Ein positiver Handabdruck

Von Zero Waste bis Reparatur: Berliner Initiativen wollen einen anderen Umgang mit Rohstoffen

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Textilwerkstatt im Haus der Materialisierung: Anstatt immer neue Kleidung zu kaufen, kann man die alte hier reparieren oder umnähen.
Die Textilwerkstatt im Haus der Materialisierung: Anstatt immer neue Kleidung zu kaufen, kann man die alte hier reparieren oder umnähen.

In der Fahrradwerkstatt im Haus der Materialisierung wird noch fleißig gewerkelt, bei der angrenzenden »Material-Mafia« werden am Abend noch die jüngsten geretteten Reststoffe in Regale einsortiert, in einigen anderen Werkstätten, die bis zum Umbau des Hauses der Statistik am Alexanderplatz in dem kleineren Gebäude an der Berolinastraße beheimatet sind, gehen langsam die Lichter aus. In einem Raum des Projekts Mitkunstzentrale versammelt sich eine zehnköpfige Gruppe an einem riesigen Holztisch. Das Haus der Materialisierung ist der perfekte Ort für den hier geplanten Workshop zum Thema Rohstoffwende, da es exemplarisch für einen bewussteren Umgang mit Materialien steht: reparieren statt wegschmeißen, ausleihen statt neu kaufen.

»Unter Rohstoffwende verstehen wir einen grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kurswechsel«, sagt Julius Neu vom Netzwerk Inkota, der die Veranstaltung organisiert hat. Inkota beschäftigt sich vor allem mit metallischen Rohstoffen, ohne die unser Alltag heutzutage kaum vorstellbar wäre. In Handys und anderen elektronischen Geräten, in Autos, Fahrrädern und Bussen – überall sind Metalle verarbeitet. Deutschland ist aufgrund seiner Autoindustrie und des Bausektors der fünftgrößte Metallverbraucher weltweit.

Das Problem dabei: 99 Prozent der durch Bergbau gewonnenen Metalle kommen aus dem Ausland, vor allem aus Ländern des globalen Südens. »Der Bergbau ist einer der tödlichsten Sektoren weltweit. Es gibt dort Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen. Indigene Gemeinschaften werden vertrieben und Widerstände niedergeschlagen«, erklärt Neu den Teilnehmer*innen. Das hänge unter anderem mit fortwirkenden kolonialen Strukturen zusammen.

Außerdem sei der Metallabbau ein massiver Umwelteingriff, da die Metalle in der Erdkruste mit anderen Stoffen verbunden seien. Allein für einen Goldring würden 20 Tonnen Gestein bewegt, sehr viel Wasser werde verbraucht oder verunreinigt, erklärt Neu. Das fehle dann wiederum an anderer Stelle, zum Beispiel in der Landwirtschaft. Die Weiterverarbeitung der Metalle sei für etwa zehn Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Insofern sei der Umstieg auf Elektroautos, in deren Akkus Lithium verbaut ist, keine richtige Verkehrswende. »Da kommen zwar keine CO2-Emmissionen mehr aus dem Auspuff, aber sie werden ausgelagert auf Kosten anderer«, problematisiert Neu.

Inkota will stattdessen den allgemeinen Metallverbrauch senken, unter anderem durch eine Mobilitätswende weg vom Auto. Bestehende Materialien sollen nachhaltiger genutzt werden. Zum Beispiel werde ein Drittel aller Waschmaschinen in Deutschland auch dann durch neue ersetzt, wenn sie noch voll funktionsfähig seien. Zudem sollten Menschen- und Umweltrechte in den Abbauländern von Metall eingehalten werden. Das Lieferkettengesetz sei in dieser Hinsicht noch viel zu schwach.

Aber auch die Verbraucher*innen in Berlin könnten zu einer Rohstoffwende beitragen, »indem wir kollektiv wirksam werden«, wie Maren Sommer vom Berliner Verein Zero Waste sagt. Bildungs- und Aufklärungsarbeit will die 2018 gegründete Organisation leisten. Dabei gehe es nicht vorwiegend um das persönliche Konsumverhalten, den sogenannten ökologischen Fußabdruck, sondern darum, politisch aktiv zu werden – »positiver Handabdruck«, sagt Sommer. »Nicht jeder kann es sich leisten, im Unverpackt-Laden einzukaufen. Deshalb brauchen wir den Aldi, der verpackungsarmes Einkaufen ermöglicht«, erklärt Sommer.

Für Berlin fordert der Verein eine Zero-Waste-Agentur, die verschiedene Einrichtungen zur Müllvermeidung wie Repair-Cafés und Second-Hand-Läden organisatorisch unter einem Dach bündelt. Ab 2023 müssen zumindest größere Gastronomiebetriebe für Essen zum Mitnehmen Mehrwegverpackungen anbieten. Doch dafür fehle zum Teil noch die Akzeptanz der Verbraucher*innen. Es müsse nach den sogenannten fünf Rs gehandelt werden: refuse (Müll vermeiden), reduce (Konsum reduzieren), re-use (wiederverwerten und reparieren), recycle (kompostieren zum Beispiel), und rethink, »da wir auch eine Veränderung im Denken brauchen«, findet Sommer.

Wie ein Re-Use-Ansatz in der Praxis aussehen könnte, erklärt Sebastian Daus, der sein 2020 gegründetes Start-up Fix First vorstellt. Dabei handelt es sich um eine digitale Plattform, die Verbraucher*innen mit kaputten Geräten mit Serviceunternehmen vernetzt, die Wasch- oder Spülmaschinen reparieren können. »Die meisten Produkte, die jetzt auf den Markt kommen, sind noch zehn Jahre in der Welt. Es macht brutal Sinn, sie so lange wie möglich zu verwenden und gleichzeitig lokale Unternehmen mitzunehmen«, wirbt er mit Verve für die Idee.

Und für das »Recht auf Reparatur«, wie Daus sagt. Nicht jeder Hersteller gebe das Wissen zur Reparatur der eigenen Geräte weiter. Fix First will Unternehmen dabei unterstützen, ihren Service möglichst niedrigschwellig an die Verbraucher*innen zu bringen. »Krisen können auch eine Chance für Reparatur sein, weil die Leute weniger Geld für den Neukauf haben«, hofft Daus.

Das bestätigt Corinna Vosse vom Projekt Kunst-Stoffe, dessen Lager sich ebenfalls im Haus der Materialisierung befindet. Durch diese führt sie die Workshop-Gruppe im Anschluss an die Vorträge. Das Projekt verkauft aus der Industrie gerettete Reststoffe weiter. »Manchmal sind die Sachen schon etwas oll«, sagt sie und deutet auf Baulöcher und Klebebandreste an einigen Holzlatten. Manche Menschen schrecke das ab, aber seit einem halben Jahr, also seit die Energiekrise spürbar sei, steige die Nachfrage. »Der Treiber für jede gesellschaftliche Entwicklung ist Geld«, sagt Vosse. Voraussetzung für die lokale Rohstoffwende sei aber eine Infrastruktur, die es möglich mache, Dinge zu reparieren, auszuleihen und den eigenen Konsum zu überdenken.

Mit Fahrrad-, Textil-, Holzwerkstatt, Second-Hand-Projekten wie Material-Mafia und Kunst-Stoffe und dem Leihladen »Cosum« schafft das Haus der Materialisierung genau diese Infrastruktur. Die Workshop-Teilnehmer*innen zeigen sich beeindruckt. »Normalerweise schaue ich auf Ebay oder im Baumarkt, wenn ich etwas brauche«, sagt Lea. Zukünftig werde sie hier vielleicht öfter vorbeischauen. »Das Bewusstsein für solche Orte ist gar nicht da«, glaubt auch Mathilda Kratz, die ein Freiwilliges Soziales Jahr bei Inkota macht. Sie habe selbst eine kaputte Hose zu Hause. Das Haus habe bei ihr nun »Inspiration dafür geschaffen«.

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