Präsident Andrés Manuel López Obrador bricht sein Versprechen

»Protest-Cafeteria« auf dem Flughafen von Mexiko-Stadt geräumt

  • Andreas Knobloch
  • Lesedauer: 4 Min.

Beim Anblick der vielen Soldaten »dachten wir zunächst, es käme jemand sehr Wichtiges«, sagt Victoria López Ramírez, eine ehemalige Angestellte der inzwischen aufgelösten mexikanischen Fluggesellschaft Mexicana. Dann aber erklärten die Marinesoldaten den Anwesenden in der von ehemaligen Mexicana-Mitarbeitern betriebenen Cafeteria in dem besetzten Abschnitt im Terminal 1 des Internationalen Flughafens von Mexiko-Stadt, dass es sich um eine Räumung handele. Seit sieben Jahren verkauften López Ramírez und ihre Mitstreiterinnen dort selbstgemachte Sandwiches, Gebäck und Kaffee, um ihren jahrelangen Kampf zu finanzieren und auf ihre Situation aufmerksam zu machen.

Die überraschende Räumung des rund 150 Quadratmeter großen Areals mit Cafeteria, Lebensmittelladen und einem mobilen Covid-19-Testlabor begann in den frühen Morgenstunden des 2. September. Um zwei Uhr morgens begannen Marinesoldaten mit dem Abtransport aller Waren und Möbel.

»Die Art und Weise, wie dieser Raum besetzt wurde, und die Aktivitäten, die dort durchgeführt wurden, verursachten einen wirtschaftlichen Schaden für den Flughafen, Unsicherheit für die Nutzer und unlauteren Wettbewerb für den formellen Handel«, begründete die Flughafenbehörde den Einsatz in einem Kommuniqué. Im Juli vergangenen Jahres hatte Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador den Flughafen der Kontrolle des Marineministeriums unterstellt und Carlos Ignacio Velázquez Tiscareño, einen pensionierten Vizeadmiral und Piloten, zum neuen Flughafendirektor ernannt.

Die Flughafenverwaltung nannte die Besetzung »illegal«, da die früheren Mexicana-Angestellten kein »vertragliches Dokument vorweisen konnten, das sie zur Ausübung von Handelstätigkeiten« im Terminal berechtigte.

Die Operation dauerte knapp elf Stunden und wurde von mehreren Dutzend behelmten und martialisch ausgerüsteten Marinesoldaten durchgeführt, die von Sicherheitspersonal des Flughafens unterstützt wurden. Obwohl es keine Gewalt gegeben habe, »war es ziemlich unfair; sie schüchtern uns mit so vielen Marinesoldaten und Polizisten ein, als ob wir Kriminelle wären«, sagt López Ramírez.

Gegenüber »nd« zeigte sich Fausto Guerrero Díaz, Präsident der AJTEAM, der Interessenvertretung der aktuellen und ehemaligen Beschäftigten, »verwundert und enttäuscht« von der Räumung. »Wir denken, dass der Einsatz der Armee, der Nationalgarde, übertrieben ist. Mehr als 70 Einsatzkräfte für vier pensionierte Kollegen.«

Rund 70 Familien hätten dank der von ihnen im März 2015 eingerichteten Cafeteria überlebt, erklärt er. Mit der Räumung verlören sie finanzielle Mittel und »ein öffentliches Forum, das dieser Raum im Flughafen darstellte«. Es habe Mexikaner und Reisende daran erinnert, »dass unsere Sache noch nicht gelöst ist.«

Zwölf Jahre dauert der Konflikt nun schon. Die ehemals staatliche Fluglinie Mexicana war 2005 für einen Bruchteil ihres Wertes privatisiert worden – einschließlich der mit 130 Millionen US-Dollar gut gefüllten Pensionskasse. Fünf Jahre nach der Übernahme durch Gastón Azcárraga und den von ihm kontrollierten Konzern Grupo Posadas hatte die älteste Airline Lateinamerikas einen Schuldenberg von mehr als 800 Millionen US-Dollar angehäuft. Mexicana beantragte Konkurs und stellte Ende August 2010 schließlich den Flugbetrieb ein. Seitdem warten rund 8000 frühere Mitarbeiter auf die Auszahlung ihrer Abfindungen und Pensionen. Mit Märschen, Kundgebungen, Straßenblockaden und Sitzstreiks vor Regierungsstellen haben sie in der Vergangenheit immer wieder auf ihre Lage aufmerksam gemacht.

»Eines der Versprechen von Präsident López Obrador war es, uns eine Lösung zu geben und keine Gewaltanwendung zu unserem Nachteil zuzulassen«, sagt Guerrero. »Der Präsident hat sich im Wahlkampf öffentlich verpflichtet, uns zu helfen und unser Problem zu lösen. Er hat uns sogar zweimal in unserer Cafeteria besucht.« Aus diesem Grund fühlten sie sich »extrem im Stich gelassen«, sagt Guerrero und beklagt »null Sensibilität vonseiten der Regierung«. Was immer man tun könne, würden sie auch weiterhin tun, verspricht er.

Auch López Ramírez ist von den nicht eingehaltenen Zusagen enttäuscht. Die Cafeteria »war eine Möglichkeit für uns, angesichts der Ungerechtigkeit zu überleben«, sagt sie. »Zwölf Jahre sind vergangen und keine Regierung hat uns Gerechtigkeit widerfahren lassen. Eines der Versprechen von Präsident López Obrador war es, den Beschäftigten von Mexicana und der Fluggesellschaft zu helfen. Das war nicht der Fall, und leider müssen wir jetzt feststellen, dass er nichts tun wird.«

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -