Einfach mal ignorieren

Beteiligungsbeirat des Landes Berlin kritisiert Blockade seiner Arbeit durch die Stadtentwicklungsverwaltung

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.

»Gemeinsam Stadt machen!« steht groß und optimistisch über den Berliner Leitlinien für die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der räumlichen Stadtentwicklung. Bereits 2019 vom Senat angeschoben, sollten ebenjene Leitlinien in dieser Legislaturperiode durch einen eigens hierfür ins Leben gerufenen, 24-köpfigen Beteiligungsbeirat weiterentwickelt werden. So sieht es der Koalitionsvertrag aus dem Dezember vergangenen Jahres vor. Passiert ist seitdem fast nichts.

Alle drei in diesem Jahr bisher angesetzten Sitzungen des Beteiligungsbeirats seien von der federführenden Verwaltung von Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) mehr oder minder kurzfristig abgesagt worden, berichten Helene Anders und Ina Juckel vom Sprecher*innenrat des Gremiums. Auch die für Montagabend geplante Sitzung sollte nach dem Willen der Stadtentwicklungsverwaltung eigentlich ausfallen. Anders und Juckel weigerten sich, das erneut hinzunehmen und organisierten auf eigene Faust eine »inoffizielle Zusammenkunft« des Beirats in einem kleinen Konferenzraum eines Hotels am Gleisdreieck in Kreuzberg.

»Es gibt einen sehr großen Unmut in unseren Reihen«, sagt Ina Juckel nach dem Treffen zu »nd«. Man stecke zum Teil sehr viel kostbare Zeit in die ehrenamtliche Beiratsarbeit – und werde namentlich von Geisel und Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt immer wieder aufs Neue abgewürgt. »Wir sind deshalb bis jetzt nur an organisatorischen Punkten«, sagt Helene Anders. Im vergangenen Jahr habe es unter Ex-Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) noch die konstituierende Sitzung gegeben, dann die Verabschiedung der Geschäftsordnung und die Wahl des Sprecher*innenrats. Seit dem Amtsantritt von Andreas Geisel herrscht Stillstand.

»Die Begründungen für die Absagen der Sitzungen waren, dass wir als Beirat ja noch nicht komplett seien, weil die Benennungen durch den Legislaturwechsel vor allem in der Politik und Verwaltung noch nicht abgeschlossen seien«, sagt Juckel. Für die Absage der Sitzung am Montag sei dabei in Anschlag gebracht worden, dass die Benennung der Abgeordneten »nicht ordnungsgemäß erfolgt sei«. Was das heißt? Achselzucken bei den beiden Sprecherinnen.

»Uns ist nicht klar, wo das Problem der Stadtentwicklungsverwaltung ist«, sagt Anders. »Der Beirat ist lediglich dafür da, die beschlossenen Leitlinien zu prüfen, zu evaluieren und Empfehlungen abzugeben. Nichts weiter.« Es gebe »keine aktive Einflussnahme« auf konkrete Verkehrs- oder Wohnungsbauprojekte in der Stadt. Anders sagt: »Selbst wenn wir irgendwann mal so weit wären, Empfehlungen auszusprechen, ist es der Verwaltung völlig freigestellt, diese Empfehlungen zu beachten.«

Warum sich der Stadtentwicklungssenator derart querstellt, sei auch deshalb rational kaum zu erklären, sagt Susanna Kahlefeld, die Sprecherin für Engagement und Beteiligung der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus und selbst Mitglied im Beirat. Wer den SPD-Politiker kenne, wisse aber: »Geisel lehnt Bürger*innenbeteiligung mit Affekt und Gefühl ab. Er empfindet das als störend. Das steckt dahinter«, sagt Kahlefeld zu »nd«.

Auch die Grünen-Politikerin verweist darauf, dass der Auftrag des Beteiligungsbeirats ebenso wenig radikal sei wie die besagten Leitlinien. »Diese Leitlinien orientieren sich an funktionierenden und jahrelang bewährten Vorbildern aus anderen Bundesländern.« Der vom Beirat zu leistende Diskussions- und Abwägungsprozess sei dabei geeignet, mit Blick auf Stadtentwicklungsprojekte »Konflikte im Vorfeld zu vermeiden«. Andreas Geisel freilich sieht Kahlefeld zufolge in allem, was auch nur entfernt in Richtung Beteiligung der Stadtgesellschaft gehe, »offenbar eine Behinderung seiner eigenen Vorstellungen«.

»Das ist total frustrierend. Es handelt sich hier schließlich um in der Koalition geeinte Beschlüsse, die natürlich auch umgesetzt werden müssen«, ergänzt Beiratsmitglied Hendrikje Klein. Wie Ina Juckel, Helene Anders und Susanna Kahlefeld hält auch Klein, Sprecherin für Bürger*innenbeteiligung der Linksfraktion, die von der Stadtentwicklungsverwaltung genannten Gründe, mit denen die Beiratstreffen allesamt abgeblasen wurden, für »nicht nachvollziehbar«. Ihre Forderung an Andreas Geisel ist dann auch klar: »Der Beirat muss endlich in Gang kommen.«

Im Haus von Senator Geisel will man die Vorwürfe so nicht stehen lassen. Zugleich führt man aber weiter formale Gründe für die Absagen ins Feld. »Im Beteiligungsbeirat sind vier Plätze für Abgeordnete aus den sechs Fraktionen des Abgeordnetenhauses vorgesehen. Bislang haben fünf Fraktionen einen Vertreter und Stellvertreter für den Beteiligungsbeirat benannt. Eine interfraktionelle Abstimmung fand bislang aufgrund der parlamentarischen Sommerpause nicht statt, weshalb die ordnungsgemäße Besetzung des Beteiligungsbeirats nicht abgeschlossen werden konnte«, heißt es von Geisels Vize-Sprecherin Petra Rohland auf nd-Nachfrage.

Der Beirat könne erneut tagen, sobald die Besetzungsfrage geklärt und alle Gruppen vertreten seien. Die Arbeit des Gremiums werde die Stadtentwicklungsverwaltung dann auch »durch die Zentrale Anlaufstelle für Beteiligung organisatorisch und personell unterstützend begleiten«.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!