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Kartoffelsuppe statt Sprüche klopfen
Volksküchen-Aktion der Bernauer Linken wird jetzt auf den Kreis Barnim ausgeweitet
Manche Anwohner fanden einen Zettel mit dem Terminhinweis in ihrem Briefkasten. Andere kommen zufällig des Wegs. Alle sind am Samstag an der Bernauer Sonnenallee auf einen Teller Kartoffelsuppe mit Würstchen eingeladen. Dazu gibt es Brot und Mineralwasser. Vor drei Monaten im Wahlkampf von Bürgermeister André Stahl (Linke) waren er und seine Genossen schon einmal an der Sonnenallee, hatten die Kartoffelsuppe damals aus einer Feldküche ausgegeben. Doch die Anmietung der Gulaschkanone kostete 250 Euro und damit mehr als das Essen. Darum probieren es die Sozialisten diesmal ohne. Drei Kessel voll Suppe bringt Linksfraktionschef Dominik Rabe heute im Kofferraum seines Autos. Ihm ist versichert worden, dass das Essen für drei Stunden auch ohne Feldküche warm bleibt – und diese Angabe stellt sich als richtig heraus.
Warme Mahlzeit im heißen Herbst
Stand die erste Aktion noch im Zeichen des Wahlkampfes, läuft es diesmal unter der Überschrift »heißer Herbst«, bestätigt Rabe. Die Situation der Menschen habe sich nicht verbessert. »Im Gegenteil: Immer schneller dreht sich die Preisspirale bei lebenswichtigen Gütern. Egal, ob man über Strom, Gas oder Lebensmittel spricht«, heißt es in der Einladung. »Anstatt konkreter Hilfe gibt es Duschtipps und Einmalzahlungen, die – wenn überhaupt – nur eine kurzfristige Entlastung bringen.« Im Wissen, was eine warme Mahlzeit eine Familie inzwischen kosten könne, wolle die Linke ein Mittagessen ausgeben. Gespeist wird an Tischen und Sitzbänken, die Peter Rösler mit einem Anhänger angekarrt hat. Diesen Anhänger der DDR-Marke Campingtourist, Baujahr 1974, hat er von seinem Großvater. Vielleicht lasse sich daran basteln, um ihn künftig immer wieder für die Volksküche zu verwenden und noch zu verbessern, schlägt er vor. Für den Moment muss ein Brett genügen, um die drei Kessel abzustellen.
Die Aktion soll alle drei Monate wiederholt werden, also auch im Dezember stattfinden. Dann vielleicht passend zum Weihnachtsfest mit Glühwein, aber auf jeden Fall mit heißen Getränken. »Kaffee oder Tee werden wir dabei haben«, kündigt Rabe an.
Die Linke will immer zwei Mal an dieselbe Stelle kommen und dann wechseln. Als nächste Adresse in Bernau ist das Puschkinviertel ins Auge gefasst. Aber kürzlich wurde Dominik Rabe zum neuen Linke-Kreisvorsitzenden im Barnim gewählt und sein Mitstreiter Felix Köhler sitzt nun auch im Kreisvorstand. Jetzt denken sie in einem größeren Maßstab und es ist bereits beschlossen, die Aktion auf den gesamten Landkreis auszudehnen.
Hilfe tut überall not. Alle paar Wochen eine warme Mahlzeit reicht nicht aus. Es soll wieder Sozialberatung in den Geschäftsstellen der Partei geben wie einst bei der Einführung von Hartz IV, als viele Betroffene Schwierigkeiten beim Ausfüllen der umfangreichen Fragebögen hatten und sich hilfesuchend an die damalige PDS wandten.
Eine Gasrechung von 560 Euro
Dominik Rabe hatte neulich schon eine Mutter in der Bernauer Geschäftsstelle, die ganz verzweifelt war, weil sie statt bisher 140 Euro nun 560 Euro im Monat für den Gasverbrauch ihres Eigenheims bezahlen soll und nicht weiß, wo sie die hernehmen soll. Die Frau bat um Rat. Wo, wie und unter welchen Voraussetzungen Bürger Wohngeld oder andere Zuschüsse beantragen können, möchte die Barnimer Linke Ratsuchenden erklären. Mit der Landesvorsitzenden Katharina Slanina, die von Beruf Rechtsanwältin ist, gibt es im Kreisverband eine Expertin.
Dominik Rabe weiß, dass sich auch die Mittelschicht wegen der Preisexplosion Sorgen machen muss. Der 29-Jährige unterrichtet am Gymnasium Geschichte und LER (Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde). »Als Lehrer verdiene ich nicht schlecht«, verrät er unumwunden. Aber eine Gasrechnung von 560 Euro würde ihn empfindlich treffen.
Sozialberatung und Sozialprotest
Neben Volksküche und Sozialberatung will die hiesige Linke auch Proteste organisieren, möglichst mit Sozialverbänden gemeinsam. Es laufen dazu schon Gespräche beispielsweise mit der Volkssolidarität und der Arbeiterwohlfahrt, berichtet Rabe. Am 11. Oktober soll auf einer offenen Kreisvorstandssitzung Näheres beraten werden.
Bei der Auswahl des Wochentags für den Protest würde sich Rabe auch danach richten, wie es den potenziellen Bündnispartnern passt. Ob es also auch ein Montag sein könnte, über den in der Partei an anderen Orten gestritten wird? »Mit solchen Fragen beschäftigen wir uns gar nicht«, winkt Rabe ab. »Vielleicht fangen wir endlich mal an, uns mit den Dingen zu beschäftigen, für die es uns als Partei gibt«, schlägt er vor. »Deswegen geben wir hier die Suppe aus. Damit wollen wir uns befassen und nicht mit Sachen, für die es Parteitagsbeschlüsse gibt. Die Beschlüsse sagen zum Beispiel: Wir sind die Friedenspartei, keine Waffenlieferungen!«
Das heißt nicht, dass dies in Bernau völlig unumstritten wäre. So fragt der Stadtverordnete Matthias Holz (Linke): »Die Ukraine darf sich nicht verteidigen?« Dabei fand er die heiß diskutierte Rede von Sahra Wagenknecht im Bundestag gar nicht verkehrt. Sie habe ja gesagt, dass es ein verbrecherischer Angriffskrieg Russlands sei, erinnert er. Einig ist er sich mit Rabe und anderen, dass die Kosten des Krieges und der Sanktionen in der Bundesrepublik nicht auf die einfache Bevölkerung abgewälzt werden dürften. Holz sprach bei der Volksküche mit einer älteren Anwohnerin, die nun 40 Euro mehr im Monat für ihre Wohnung bezahlen muss und für die schon diese Summe zu viel ist. Dabei werden die Kosten sehr wahrscheinlich noch rapide steigen.
In solchen Momente weiß Holz wieder ganz genau, warum er in der Linkspartei ist. Der 36-Jährige stammt aus Baden-Württemberg und machte einst in Reutlingen eine Ausbildung zum Fachangestellten für Arbeitsförderung beim Arbeitsamt, als die damalige rot-grüne Bundesregierung Hartz IV einführte. Er erlebte, wie Langzeitarbeitslose ihre Eigentumswohnungen verkaufen und ihre Lebensversicherungen auflösen und die erzielten Summen erst einmal aufbrauchen sollten, bevor sie Stütze erhalten. Damals waren die Regeln zunächst so streng und kaltherzig. Mit echter sozialdemokratischer Politik hatte das für Holz nichts zu tun. Dabei wollte er nicht mitmachen und kündigte nach seiner Ausbildung. Während er davon erzählt, gibt er Kartoffelsuppe aus. Hier fühlt er sich an der richtigen Stelle. Das gibt ihm Kraft.
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