- Berlin
- Stadtentwicklung
Von Potsdam lernen, heißt siegen lernen
Satirische Jubeldemonstration zur Begrüßung der G7-Bauminister
»Hipp-Hipp-Hurra, alles ist super, alles ist wunderbar«, tönt es am Samstagnachmittag auf dem Potsdamer Lustgarten aus den Lautsprechern. Es ist ein Lied der Ärzte, einer Band, die für die bitterböse Ironie in ihren Texten bekannt ist. Das passt sehr gut zur satirischen Jubeldemonstration, zu der gut 110 Einwohner der Stadt und ein paar angereiste Berliner aufbrechen.
Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hat ihre Amtskollegen aus den G7-Staaten zu einem Treffen eingeladen, das am 13. und 14. September im alten Kaiserbahnhof von Potsdam stattfinden und bei dem es um nachhaltiges Bauen für alle gehen soll.
Der Ort könnte nicht besser gewählt sein, sei Potsdam doch ein Musterbeispiel für eine ressourcensparende Stadtentwicklung, da hier funktionstüchtige Gebäude aus DDR-Tagen abgerissen statt saniert, Bäume gefällt und Flächen versiegelt werden, lobt Holger Zschoge vom örtlichen Bündnis »Stadt für alle«. Er meint das selbstverständlich nicht ernst. »Wir freuen uns total, dass wir heute mal auf der richtigen Seite stehen. Wer in den letzten Jahren falsch lag, das waren wir. Ihr macht alles richtig«, behauptet Zschoge mit Blick auf Politiker, Investoren und Immobilienspekulanten, die Potsdam zunehmend in eine barocke Puppenstube verwandeln und die Mieten dabei derart in die Höhe treiben, dass Wohnen hier inzwischen teurer sei als überall sonst in Ostdeutschland.
»Von Tokio können wir lernen, wie Menschen auch in kleinsten Wohnungen ein zufriedenes Leben führen können«, witzelt Zschoge in gespielter Vorfreude auf die Ankunft des japanischen Bauministers.
Das Bündnis »Stadt für alle« organisierte die Jubeldemonstration, die von der Landtagsabgeordneten Isabelle Vandré angemeldet wurde. Die Linke-Politikerin scheint das Konzept nicht völlig verstanden zu haben, als sie zum Auftakt ganz ernsthaft kritisiert: »Potsdam ist alles andere als ein gutes Beispiel für inklusive und nachhaltige Stadtentwicklung.« Einen Scherz macht sie aber doch, als sie die einzige Auflage für die Demonstration nennt – ein striktes Alkoholverbot – und darum bittet, den Champagner erst hinterher zu entkorken. Auf die Spitze getrieben wird die Satire, als der Demonstrationszug vor dem linksalternativen Jugendzentrum »Freiland« Station macht und gesagt wird: »Wohnraum ist keine Ausrede für hässliches Aussehen.« Die Plattenbauten sollten alle beseitigt werden.
Dann ist aber auch Schluss mit den Scherzen, die bei einigen Passanten anfänglich verständnisloses Staunen auslösen. Das Fronttransparent wird ausgetauscht, und es werden plötzlich ganz ernsthafte Reden gehalten und ganz andere Parolen gerufen, etwa: »Mietenstopp, Mietenstopp« und »Miete verweigern, die Kündigung ins Klo, Häuser besetzen sowieso«. Wie das jetzt? Beim Bündnis »Stadt für alle« hat man im Vorfeld diskutiert, ob den G7-Ministern ausschließlich mit den Mitteln der Satire beizukommen sei, so wie 2007 bei einem Potsdamer Treffen der G8-Umweltminister schon einmal erprobt. Das Vertrauen in den Ulk hält sich bei einigen in Grenzen, und so verwandelt sich die spaßige Jubeldemonstration auf dem zweiten Abschnitt der Strecke in eine ernst gemeinte Wutdemonstration, die bis vor die Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB) führt. Hier ist die Landtagsabgeordnete Vandré mit einer ironiefreien Rede dann auf Linie, als sie bemängelt, die ILB fördere noch immer eher Abriss und Neubau als behutsame Sanierung.
Für Stimmung sorgt eine vierköpfige Cheerleader-Tanzgruppe der Berliner Inititiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen«. Die drei Frauen und ein Mann laufen bis zum Schluss mit, andere Teilnehmer setzen sich schon früher ab, wodurch der Demonstrationszug auf 60 Personen schmilzt. Es ließe sich aber auch eine erheblich höhere Zahl angeben, wenn man die unnötig zahlreiche Begleitung durch Polizisten mitrechnet. Denn es bleibt, wie es bei diesem kreativen Protest nicht anders zu erwarten war, fröhlich und friedlich – selbst dann, als augenzwinkernd von Jubel auf Wut gewechselt wird.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.