- Politik
- 50 Jahre Olympia-Attentat in München
Nach dem Fiasko kam die GSG 9
Infolge der missglückten Befreiung baute Deutschland seine erste Antiterroreinheit auf
Zweimal fanden in Deutschland bislang Olympische Spiele statt. 1972 wollte München weiten Abstand zur nationalsozialistischen Propagandashow 1936 in Berlin gewinnen. Doch die geplanten bunten und heiteren Spiele gerieten zum Fiasko, als am 5. September ein palästinensisches Terrorkommando ins Olympische Dorf eindrang und israelische Sportler als Geiseln nahm. Die Kidnapper forderten die Freilassung von rund 200 in Israel inhaftierten Gesinnungsgenossen sowie freies Geleit in eine arabische Hauptstadt.
Bewährungsprobe in Mogadischu
Die bayerische Polizei war mit dem Einsatz hoffnungslos überfordert. Die Geiselnahme endete in einer mehrstündigen Schießerei auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck und hatte den Tod aller elf Geiseln und eines deutschen Polizisten zur Folge. Auch fünf der acht Terroristen kamen um. Der damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) wurde danach beauftragt, eine spezialisierte Antiterroreinheit aufzustellen – die Geburtsstunde der GSG 9. Ihre Vorbilder waren die Spezialeinheit der British Army, der SAS, die U.S. Navy SEALs und das Hostage Rescue Team des FBI sowie Israels Sajeret Matkal. Die neue Elitetruppe wurde als Teil des Bundesgrenzschutzes konzipiert. Der hatte bereits sieben Grenzschutzgruppen und eine, die für die See zuständig war. So vergab man der Antiterroreinheit die Nummer 9. Im April 1973 waren die ersten beiden Einheiten einsatzbereit.
Die GSG 9 genießt international einen soliden Ruf. Die Grundlage dafür wurde in nur sieben Minuten gelegt. Am 18. Oktober 1977 stürmte eine Einheit unter dem Befehl ihres Gründungschefs Ulrich Wegener in dieser knappen Zeit die entführte Lufthansa-Maschine »Landshut« auf dem Flugfeld der somalischen Hauptstadt Mogadischu. Vier palästinensische Terroristen hatten mehr als 90 Menschen in ihre Gewalt gebracht. Bei der »Operation Feuerzauber« wurden drei von ihnen getötet und alle Geiseln befreit. Nach dem Erfolg konnte Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) seine für den Fall eines Fehlschlags der Mission vorbereitete Rücktrittserklärung dem Archiv überantworten.
Auch nachdem der Bundesgrenzschutz 2005 in Bundespolizei umbenannt worden war, behielt die Truppe ihren Namen, auch weil er auf Gewalttäter eine gewollt abschreckende Wirkung ausübt. Die dem Innenministerium unterstellte Truppe vereint drei Einheiten: Präzisionsschützen, Taucher und Bootsführer sowie Fallschirmspezialisten. Die genaue Personalstärke der GSG 9 wird geheim gehalten. Geschätzt wird sie auf etwa 500, darunter waren Anfang 2022 nur fünf Frauen.
Selbst für Einsätze im Ausland benötigt die GSG 9 – anders als die KSK-Elitetruppe der Bundeswehr – keinen Bundestagsbeschluss. Doch, egal ob im In- oder Ausland, gilt bei einem Misserfolg: »Nach uns kommt keiner mehr. Wir können nicht die Polizei rufen«, sagt Jérôme Fuchs, der die Truppe seit 2014 führt. Deshalb ist die insgesamt neunmonatige Ausbildung extrem hart. Es heißt, am Ende des Drills, zu dem sich Polizisten bis zu ihrem 34. Lebensjahr anmelden können, würde nur ein Zehntel der Bewerber in die Truppe aufgenommen.
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Anrüchige Kooperationen
Auf einem Gebiet zeigt die GSG 9 nur sehr mäßige Leistungen: Wenn es um Transparenz geht, versagt die Führungsebene komplett. So wurden Kooperationen mit Polizeiexperten aus diktatorisch regierten Staaten wie Belarus, Ägypten und Libyen nie gründlich aufgearbeitet.
In mehr als 1900 Einsätzen sei nur siebenmal scharf geschossen worden, hieß es zum 50. Jahrestag der GSG 9 offiziell. Das ist theoretisch zwar möglich, aber doch wenig wahrscheinlich. Schließlich musste die Einheit selbst bereits sieben Tote beklagen. Ihr Hauptsitz ist noch immer Sankt Augustin-Hangelar in Nordrhein-Westfalen. Seit August 2021 gehört die GSG 9 allerdings zur in Berlin ansässigen Bundespolizeidirektion 11. Mittlerweile wird hier ein zweiter Standort aufgebaut – auch weil die Hauptstadt sicherheitspolitisch besonders sensibel ist.
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