- Politik
- Linke
Ein bisschen Frieden
Die Klausurtagung der Linke-Bundestagsfraktion in Potsdam verläuft offenbar harmonischer als erwartet. Doch Sahra Wagenknecht war auch nicht da. Und die Kontroversen bleiben.
Nicht zappeln, Klaus!» Gemeint mit dieser nicht allzu ernst zu verstehenden Aufforderung war Klaus Ernst, der sich fürs Gruppenfoto nach ganz vorn gestellt hatte. In einer Verschnaufpause bei der Klausur der Linken-Bundestagsfraktion in Potsdam war Ernst seinen Fraktionskolleg*innen vom Tagungshotel bis hinunter an den Templiner See gefolgt. Ein bisschen Frischluft kann den verzankten Köpfen ja nicht schaden, dachte man sich wohl. In Ufernähe stellten sich die Genoss*innen dann in Form eines Peace-Zeichens auf, hielten Schilder mit entsprechender Botschaft in die Höhe: eine unmissverständliche Forderung zum Weltfriedenstag am 1. September. Und tatsächlich hatte man für einen kurzen Moment das Gefühl, als hätte der Frieden auch die ewig zerstrittene Linke wieder erreicht: Die Genoss*innen scherzten miteinander, und als Beobachter gewann man den Eindruck, als seien die Keile zwischen ihnen zumindest ein Stück weit herausgezogen worden.
Für zwei Tage wollte die Fraktion ihre 39 nach der vergeigten Bundestagswahl 2021 noch verbliebenen Köpfe zusammenstecken, um etwa über die Bekämpfung des Klimawandels, die steigenden Energiepreise und kommende Arbeitskämpfe zu sprechen. Aber natürlich auch über sich selbst. Allerdings fanden längst nicht alle Linke-Abgeordneten den Weg in die hübsch gelegene Unterkunft direkt am Wasser. An der Fraktionsklausur nicht beteiligt war zum Beispiel jene Abgeordnete, die wegen ihrer Äußerungen etwa zu Migration, Corona und dem Ukraine-Krieg ausgerechnet als eine der prominentesten Linken seit Jahren im Mittelpunkt innerparteilicher Kämpfe steht: Sahra Wagenknecht.
Die Albereien während des Fototermins waren derweil keine bloße Täuschung: Auch nach den Sitzungen berichteten Teilnehmer*innen unabhängig voneinander, dass diese recht konstruktiv verlaufen seien. Ob dieser Umstand mit dem Fehlen von Wagenknecht zusammenhängt, lässt sich natürlich nur vermuten. Mittlerweile gibt es Spekulationen, die einstige Frontfrau könnte die Partei sogar verlassen, nachdem ihr Ehemann Oskar Lafontaine ausgerechnet kurz vor der Landtagswahl im Saarland seinen Rücktritt erklärt und der Linken damit einen Bärendienst erwiesen hatte. Gewiss, eine mögliche Abspaltung des Wagenknecht-Lagers und damit das Ende der Linken in ihrer bisherigen ideologischen Zusammensetzung ist genauso schwer zu prognostizieren wie eine Restabilisierung trotz andauernder Kontroversen, die trotz verbesserter Stimmung auch in Potsdam wieder auf die Tagesordnung drängten.
Da wäre zum einen die Forderung von Klaus Ernst, Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen. Eine Mehrheit der Delegierten hatte jedoch auf dem Erfurter Parteitag im Juni entschieden, den Import fossiler Energieträger stärker zu beschränken. Auch in Potsdam soll es nach Aussagen mehrerer Teilnehmer*innen in einer Debatte über Klimaschutz um Nord Stream 2 gegangen sein. Jedoch bleibt der Eindruck, dass Ernst, der im Gegensatz zu Wagenknecht zur Klausurtagung angereist war und recht gesellig wirkte, mit seinem Festhalten an russischem Gas in der Fraktion auf verlorenem Posten steht.
Da wären zum anderen die geplanten Demonstrationen gegen die steigenden Energie- und Lebensmittelpreise. Am Montag startet der so bezeichnete «heiße Herbst» mit einer Demo in Leipzig, als Redner*innen aus der Partei sind Amira Mohamed Ali, Gregor Gysi, Sören Pellmann und der neue Ko-Vorsitzende Martin Schirdewan eingeplant. Über die angebliche Absage an Sahra Wagenknecht, die sich Medienberichten zufolge in einer SMS darüber beklagt haben soll, kursiert mittlerweile eine neue Erzählung: Demnach sei Wagenknechts Zusage erst gekommen, als schon genügend Redner*innen feststanden. In der Kurznachricht soll zudem folgender Satz gefallen sein: «Man darf sich dann nur nicht beschweren, wenn zumindest ich mit diesem Laden nichts mehr zu tun haben will.»
Nun betonte die ihrer Vorgängerin nahestehende Ko-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali auf der Klausurtagung, dass auch Wagenknecht in die Herbst-Proteste einbezogen werden soll. Diese Aussage dürfte in der Fraktion längst nicht allen schmecken. Problem: Auch Rechtsextreme mobilisieren zu Protesten, das Magazin «Compact» etwa warb für die Demo in Leipzig mit Wagenknechts Konterfei. Seit der Migrationskrise, in der Wagenknecht im Vergleich zu ihrer Partei deutlich konservativere Positionen einnahm, ist sie auch bei vielen Rechten beliebt. Nun versuchen diese, die Herbst-Demos für sich zu beanspruchen. Von manchen als problematisch eingestuft wurde zudem, dass der Leipziger Abgeordnete Sören Pellmann mit dem Begriff «Montagsdemo» vorgeprescht war. Seit den verschwörungsideologischen Montagsmahnwachen ist der Begriff, unter dem ursprünglich gegen das SED-Regime und später gegen Hartz IV demonstriert wurde, von rechts besetzt. Nun schien es, als habe sich die Partei in diesem Punkt wieder aufeinanderzubewegt. Die Demos finden nun an verschiedenen Wochentagen statt, aber beim Montag in Leipzig bleibt es eben auch – wenn auch nicht offiziell unter dem Framing «Montagsdemo».
Man wolle den Rechten nicht einfach einen Wochentag überlassen, sagte Mohamed Ali auf der anschließenden Pressekonferenz und stellte ein Zehn-Punkte-Papier «gegen den Teuerwahnsinn der Bundesregierung» vor, das von der Fraktion zuvor beschlossen worden war. Darauf gelistet sind Forderungen der Linken, die auch teilweise schon bekannt sind, wie die Einführung einer Übergewinnsteuer und die Verlängerung des Neun-Euro-Tickets. Die Fraktionschefs betonten, dass das Papier einstimmig verabschiedet wurde. Auch Dietmar Bartsch lobte die «ausgesprochen positive» Atmosphäre und hob hervor, dass man sich vor allem mit der Politik der Ampel beschäftigt und eben nicht die Selbstbeschäftigung im Vordergrund gestanden habe: «Diese Klausur war ein wichtiger Schritt nach vorn.»
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.