Eine Kopf-hoch-Botschaft für Sachsen

Studie belegt starken Rückgang von Ressentiments / Sorge vor wachsender Ungerechtigkeit

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn bei einer Umfrage 40 Prozent der Teilnehmer die Überzeugung äußern, Deutschland sei »in gefährlichem Maße überfremdet«, dürfte das verbreitet für Kopfschütteln sorgen. Der aktuelle »Sachsen-Monitor« kommt nach der Befragung von rund 2000 Bürgern im Freistaat zu diesem Ergebnis. Allerdings lag der Wert bei der vorangegangenen Umfrage im Jahr 2018 noch deutlich höher: 56 Prozent und damit mehr als jeder Zweite sah eine Gefahr durch zu starke Zuwanderung.

Ins Positive gewendet, lautet die Botschaft der vierten derartigen Umfrage seit 2016 also: Die Ressentiments in Sachsen gehen zurück, und zwar in einem Maße, wie »wir das nicht erwartet hätten«, sagte Constanze Geiert, Rechtswissenschaftlerin und Vorsitzende des Monitor-Beirats. Gestützt wird die Beobachtung durch weitere Zahlen. Dass Homosexualität »unnatürlich« sei, sagt zwar nahezu jeder Vierte; der Wert sank aber um neun Punkte. Dass Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden soll, meinen 29 Prozent, ein Minus von zwölf Punkten. Probleme mit Sinti und Roma im eigenen Wohnumfeld hätte jeder Dritte, 2018 war es noch jeder Zweite. Kaum Veränderungen gab es hingegen bei Vorurteilen gegen Juden. Die auch bei vielen Verschwörungstheorien mitschwingende These, dass Juden zu viel Macht in der Welt hätten, bejahten 16 Prozent der Befragten.

Gründe dafür, dass die Zahlen in einigen Bereichen so gravierend sanken, könnten darin liegen, dass viele Menschen nach der starken Zuwanderung ab 2015 gemerkt hätten, »dass sich für sie gar nicht so viel ändert«, sagte Geiert auf nd-Nachfrage. Zudem seien in der Corona-Pandemie vermutlich »andere politische Themen wichtiger geworden«. Die Wissenschaftlerin räumte aber ein, dass eine derart deutliche Veränderung von Einstellungsmustern in eher kurzer Zeit teilweise auch »Rätsel« aufgebe.

Die Befunde der Befragung von 2018 hatten in der Bundesrepublik und darüber hinaus für viel Aufsehen gesorgt und ein verbreitetes »Sachsen-Bashing« weiter befeuert, sagt Reinhard Schlinkert, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts dimap, das die Umfrage im Auftrag der sächsischen Staatsregierung durchführt. Die aktuellen Zahlen, die sich vielfach nicht mehr von denen bei bundesweiten Erhebungen unterschieden, könnten geeignet sein, das Bild zu korrigieren. Zwar könne »keine Entwarnung« gegeben werden, wie es im Kommentar des Beirats heißt: Noch immer blieben viele Werte hoch und stellten »Anknüpfungspunkte für rechte Mobilisierungsstrategien« dar. Gleichzeitig werde aber auch deutlich, dass in Sachsen bei Weitem nicht nur »Fremdenfeinde« leben – was auch für viele Bürger im Freistaat eine gute Botschaft sei, sagte Geiert: »Sie sehen: Gerade wenn sie keinen Ressentiments anhängen, gehören sie zur Mehrheit und können mit erhobenem Kopf herumlaufen.«

Die Interviews für die aktuelle Umfrage wurden zu Jahresbeginn durchgeführt und damit zum größten Teil vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine. »Einige Fragen würden vielleicht jetzt anders beantwortet werden«, sagte Staatskanzleichef Oliver Schenk (CDU). Das trifft etwa auf die nach den Lebenshaltungskosten zu, mit denen schon damals 50 Prozent unzufrieden waren, sieben Punkte mehr als 2018. Wie sich die Werte seither entwickelt haben, kann nur gemutmaßt werden. Der nächste Sachsen-Monitor ist turnusgemäß erst für Ende 2023 geplant.

In der aktuellen Umfrage fällt auf, dass viele Sachsen die Gesellschaft als zunehmend ungerecht empfinden und eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich fürchten. Das Gefühl, dass es im Land ungerecht zugeht, äußerten 57 Prozent, neun Punkte mehr als bei der ersten Umfrage 2016. Von den befragten Frauen äußern sogar zwei Drittel die Ansicht. Der Beirat weist darauf hin, dass die Werte bei Alleinerziehenden besonders hoch sind. Eine erstmals durchgeführte Differenzierung der Daten nach Regionen zeigt, dass das Gefühl von Ungerechtigkeit in Chemnitz und dem Erzgebirge deutlich ausgeprägter ist als etwa in und um Leipzig.

Bemerkenswert ist auch, dass die Mehrheit der Menschen, die sich als Arbeiter oder Angehörige der unteren Mittelschicht verstehen, ihrer Überzeugung nach nicht ihren »gerechten Teil« in der Gesellschaft abbekommen. Als Gründe wurden niedrige Löhne, geringe Renten und die mangelnde Würdigung jahrelanger Arbeit genannt. Mehr als die Hälfte stimmt der These zu, Ostdeutsche seien »Bürger zweiter Klasse«. Mit 42 Prozent ist der Wert selbst bei den 18- bis 29-Jährigen hoch.

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