Drei-Leck-Energiepolitik

Rätselraten über Motive und Täter der Pipeline-Sprengungen in der Ostsee

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Aus der Pipeline Nord Stream 2 sprudelt vor Bornholm Gas an die Oberfläche.
Aus der Pipeline Nord Stream 2 sprudelt vor Bornholm Gas an die Oberfläche.

Es gibt keinen Zweifel. Die drei Lecks an den beiden aus Russland westwärts führenden, doch nicht in Betrieb befindlichen Ostsee-Gas-Pipelines sind das Ergebnis von Sabotage. Während sich die Nato mit Kommentaren auffällig zurückhält, wirkte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch über den konkreten Fall hinaus ziemlich aufgeschreckt: »Jede absichtliche Störung von aktiver europäischer Energieinfrastruktur ist inakzeptabel und wird zu der stärksten möglichen Reaktion führen.« Josep Borrell, EU-Außenbeauftragter, drohte sogar »mit einer robusten und gemeinsamen Reaktion«. Gegen wen? Es ist derzeit völlig unklar, wer die beispiellosen Sprengungen der Unterwasser-Pipelines zu verantworten hat.

Es liegt die Vermutung nahe, dass für diesen »Job« Unterwasserdrohnen angeheuert wurden. Wer sie von wo steuerte, ist unklar. Zwar kann man auch von der Meeresoberfläche in die vor Bornholm gängige Meerestiefe von 70 Metern vorstoßen, doch das braucht besondere technische Voraussetzungen, dauert lange und fällt auf.

Für die Ukraine ist klar, dass es sich um einen »von Russland geplanten Terroranschlag« handelt. Die Sabotage der Leitungen sei eine »Aggression gegenüber der EU«, war sich Präsidentenberater Mykhailo Podolyak bereits am Dienstag sicher. Polen stößt in dasselbe Horn. Russlands Regierung hält sich mit Verdächtigungen zurück. Der TV-Sender Russia Today dagegen verweist darauf, dass Russlands Inlandsdienst FSB erst jüngst einen von der Ukraine beauftragten Anschlag gegen eine Pipeline vereitelte, die die Türkei und Südeuropa mit Erdgas versorgt.

Geradezu seherische Fähigkeiten bewies Vizeadmiral Jan Christian Kaack, der Inspekteur der Deutschen Marine. In einem vor wenigen Tagen erschienenen Interview mit der »Welt« erklärte er, dass Russland unter Wasser »erhebliche Kapazitäten« aufgebaut habe und erinnerte daran, dass es »auf dem Grund der Ostsee, aber auch im Atlantik einiges an kritischer Infrastruktur wie Pipelines oder Unterseekabel für IT gibt«. Moskau könne Staaten wie Estland schnell das Licht ausschalten. Zudem gäbe es »Gefährdungen der globalen Kommunikationsstrukturen, auf die man besonders achten muss«.

Das ist so. Mehr als 99 Prozent des weltweiten Datenverkehrs wird über ein Netz von rund 280 Unterseekabeln abgewickelt. Die haben eine Länge von mehr als einer Million Kilometern. Klingt absurd, stimmt aber: Je schneller die kabellose Digitalisierung voranschreitet, desto abhängiger sind wir von dicken, am Meeresboden verlegten Lichtleiterstrecken. Ob ihrer – im Vergleich mit Satelliten – 200-mal höheren Übertragungskapazität sind sie unverzichtbar für die weltweite Kommunikation. Prognosen besagen, dass sich der Datenverkehr über den Atlantik alle zwei Jahre verdoppelt.

Dass Kabel, Pipelines oder Tunnel – der 1994 im Ärmelkanal eröffnete misst 50 Kilometer – und andere verbindende Unterwasserelemente, die sich nur schwer sichern und kaum reparieren lassen, ein lukratives Ziel von hybrider Kriegsführung sind, wird oft übersehen. Oder bewusst geheim gehalten. Doch bereits 2017 behaupteten Nato-Seekriegsexperten, dass sich sowohl russische Unter- als auch Überwassereinheiten immer öfter und immer länger in Gebieten aufhalten, in denen kritische Infrastruktur verlegt ist. Im Januar hat ein entsprechendes russisches Manöver vor der Küste Irlands für Aufregung gesorgt. Abermals warnte der britische Militärchef, Admiral Tony Radakin, dass Russland vor allem mit Hilfe dreier Forschungsschiffe sowie durch den Einsatz von Unterwasserdrohnen »das Informationssystem der Welt« bedroht. Er muss wissen, wie das geht. Schließlich baut die britische Marine gerade ein entsprechendes Spezialschiff, das angeblich nur dem Schutz kritischer Verbindungen dient.

Nicht minder aktiv ist Frankreich im Bereich der sogenannten Seabed Warfare. Erst im Februar stellten Verteidigungsministerin Florence Parly und Stabschef General Thierry Burkhard eine neue und sehr ausgeklügelte »Strategie für die Kriegsführung am Meeresboden« vor. Sie reicht bis in eine Tiefe von 6000 Metern. Wer will und Verschwörungsideen liebt, kann möglicherweise sogar Paris als Urheber der Sabotage ausmachen.

Stets verdächtig sind natürlich die USA. Washington hat ein Interesse an einer dauerhaften Unterbrechung des russischen Energiezuflusses Richtung EU. Schon weil US-Konzerne Flüssiggas in Europa anlanden wollen. Nach Informationen des »Spiegel« hat die CIA die deutsche Regierung bereits im Sommer vor möglichen Anschlägen auf die Gaspipelines gewarnt. Durchaus denkbar, dass der US-Auslandsgeheimdienst damit an einen von ihm selbst inszenierten Anschlag dachte. Schließlich machte Washington unter Präsident Donald Trump sehr grob und unter dessen Nachfolger Joe Biden etwas subtiler Druck gegen die deutsch-russische Gaskooperation. Kein Zweifel, die US Navy wäre zu einer solchen »Drei-Leck-Energiepolitik« fähig. Bereits 1997 haben der Spionagedient NSA und die Navy vorgeschlagen, U-Boote für »Spezialoperationen« zu modifizieren und sie mit »fortschrittlicher Technologie für spezielle Marinekriegsführung und taktische Überwachung« auszurüsten. Darüber hinaus gibt es für die »unkonventionelle Kriegsführung« die Navy Seals.

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