Verbotenes Paradies

Freibäder sind für Spießer, Baggerseen für Punks

  • Jens Buchholz
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Ort für Spießer: das Freibad
Ein Ort für Spießer: das Freibad

In dem herrlichen oberschwäbischen Ort, in dem ich in den 70er und 80er Jahren aufgewachsen bin, gab es ein modernes Freibad. Drei Becken, Sprungturm, Liegewiese, Spielplatz, Umkleidekabinen, Vokuhila-Fußballalphatierchen und ein Kiosk mit »Heiße Hexe«. Und natürlich einen unerbittlichen, braungebrannten Bademeister in weißer Badehose, der seine Pfeife mit einer goldenen Kette um den Hals gehängt hatte. Wollte man als Jugendlicher etwas über die vielfältige Anatomie des menschlichen Körpers lernen, dann war das Freibad genau der richtige Ort. Es war auch der richtige Ort, an dem man sich zwischengeschlechtlich unbefangen und spielerisch anfassen konnte. Aber wenn man so wie ich mit 14 plötzlich merkt, dass man dagegen ist (auch wenn man nicht weiß, gegen was), dann ist das Freibad eindeutig der falsche Ort. Das Freibad, erklärte ich mit 14, sei etwas für Spießer und Popper. Aber nichts für Leute, die im Grunde ihres Herzens Punker seien (ich meinte mich). Das Freibad sagte mir, wer ich nicht werden wollte.

Als Oberstufenschüler gelang mir und meinen Freunden die Emanzipation vom Freibad. Denn wir entdeckten die Möglichkeiten unseres Baggersees. Das war ein märchenhafter Ort. Aber auch ein verbotenes Paradies! Unter einem weiten Himmel glitzerte ein glasklarer, karibisch blauer See, gesäumt von einem Kiesstrand und umgeben von hohem Gras, raschelnden Pappeln, Büschen aller Art. Das Problem: Auch hier waren die Spießer zugange. Der See war zum Teil vermietet an den Fischereiverein. Überall standen Schilder, dass das Baden hier verboten sei. Und am unteren Ende wurde immer noch Kies gebaggert und abtransportiert, sodass es an trockenen Sommertagen meterhoch über die Kiessilos hinaufstaubte.

Für gefühlte Punker wie mich und meine Freunde bot der See die Möglichkeit, die Regeln der Spießer zu unterlaufen und uns gleichzeitig in Aufklärung, Strategie und Taktik zu üben. Denn die Angler fuhren Patrouille und kontrollierten, ob jemand verbotenerweise badete. Und wenn sie einen erwischten, drohten sie mit einer Anzeige und erklärten, dass das Baden im Baggersee gefährlich sei, weil er von eiskalten Strömungen und Schwimmbaggerseilen durchzogen sei. Aber uns lehrte der Baggersee, wie man die Ströme und Seile der Macht unterwanderte. Denn sehr bald hatten wir heraus, wann die Angler da waren und wann nicht. Und ab da gehörte der See uns und erzählte uns, wer wir sein könnten.

Einen endlosen Sommer lang badeten wir nachts in dem eiskalten Wasser, wenn der sternklare Himmel blinkte, die wogenden Dunstschwaden über den See zogen und die Grillen zirpten. Wir tranken Bier und hörten auf einem batteriebetriebenen Kassettenrekorder die James-Bond-Titelsongs. Tagsüber ruderten wir mit dem bei Neckermann bestellten quietschgelben Schlauchboot über den See. Immer von einem Gebüschversteck zum nächsten.

Heute ist dort ein Seepark. Mit Rundweg, Restaurant, Rutsche und Wasserskianlage. Aber immer noch mit weitem Himmel, Pappeln und glitzerndem Wasser. Immer noch ein schöner Sommerort. Nicht mehr so anarchisch wie früher. Aber ich bin ja jetzt auch eher der Typ Park als Punk.

Der Sommer neigt sich dem Ende, und auch mit »Typisch Sommer!« ist es nun vorbei.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.