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  • Atomwaffendivision Hessen

Mörderisches Weltbild

Mutmaßlicher Rechtsterrorist und CDU-Kandidat vermisst »ein stärkeres familiäres Gefühl« in der Partei

  • Joachim F. Tornau, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.

Diesem Vergleich musste sich die CDU wohl noch nicht allzu oft stellen. Bei der rechtsterroristischen »Atomwaffen Division«, erklärt Marvin E. am vierten Verhandlungstag, habe es »ein stärkeres familiäres Gefühl« gegeben als bei der Union, das habe ihm gefallen. Der 20-Jährige aus dem nordhessischen Spangenberg kandidierte bei der Kommunalwahl im März 2021 für die CDU. Ein halbes Jahr später wurde er unter Terrorverdacht festgenommen. Er soll versucht haben, einen hessischen Ableger der neonazistischen Untergrundarmee zu gründen, soll Bomben gebaut und Anschläge geplant haben. Seit August läuft vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt am Main der Prozess gegen den unscheinbaren jungen Mann. So klein und schmächtig ist er, so kindlich wirkt er noch, dass man ihm die Sache mit der Suche nach dem Familienanschluss spontan abnehmen mag.

Der Staatsschutzsenat befragt den Schreinerauszubildenden bislang behutsam und mit geradezu sozialpädagogischer Geduld. Er antwortet mal treuherzig und naiv, mal mit einer Kälte und Empathielosigkeit, die erschaudern lässt. Wie er die Menschheit in »Rassen« aufteilt? Da weiß er nach wenigen Nachfragen nicht weiter. »Darüber muss ich noch mal nachdenken«, murmelt er. Soll er politisch »rechts« definieren, sagt er: »Auf jeden Fall nicht links.« Und was sei dann »links«? »So DDR-mäßig.« Befragt nach seinen familiären Verhältnissen, erzählt Marvin E., der bis zu seiner Inhaftierung noch bei den Eltern lebte, von »Stress« mit seiner Mutter.

Über die »Atomwaffen Division«, kurz: AWD, eine der militantesten Neonazi-Organisationen weltweit, in den USA entstanden und mit Anhängerinnen in aller Welt, weiß er dann jedoch sehr genau Bescheid. Marvin E. kennt das Manifest »Siege« (deutsch: »Die Belagerung«) ihres Vordenkers James Mason, kennt ihr mörderisches Konzept. Und er fand es gut. »Die Idee ist, den Zerfall der Gesellschaft zu beschleunigen, einen Bürger- und Rassenkrieg zu verursachen, um eine neue rechte Gesellschaft aufzubauen«, referiert der Angeklagte. »Soweit ich weiß, angelehnt an das Dritte Reich.« Den Nationalsozialismus hält er noch immer für eine gute Idee, die nur schlecht umgesetzt worden sei. Über einen öffentlichen Propaganda-Kanal der AWD bei Telegram kam Marvin E. mit der Ideologie in Kontakt, chattete mit einzelnen Mitgliedern. »Das war einfach«, sagt er. Die Beschaffung von Waffen und über Bomben waren Themen im Chat. Doch das, wiegelt er ab, sei alles nur »Theorie« gewesen. Ein Maschinengewehr habe er sich ja eh nicht leisten können. Und eine Waffe aus dem 3D-Drucker, wie es ein Chat-Partner empfahl, sei doch nur »Kinderkram«.

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Laut Anklage sollen mindestens 15 selbstgebastelte Bomben bei Marvin E. gefunden worden sein, mit einer Sprengkraft fast wie militärische Sprengsätze. »Man sollte sich Vorräte anlegen für den Bürgerkrieg irgendwann«, sagt der Angeklagte. Aber nicht, um sie heute schon einzusetzen. Er jedenfalls habe das nicht vorgehabt. Kein Terror, keine Anschlagsplanung also. Vertieft werden soll diese Frage erst, wenn der Prozess Ende September fortgesetzt wird. Auch ob der Spangenberger Gleichgesinnte für eine »Atomwaffen Division Hessen« anwerben wollte, bleibt vorerst offen. Bei Telegram trat Marvin E. aber so auf, als gebe es diese hessische AWD bereits. »Ich wollte mich größer machen, als ich bin«, sagt er. Auch ein bei ihm gefundenes Pamphlet will er nur geschrieben haben, um sich wichtig zu machen. Oder wie er es ausdrückt: um einen Online-Bekannten zu »verarschen«. Unter dem AWD-Logo mit dem Radioaktivitätssymbol und der etwas sonderbaren Überschrift »RanzKacke« reihte er Sätze aneinander. Vom »totalen Rassenkrieg« ist da die Rede, man müsse Migrantinnen und Jüd*innen »aus dem Lebensraum der weißen Rasse jagen« und »dezimieren«.

Ja, räumt Marvin E. zögerlich ein, das habe er damals so gesehen. Heute habe er sich davon distanziert, aber »nicht allzu sehr«. Für Geflüchtete habe er jetzt Verständnis, nur Linke und Homosexuelle »sollen sich ein anderes Land suchen«. Gewalt sei schon okay, sagt Marvin E., nur Massenmord müsse nicht sein. Besonders tief verwurzelt scheint jedoch sein Antisemitismus zu sein. Jüdinnen und Juden müsse man »nicht plattmachen«, erklärt er kühl. »Ich bin immer noch der Meinung: Wenn’s sein muss, dann rauswerfen.« Es sei denn, sie würden ihm »zu sehr auf die Eier gehen«. Ob er denn einen Juden kenne? Marvin E. denkt kurz nach: »Da fällt mir keiner ein«.

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