Kinder stehen hinten an

Aus Sicht von Kinderrechtsorganisationen muss in Deutschland viel mehr für Minderjährige getan werden

Es sieht düster aus mit den Kinderrechten in Deutschland. Statt Verbesserungen, etwa bei der Bekämpfung von Kinderarmut und bei dem Schutz vor Gewalt, gab es in den letzten Jahren Verschlechterungen. »Die Corona-Pandemie und die nun aufkommende Energiekrise zeigen: Kinder haben keine Priorität. Und ganz besonders arme Kinder werden politisch kaum gesehen«, stellt Daniel Grein, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderschutzbundes, anlässlich des Weltkindertages gegenüber »nd« fest. »Zuletzt wurden Kinder, für die Sozialgeld gezahlt wird, im Entlastungspaket der Bundesregierung nicht berücksichtigt. Dabei steigen auch für sie die Preise für Lebensmittel und warme Wintersachen«, erklärt Grein weiter.

Dabei waren Kinder in Deutschland schon vor den aktuellen Preissteigerungen überdurchschnittlich oft von Armut betroffen. Mehr als jedes fünfte Kind, rund 2,8 Millionen Minderjährige, leben in Armut. Darüber hinaus ist jeder dritte Hartz-IV-Bezieher ein Kind, obwohl der Anteil der Unter-18-Jährigen an der Gesamtbevölkerung in Deutschland nur bei 16 Prozent liegt. Kinderrechte spielen in Deutschland nicht nur aktuell, sondern immer schon eine sehr untergeordnete Rolle.

Erst vor zwei Wochen fand eine Anhörung der Bundesregierung vor dem UN-Kinderechteausschuss statt. Damit erfüllt die Bundesrepublik einen Teil ihrer fünfjährigen Berichtspflicht darüber, wie die UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland umgesetzt wird. Dabei geht es nicht nur um Armut und Teilhabechancen, sondern auch Schutz vor Gewalt, auch Bildung, die Lage geflüchteter Kinder und Beteiligungsmöglichkeiten spielen eine Rolle. »Erfahrungen von Ausgrenzung und Marginalisierung, Bildungsbenachteiligung und Armut gehören nach wie vor zur Lebenswirklichkeit viel zu vieler Kinder«, beurteilte Bianka Pergande, Sprecherin von der National Coalition Deutschland, die Lage im Vorfeld der Anhörung. Im Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention sind über 100 Organisationen vertreten.

»Fast 30 Jahre nach Inkrafttreten der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland müssen sich politische Entscheidungsträger auf allen Ebenen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen in unserem Land noch stärker für die Verwirklichung der Kinderrechte engagieren«, sagt Christian Schneider, Geschäftsführer von Unicef Deutschland. »Dazu gehört auch, dass die Kinderrechte endlich explizit im Grundgesetz verankert werden.«

Das Deutsche Kinderhilfswerk kritisierte, dass Deutschland bei der Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz »in den letzten 30 Jahren seit Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention noch keinen Schritt weitergekommen« sei. Unicef Deutschland machte deutlich, dass die junge Generation eine »viel stärkere Rückendeckung von der Politik« bräuchte. »Gerade in schwierigen Zeiten zeigt sich, wie kinderfreundlich Deutschland wirklich ist: Die langen Schul- und Kita-Schließungen während der Corona-Pandemie führten eindringlich vor Augen, dass die Interessen von Kindern und Jugendlichen häufig zurückgestellt werden«, sagte Sebastian Sedlmayr von Unicef Deutschland, der am UN-Kinderrechtsausschuss als Beobachter teilnahm.

Doch nach Einschätzung von Unicef gab es seit der letzten Anhörung vor acht Jahren auch eine Reihe von politischen Maßnahmen, um den Kinderrechten mehr Nachdruck zu verleihen. Etwa eine 2015 von der Bundesregierung eingesetzte Monitoringstelle für Kinderrechte am Deutschen Institut für Menschenrechte, die die Umsetzung beobachtet und Empfehlungen gibt. Diese müsse jedoch weiter ausgebaut werden. Es brauche zudem eine systematische Beteiligung von Minderjährigen in politischen Entscheidungsverfahren und eine wirkungsvolle Bekämpfung der Kinderarmut. »In der Corona-Pandemie und jetzt unter den wirtschaftlichen Problemen haben die Kinder besonders zu leiden, die bereits vorher benachteiligt waren. Sie müssen jetzt besonders gestärkt werden«, so Sedlmayr. Der UN-Kinderrechtsausschuss wird voraussichtlich Ende September Empfehlungen für die Umsetzung der Kinderrechte durch die deutsche Politik abgeben.

Begünstigt durch die zeitweisen Schul- und Kitaschließungen wurden auch Vernachlässigung und Gewalt weniger bemerkt. Mehr Minderjährige sind psychisch erkrankt, entsprechende Hilfsangebote gibt es jedoch viel zu wenige. »Wir haben in Deutschland ein echtes Haltungsproblem gegenüber Kindern. Sie werden nach wie vor nicht als eigenständige Persönlichkeiten und Träger von Grundrechten gesehen und behandelt«, erklärt Grein vom Kinderschutzbund gegenüber »nd«. »Die Folge ist, dass nach wie vor jede Woche in Deutschland drei Kinder auf Grund von Vernachlässigung oder Gewalt sterben.« Körperlicher und sexualisierter Gewalt gehe fast immer psychische Gewalt voraus. »Und in emotionaler Gewalt drückt sich aus, welches Bild vom Kind wir Erwachsenen eigentlich haben.« In Bezug auf den Kampf gegen Kinderarmut wird seiner Meinung nach die von der Ampel-Koalition geplante Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz einen Beitrag leisten. Zudem brauche es »eine armutsfeste und unbürokratisch ausgezahlte Kindergrundsicherung.«

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.