selbst die brandenburgische Architektenkammer gegen den Abriss. Brandenburgs Ex-Umweltministerin Anita Tack (Linke) meinte, wenn es eine Chance für den Staudenhof geben solle, müsse man ein Netzwerk schaffen. »Alle müssten sich bekennen.«
Unmittelbar nach der Wende sank die Einwohnerzahl Potsdams binnen zehn Jahren von knapp 140 000 auf unter 130 000. Doch bald danach ging es wieder aufwärts – steil aufwärts. Rund 184 000 Menschen leben inzwischen in der Landeshauptstadt und es werden immer noch mehr. Die damit entstandene notorische Wohnungsnot hat dem Komplex Staudenhof eine Gnadenfrist verschafft. Während anderswo in Brandenburg viele Plattenbauten der Abrissbirne zum Opfer fielen, sind in Potsdam fast alle saniert und bilden das Rückgrat des kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsbestandes in der Stadt.
Bezogen auf die Mieter des Staudenhofs zeigt sich André Tomczak, Sprecher der Initiative »Potsdamer Mitte neu denken« allerdings wenig optiministisch. »Viele sind schon ausgezogen, dulden das, haben aufgegeben«, sagte er. Lutz Boede von der Wählergruppe »Die Andere« erinnert sich noch an den vergeblichen Kampf gegen den Abriss der alten Fachhochschule neben dem Staudenhof. Eine Grundstimmung nach dem Motto »Es ist ja doch alles gelaufen und nichts mehr zu ändern« sie damals nicht zu überwinden gewesen, beklagt er. Wenn jetzt grüne Aktivisten ankündigten, sich an die sechs Linden zu ketten, dann »sollen sie sich doch lieber an den Staudenhof ketten«, findet Boede.
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