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Sinnlose Flammen

Weltweit wird massiv Gas ohne wirtschaftlichen Nutzen abgefackelt und die Umwelt erheblich verschmutzt

  • Christoph Müller
  • Lesedauer: 4 Min.

Russland fackelt in der Nähe der Kompressorstation der Ostseepipeline Nord Stream 1 derzeit große Mengen Gas ab. Die norwegische Beratungsfirma Rystad Energy schätzt, dass dort täglich 4,34 Millionen Kubikmeter Gas verbrennen. Dieses ließe sich beim aktuellen Gaspreis für 13 Millionen Euro verkaufen. Manche vermuten, mit dem Abfackeln wolle Russland eine Botschaft an Europa senden. Eine andere Beratungsfirma, Flare Intel aus Großbritannien, sieht allerdings einen anderen Grund dafür, dass Russland dort sein Geld verbrennt: Die Flamme lodert in Portowaja rund fünf Kilometer von der Nord-Stream-1-Kompressorstation entfernt. An diesem Ort befindet sich ein nahezu fertiges Terminal zur Verflüssigung von Gas.

Dieses Terminal wurde von der deutschen Firma Linde errichtet, die Russland aber mittlerweile verlassen hat. Flare Intel sieht daher zwei mögliche Gründe für die Feuersbrunst: Russland könnte erstens Schwierigkeiten haben, die Anlage ohne die Unterstützung von Linde zu starten, und deswegen Gas abfackeln, das eigentlich verflüssigt werden sollte. Zweitens könnte das Gas zu viel Wasser enthalten, was die Anlage beschädigen könnte, in der das Gas auf minus 162 Grad Celsius heruntergekühlt wird. In diesem Fall könnte Russland die Anlage hochzufahren, sobald das wasserreiche Gas komplett abgefackelt ist. Am 6. September meldete Gazprom schließlich, man habe mit der Verflüssigung begonnen und befülle bereits den ersten Tanker. Doch die Flamme deutet auf ein viel größeres Problem hin: das massenhafte Abfackeln von Gas durch die Öl- und Gasindustrie rund um die Welt.

Die Weltbank schätzt, dass letztes Jahr weltweit 144 Milliarden Kubikmeter Gas abgefackelt wurden. Dadurch wurden 361 Millionen Tonnen CO2 freigesetzt. Das entspricht den Emissionen von Italien. Weil das Gas nicht vollständig verbrennt, wurden beim Abfackeln zusätzlich 39 Millionen Tonnen Methan freigesetzt, ein Klimagas, das auf 100 Jahre gerechnet eine 30-mal stärkere Treibhauswirkung hat als CO2. Und das ist noch nicht alles: Beim Verbrennen von Gas entsteht auch Ruß. Wenn sich dieser auf Eis in der Arktis absetzt, reflektiert das Eis weniger Sonnenlicht und schmilzt eher.

Noch dramatischer werden die Zahlen, wenn man auch das Gas berücksichtigt, das nicht abgefackelt, sondern einfach abgelassen wird. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass letztes Jahr weltweit 125 Milliarden Kubikmeter Gas, also Methan, zusätzlich abgelassen wurden oder wegen Lecks in die Atmosphäre gelangten. Zusammengenommen hat das abgefackelte, abgelassene und auf sonstigen Wegen ausgetretene Gas eine Klimawirkung von 2,7 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalenten und entspricht dem Land mit den fünftgrößten Emissionen nach China, den USA, Indien und der EU.

Dieser ökologische und ökonomische Wahnsinn wäre allerdings nicht nötig. Die IEA schätzt, dass 70 Prozent der Methanemissionen der Öl- und Gasindustrie sowie 90 Prozent der Emissionen beim Abfackeln von Gas verhindert werden könnten. Bei den aktuell hohen Gaspreisen wäre das sogar lukrativ: Gemäß IEA würden dem Markt dadurch 210 Milliarden Kubikmeter Gas zusätzlich zur Verfügung stehen und die Produzenten hätten Zusatzeinnahmen von 90 Milliarden US-Dollar – deutlich mehr als die Kosten zur Vermeidung der Emissionen. Besonders gefragt sind hier die Länder, die für diese Emissionen verantwortlich sind. Beim Abfackeln sind dies Russland, Irak, Iran und die USA, gefolgt von Venezuela, Algerien und Nigeria. Grundsätzlich gibt es auch zwei internationale Initiativen, die sich darum kümmern: Die Null-Routineabfackel-Initiative (ZRF) der Weltbank, die sich an Firmen richtet, und die Globale Methaninitiative, in der Staaten versprechen, ihre Methanemissionen zu senken.

Der Erfolg dieser Initiativen ist bislang allerdings bescheiden: Die Emissionen beim Abfackeln liegen relativ stabil auf dem Niveau von 1990 und die Methanemissionen sind seither sogar um die Hälfte gestiegen, wie Zahlen der IEA zeigen. Dabei weiß man, was getan werden müsste: Diesen Emissionen »kann mit bewährten Strategien und Technologien begegnet werden, darunter Anforderungen an die Lecksuche und -reparatur, Ausrüstungsvorschriften und Verbote des Abfackelns und Ablassens, wenn kein Notfall vorliegt«, schreibt die IEA. Wenn die Flamme von Portowaja dazu beiträgt, dass das Abfackeln und die Methanemissionen der Öl- und Gasindustrie mehr Aufmerksamkeit erhalten, dann hätte sie vielleicht sogar etwas Gutes.

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