"Ich mache ja auch nichts Illegales"

Die Aktivistin Sam Olazabal setzt sich in Kuba für menstruelle Gesundheit und Transrechte ein

  • Andreas Knobloch
  • Lesedauer: 6 Min.
Gemeinsam mit der Organisation "uVe" verteilt Aktivistin Sam Olazabal Menstruationstassen in Kuba.
Gemeinsam mit der Organisation "uVe" verteilt Aktivistin Sam Olazabal Menstruationstassen in Kuba.

Wie war es, als Du zum ersten Mal eine Menstruationstasse in der Hand gehalten hast?

Als ich das erste Mal eine Menstruationstasse benutzt habe, die mir ein Freund aus Kalifornien mitgebracht hatte, war das ein seltsames Gefühl. Man hat immer etwas Angst und sagt sich: Die ist zu groß, die passt nicht, wie bekommt man sie wieder heraus… Beim ersten Mal rief ich eine Freundin an und sagte: »Komm her, ich weiß nicht, wie man sie herausnimmt. Hilf mir, sie bleibt dort drin, um dort zu leben.« Das war ein Drama! Besagte Freundin war die einzige Person, die ich fragen konnte. Seitdem ist mir bewusst, dass es Menschen gibt, die Unterstützung brauchen.

Du hast dann beschlossen, anderen Frauen zu helfen…

Mir war klar, dass ich nicht die Einzige war, die in Kuba Probleme mit diesen Dingen hatte. Immerhin hatte ich die Möglichkeit, Monatsbinden in einem Geschäft zu kaufen; nicht jede Frau hat diese Möglichkeit – allein aus ökonomischen Gründen. Mit der libreta (monatliches Rationierungsheftchen, Anm. d. Red.) bekommt man zwar Binden, aber die sind nicht von guter Qualität und sie reichen auch nicht aus. Ich glaube, es ist ein Paket mit fünf oder sechs Stück pro Monat. Es ist also ziemlich kompliziert. Mein Freund aus Kalifornien erzählte mir von Nichtregierungsorganisationen in den USA, die zu menstrueller Gesundheit arbeiten. Ich sagte: »Na ja, versuchen wir es mal.« Wir haben dann eine Crowdfunding-Kampagne gestartet und ein Video gedreht, in dem ich die Situation erkläre. Das Problem ist nämlich nicht nur, dass Menstruationstassen in Kuba unbekannt sind. Selbst wenn man das Geld hat, gibt es sie in keinen Geschäften zu kaufen.

Wie ging es dann weiter?

Das Crowdfunding wurde nach nur fünf Tagen wieder eingestellt, weil die Kampagne aus Kuba stammte und die Betreiber der Seite einen Verstoß gegen das US-Embargo witterten. Aber schon nach drei Tagen hatte eine NGO aus den USA meinem Freund geantwortet und bereits eine Woche später kam ein Karton mit 150 Menstruationstassen an. Das war die erste Spende, die wir im Januar 2020 verteilt haben.

Und wie kam es zur Gründung der Organisation »uVe«?

Als wir die ersten Tassen erhielten, war klar, dass ich das irgendwie organisieren muss. Ich sprach also mit einigen Freundinnen von der Kunstuni, die eine feministische Gruppe namens «La Manada« hatten. Wir haben das Projekt »uVe« gegründet, benannt nach der Lautschrift des Buchstaben V im Spanischen – es steht für Vulva, Vagina, Venus. Bei der ersten Spendenaktion hielten wir einen Vortrag. Ich dachte, dass nur wenige Leute kommen würden. Aber der Raum war voll mit Männern, Frauen und sogar Leuten, die von ihren Partnern oder Verwandten geschickt wurden, weil sie selber an dem Tag nicht kommen konnten. Es war sehr schön. Und da haben wir dann beschlossen, dass wir das öfter machen können.

Gibt es Probleme? NGOs sind in Kuba ja nicht unbedingt gerne gesehen…

Das ist richtig. Aber bisher hat sich niemand mit mir angelegt, ich werde in Ruhe gelassen – und ich ziehe es vor, dass es so bleibt. Ich mache ja auch nichts Illegales, sondern halte Aufklärungsvorträge und verschenke Menstruationstassen. Ich habe von vielen Leuten Unterstützung erhalten; fast immer sind es ausländische Freunde, die Menstruationstassen mitbringen. Vielleicht gab es bislang auch deshalb wenige Probleme – mit Ausländern legen sich die Behörden nicht so schnell an.

Neben menstrueller Gesundheit beschäftigst Du Dich auch mit Themen wie geschlechtsspezifischer Gewalt und Transrechten.

Seit Beginn der Corona-Pandemie herrscht in Kuba ein Mangel an Medikamenten. Daher habe ich gemeinsam mit anderen ein Netzwerk gegründet, um sowohl auf Landesebene als auch international um Spenden zu werben. In verschiedenen Ländern der Welt haben Menschen Medikamente gesammelt, die Freunde anschließend in Koffern mitgebracht haben. Wir haben sie dann hier im ganzen Land verteilt. Und wenn es in Kuba schon an Standard-Medikamenten fehlt, ist die Situation für Transmenschen nochmal schwieriger. Wir hatten den Eindruck, dass wir eine große Menge an Medikamenten für Transpersonen gesammelt hätten, mussten dann aber feststellen, dass die gerade einmal für die dreimonatige Behandlung einer einzigen Person ausreichten. Das war heftig. Damals wurde mir klar, wie dringend diese Medikamente benötigt werden.

Du arbeitest zudem an einem Dokumentarfilm zum Thema Gewalt gegen Frauen.

Ja, das ist ein Dokumentarfilm, den ich machen möchte. Ich will mich beim Thema der geschlechtsspezifischen Gewalt in Kuba vor allem mit der kubanischen Gesetzgebung befassen, um zu zeigen, inwieweit diese wirklich auf Geschlechterfragen ausgerichtet ist. Das scheint mir ein sehr wichtiges Thema zu sein. Denn wenn wir einen Dokumentarfilm machen, wenn wir Aktivismus betreiben, dann um wirklich etwas zu verändern.

Nachdem wir viel über Probleme gesprochen haben: In vielen Aspekten ist Kuba auch ein Vorbild. So sind etwa Abtreibungen legal und auch Geschlechtsumwandlungen werden vom Staat übernommen.

Ich bin keine Transperson, ich habe nicht die persönliche Erfahrung, zu erzählen, wie deren Realität aussieht. Auf gesetzgeberischer Ebene gibt es den Entwurf zum neuen Familiengesetz. Wenn alles gut geht, wird die gleichgeschlechtliche Ehe bald legal sein, was ein Gewinn für die LGBTIQ+-Bewegung in Kuba wäre. Erreicht wurde dies dank der Arbeit vieler Aktivisten und Aktivistinnen. Aber der Entwurf hat immer noch Schwächen: So werden Transgenderpersonen etwa im Zusammenhang mit Familie nicht einmal erwähnt. Und um seinen Geschlechtsnamen legal in den Personalausweis eintragen zu lassen, muss man sich noch immer einer Operation unterziehen. Es wird nicht berücksichtigt, dass es Transmenschen gibt, die sich nicht operieren lassen wollen oder die keine Operation brauchen. Das alles wird in dem Gesetzentwurf außer acht gelassen. Viele Transpersonen, mit denen ich befreundet bin, haben einen sogenannten toten Namen in ihrem Ausweis, das ist der frühere Name. Auch das ist eine Form von Gewalt. Wenn wir mit einer Transfreundin in eine Bar gehen und sie nach ihrem Ausweis gefragt wird, sagt man ihr, dass das nicht sie sei, weil sie einen männlichen Namen hat. Auch dies muss legalisiert werden. Natürlich sind wir viel weiter als viele lateinamerikanische Länder, aber es liegt noch ein weiter Weg vor uns…

Vielerorts steht das Recht auf legale Schwangerschaftsabbrüche unter Druck, in den USA etwa. Errungenschaften wie diese gilt es zu verteidigen, oder?

Natürlich muss sie bewahrt werden. Im Moment gibt es in Kuba eine stark religiös-fundamentalistische Bewegung. Es gibt eine Kampagne von evangelikalen Gruppen. Eine Freundin erzählte mir nach einem Krankenhausbesuch, dass dort Religiöse andere Menschen angesprochen hätten. Das aber ist in Kuba illegal. In Kuba gibt es ein Gesetz, das besagt, dass man in medizinischen oder Bildungseinrichtungen nicht für seine Religion werben darf. Diese Leute waren aber trotzdem da.

Viele Kubanerinnen und Kubaner verlassen das Land, vor allem junge Leute wandern in Massen aus, Du aber bleibst. Warum?

Weil es mein Land ist. Denn ich bin nach wie vor der Meinung, dass sich viele Dinge ändern lassen. Es hat mir sehr geholfen, diese Erfahrung zu machen, zu der Zeit als es einfach keine Medikamente gab. Es war ziemlich hart, aber es gibt mir zumindest viel Hoffnung, zu sehen, dass es hier noch viele Menschen gibt, die einander helfen und wirklich etwas tun wollen. Das gibt mir sehr viel Kraft.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -