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Zeit für eine Wende
SPD-Fraktion macht der zerstrittenen Ampel Vorschläge für drittes Entlastungspaket
Den Alltag eines großen Teils der Bevölkerung hierzulande prägt derzeit der bange Blick auf die Preise, Überlegungen, wo gespart werden kann, was noch finanziell leistbar ist, und die Frage, ob die angekündigten Entlastungen tatsächlich substanziell helfen werden – und wem. Wie die staatlichen Hilfen aussehen werden, ist trotz ellenlanger Diskussionen immer noch nicht klar. Fest steht hingegen, dass die Inflation gewaltige Löcher in die Haushaltskassen reißt.
Wie groß diese etwa für Arbeitnehmer*innen ausfallen, hat am Montag das Statistische Bundesamt (Destatis) offiziell beziffert: So seien die Löhne einschließlich Sonderzahlungen im zweiten Quartal dieses Jahres zwar um 2,9 Prozent höher gewesen als ein Jahr zuvor. Allerdings seien die Verbraucherpreise in diesem Zeitraum um 7,6 Prozent gestiegen. Ergebnis: ein Reallohnverlust von 4,4 Prozent. Und damit noch einmal mehr als im ersten Quartal, in dem im Vergleich zu 2021 die Reallöhne bereits um 1,8 Prozent gesunken waren. Verschärfend kommt laut Destatis hinzu, dass die Arbeitnehmer*innen bereits in den vergangenen beiden Pandemie-Jahren 2020 und 2021 Reallohnverluste hatten hinnehmen müssen.
Dem Bangen, Rechnen, Hoffen der Bürger*innen steht ein Regierungsalltag gegenüber, der derzeit wenig dazu angetan ist, Vertrauen aufkommen zu lassen, dass die Ampelkoalition tatsächlich in der Lage oder zumindest willens ist, sich auf die notwendigen Entlastungsschritte zu einigen: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verspricht zwar immer wieder, dass niemand in der Krise alleingelassen wird. Ergebnisse – zumal noch durchdachte, aufeinander abgestimmte und auch von Sozialexperten empfohlene – kann er noch immer nicht präsentieren. Was zu einem Gutteil auch an der FDP und deren Finanzminister Christian Lindner liegt, der sich wie eine Art Gegenkanzler aufführt und an sozial fortschrittlichem blockiert, was nur geht. Und zuletzt die Grünen. Deren Bundeswirtschaftsminister Rober Habeck, der es eine Zeit lang zumindest verstanden hat, mit seiner Kommunikation zu punkten, hat sich mit der Gasumlage gehörig verzettelt. Und musste für die Tatsache, dass von dieser für die Gaskund*innen äußerst schmerzhaften Maßnahme auch Unternehmen profitieren können, die gar keine Hilfe benötigen, auch aus den eigenen Koalitionsreihen kräftig einstecken.
Wie es derzeit um die Stimmung in den Ampelparteien bestellt ist, macht nach der Schelte für Habeck eine Nachricht des Vizefraktionsvorsitzenden der Grünen Konstantin von Notz im Kurznachrichtendienst Twitter deutlich: »Die schlechte Performance des Bundeskanzlers, seine miesen Umfragewerte, Erinnerungslücken bei #Warburg und seine Verantwortung bei #Northstream2 werden durch unloyales Verhalten und Missgunst in der Koa nicht geheilt werden«, so von Notz. Unloyales Verhalten und Missgunst? Nicht gerade das, was sich eine Regierung in diesen Krisenzeiten leisten sollte. Ebenso wenig wie die endlosen Debatten über ein drittes Entlastungspaket, das auch Dank des völlig aus der Zeit gefallenen Festhaltens an der Schuldenbremse erneut völlig unzureichend ausfallen dürfte. Alles andere wäre eine – hochwillkommene – Überraschung.
Eine Chance zur Heilung der geschlagenen Wunden könnte die am Dienstag und Mittwoch anstehende Regierungsklausur in Meseberg bieten – oder auch die Möglichkeit einer Eskalation des Ampelstreits. Dann etwa, wenn sich die FDP, die von Habeck Änderungen an der Gasumlage bis zur Klausur gefordert hat, nicht mit dessen Versprechen (»Wir werden dieses Problem lösen.«) und den Versicherungen aus seinem Ministerium (»Wir arbeiten mit Hochdruck an einer Lösung.«) zufrieden gibt. Aus der SPD zumindest kamen am Montag bereits versöhnliche Töne. Die von Habeck angekündigte Überarbeitung sei »der richtige Weg«, erklärte SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil im ARD-»Morgenmagazin«. Wichtig sei, dass die Regierung »die Kraft« habe, »Fehlentwicklungen« zu benennen und zu korrigieren. Er finde den Ansatz der Umlage zur Stabilisierung der Versorgungssicherheit nach wie vor »richtig«.
Die Ampel in Meseberg müsste in Meseberg indes nicht nur in Sachen Koalitionsklima vorankommen, sondern auch bei den versprochenen Entlastungen. Wie sich die SPD-Fraktion im Bundestag die Hilfen vorstellt, haben die Sozialdemokraten in einem Beschlussentwurf für eine Fraktionsklausur formuliert. In dem Papier fordern die Genoss*innen unter anderem eine Energiepreisbremse für den Grundbedarf und das Aussetzen der anstehenden Erhöhung des CO2-Preises für zwei Jahre. Für Menschen mit geringen und mittleren Einkommen, Familien, Rentner*innen, Studierende, Auszubildende und Empfänger von Arbeitslosengeld soll es »zielgenaue Direktzahlungen« geben. Darüber hinaus werden auch strukturelle Maßnahmen im Bereich der Grundsicherung gefordert. Dazu heißt es: »Damit auch in Phasen einer hohen Inflation das Existenzminimum und die soziale Teilhabe gesichert sind, sollen Preissteigerungen kurzfristiger bei der Berechnung des Regelsatzes berücksichtigt werden.«
Damit den hohen und für viele unerschwinglichen Energiepreisen keine unmittelbare Welle an Kündigungen und letztendlich Wohnungslosgkeit folgt, soll es einen sechsmonatigen Kündigungsschutz für Mieter*innen geben, die ihre Nebenkosten nicht zahlen oder Vorauszahlungen nicht leisten könnne. Auch Strom- und Gassperren soll es nicht geben dürfen. Und im Bereich Verkehr wird ein bundesweit gültiges ÖPNV-Ticket für monatlich 49 Euro gefordert, an dem sich das Bund und Länder jeweils zur Hälfte beteiligen sollen.
Zur Finanzierung der Vorschläge sieht das Papier unter anderem »eine zielgerichtete Übergewinnsteuer für jene Energieunternehmen, die von dieser Krise massiv profitieren« vor. Übermäßige Unternehmensgewinne, die alleine auf die aktuelle Krisenlage zurückzuführen seien, sollten zur Krisenbewältigung beitragen. »Das ist eine Frage der Gerechtigkeit«, heißt es.
Für Christian Görke, finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, gehen die Vorschläge der SPD-Fraktion in die richtige Richtung. Mit der Schuldenbremse allerdings seien diese nicht umsetzbar. »Wenn Lindner die Aussetzung blockiert, stehen die Vorschläge fast alle im Feuer. Wenn Krieg, Energiekrise und Pandemie kein Notfall sind, was dann?«, fragt Görke.
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